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Was der Bundesrat möchte, ist zu einem schönen Teil irrelevant © nzz

Banken und Industrie boykottieren trotzdem

upg /  Beim Boykott gegen Russland hat der Bundesrat das Sagen weitgehend verloren. Grosse Teile der Wirtschaft müssen Boykotte befolgen.

Die Diskussion darüber, ob sich die Schweiz den Boykottmassnahmen von EU und USA gegen Russland anschliessen oder wenigstens erweiterte Geschäfte unterbinden soll, ist weitgehend akademisch.

Denn Grossbanken, Versicherungskonzerne und grosse Industriebetriebe sehen sich gezwungen, sich dem Boykott-Diktat von EU und den USA zu beugen und voll mitzumachen.

  1. Die US-Justiz zwingt alle Unternehmen, die auch in den USA tätig sind, oder die Geschäfte weiterhin in Dollar abwickeln wollen, die US-Sanktionen 100-prozentig einzuhalten.
  2. In der Schweiz wohnhafte EU-Bürger müssen sich als Manager und Verwaltungsräte von Schweizer Unternehmen nicht nur an die Schweizer Gesetzgebung, sondern ebenfalls an die EU-Sanktionsmassnahmen halten.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft, Bildung und Forschung Seco schreibt in einer Antwort an Infosperber: «Darüber hinaus berücksichtigen insbesondere international ausgerichtete Schweizer Unternehmen aus Risiko- und Reputationsüberlegungen bei ihren Geschäftsentscheiden auch ausländisches Sanktionsrecht.»

Die Finanzmarktaufsicht (Finma) hatte ihrerseits im Oktober 2010 die international tätigen Banken in der Schweiz aufgefordert, sich an die Embargo-Vorschriften zu halten, welche die USA und die EU gegen den Iran verhängt hatten.

Es sind vor allem kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die es sich noch leisten können, die Sanktionsmassnahmen der EU und der USA zu ignorieren. Es würden «nicht flächendeckend sämtliche Schweizer Unternehmen US- und/oder EU-Recht umsetzen», erklärt das Seco, weshalb die «vom Bundesrat definierte, eigenständige Sanktionspolitik durchaus relevant» sei.
Wie relevant die Politik des Bundesrats noch ist, belegt das Seco nicht etwa mit Exportzahlen von KMUs und andern Unternehmen, die sich nicht gezwungen sehen, sich der EU- und US-Rechtssprechung zu unterwerfen.
Eigenartig: Der Souveränitätsverlust, den Grosskonzerne der Schweiz bescheren, ist selten ein Thema – im Gegensatz etwa zu wenigen Gerichtsurteilen des Menschenrechtsgerichtshofes, welche die Schweiz zu respektieren hat.

Siehe
«Boykott: Bundesrat Hände gebunden» vom 30.7.2014

NACHTRAG
Die «NZZ am Sonntag» vom 17.8.2014 stellt fest, dass Hersteller von Schweizer Käse und Gemüse vom russischen Gegen-Boykott von EU-Nahrungsmitteln profitieren könnten.
«Wir hatten Anfragen aus dem EU-Raum, ob es möglich wäre, Ware via die Schweiz nach Russland zu exportieren», sagt Erich Stadler von Bardini+Keller AG, einem Grosshandelsunternehmen für Früchte und Gemüse in Gossau (SG). Auch bei Käsehändlern seien solche Anfragen eingegangen. «Russland aber akzeptiert nur Waren mit Ursprungszeugnissen von Ländern, die vom (russischen) Embargo nicht betroffen sind. Deshalb kommen für uns einzig Produkte mit Schweizer Herkunft für den Export infrage», erklärte Stadler in der «NZZ am Sonntag». Er habe bereits einen Sattelschlepper gefüllt mit Salat nach Russland geschickt. Grosse Geschäfte können Schweizer Gemüseproduzenten keine machen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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