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Noch vor wenigen Jahren in Frauenfeld eine angesehene Zeitung © TZ

Abspecken nach Art der Zürcher Medienkonzerne

Harry Rosenbaum /  Die Thurgauer Zeitung ist ein klassisches Beispiel, wie bei zugekauften Regionalzeitungen Personal und Qualität abgebaut werden.

Jetzt muss sogar die Thurgauer Kantonsregierung dazu Stellung nehmen, wie die NZZ-Mediengruppe mit der Thurgauer Zeitung TZ umspringt. Zwei Thurgauer Kantonsräte, die langjährigen Redaktionsleiter in der Thurgauer Tagespresse, Andrea Vonlanthen (SVP) und Patrick Hug (CVP), haben Ende Februar die Interpellation «Unzufriedenheit mit der Thurgauer Zeitung» eingereicht, die parteiübergreifend von 46 der 130 Parlamentsmitglieder unterzeichnet worden ist. Die Antwort der Regierung steht noch aus.

207jährige Traditionszeitung

Beim Tauschhandel der Landzeitungen unter den beiden Zürcher Medienhäusern Tamedia und NZZ-Mediengruppe vor vier Jahren übernahm die NZZ das 207jährige Traditionsblatt. Tamedia hatte ihrerseits die TZ im Jahr 2005 für 57 Millionen Franken gekauft. Im Thurgau, wo es vor 15 Jahren noch ein halbes Dutzend Tageszeitungen gab, ist die TZ inzwischen die einzige. Sie erscheint als Kopfblatt des St. Galler Tagblattes, das der NZZ-Tochter Tagblatt Medien gehört, die noch fünf weitere Regionalzeitungen im Portefeuille hat. In der Anfrage im Kantonsparlament wird den beiden Zürcher Medienhäusern vorgeworfen, sie hätten punkto TZ grosse Versprechungen gemacht, diese aber nicht eingehalten.

Abbau der Berichterstattung und Abo-Schwund

«Der Abbau in der Lokal- und Regionalberichterstattung hat die Thurgauerinnen und Thurgauer frustriert und führt zum Abonnentenschwund bei der TZ», sagt Interpellant Vonlanthen. «Das Blatt hat sich aus dem nächsten Lebensumfeld der Leserinnen und Leser verabschiedet und schafft für die Leute auch keine kantonale Identität mehr. Diese publizistischen Mängel sind reinem Kostendenken bei der NZZ-Mediengruppe geschuldet. Die Menschen informieren sich zunehmend über lokale Medien. In Arbon und Umgebung ist es beispielsweise das wöchentlich erscheinende Gratisblatt Felix. Staatspolitisch ist diese Entwicklung gefährlich, weil der Überblick über das Kantonsgeschehen und die Zusammenhänge verloren gehen.» Seit die NZZ-Mediengruppe die TZ von Tamedia übernommen hat, ist die Auflage tatsächlich von 43’000 auf 36’000 Exemplare geschrumpft.

Arbeitsbedingungen zunehmend schlechter

Die Politik der NZZ-Mediengruppe mit den Regionalblättern hat auch gravierende Auswirkungen auf das Personal. «Die Journalistinnen und Journalisten bei den Zeitungen der Tagblatt Medien trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit über die Missstände in ihrer Branche zu sprechen», sagt Marco Moser, Präsident der Journalistenorganisation Impressum Ostschweiz. «Es wird ständig Personal abgebaut, und die Arbeitsbedingungen werden zunehmend schlechter. Teilweise erhalten die Mitarbeitenden auch neue Arbeitsverträge, mit tieferen Löhnen versteht sich. Die Redaktorinnen und Redaktoren sind machtlos. Wo wollen sie in der Ostschweiz eine neue Stelle finden? Die Medienlandschaft ist durch die Tagblatt Medien monopolisiert.»

Mitarbeitende auf der Redaktion der TZ bestätigen, was Moser sagt. Sie wollen aber nicht namentlich genannt werden, weil sie unter Umständen damit ihre Kündigung provozieren würden. – Bei den Medienkonzernen muss immer mehr malocht werden. Die Journalistenverbände Impressum und Syndicom haben Anzeigen gegen die Medienkonzerne NZZ, Tamedia und Ringier wegen Verletzung des Arbeitsgesetzes gemacht. Zudem wird der gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsschutz gegenüber den Journalistinnen und Journalisten vernachlässigt. Den Redaktionsmitarbeitenden werden regelmässig Aufgaben übertragen, die innerhalb der regulären Arbeitszeit nicht erledigt werden können. Da die Arbeitszeit nicht korrekt erfasst wird, ist eine geregelte Kompensation oft unmöglich, heisst es bei den Verbänden.

Eine halbe Million Franken jährlich einsparen

Im September letzten Jahres kündigte die NZZ-Mediengruppe bei der TZ-Redaktion einen Abbau von 500 bis 600 Stellenprozenten an. Gleichzeitig wurde die Schliessung des Büros der Lokalredaktion in Kreuzlingen und die Reduktion der Regionalseiten von täglich 20 auf 15 bekanntgegeben. Ziel der Massnahmen: die jährliche Einsparung von einer halben Million Franken.

David Angst, Redaktionsleiter der TZ in Frauenfeld, sagt, dass bis Ende Mai der Personalabbau abgeschlossen sei. Und weiter: «Ein Teil der Mitarbeitenden hat selber gekündigt und ein weiterer Teil wechselte in andere Redaktionen des Tagblatt-Verbundes. Von geplanten Frühpensionierungen konnte abgesehen werden. Es erfolgten zwei normale Pensionierungen.» In der TZ-Redaktion sind seit dem Übergang von der Tamedia zur NZZ-Mediengruppe 6 von 40 Vollzeitstellen abgebaut worden. Laut Tagblatt Medien kann in Kreuzlingen nicht von einer Schliessung der Lokalredaktion gesprochen werden, wie dies von der Bevölkerung im Bezirk empfunden wird. Hierbei handle es sich lediglich um eine Verlegung der dreiköpfigen Redaktion nach Weinfelden. Kreuzlingen und die Umgebung würden aber vom neuen Ort aus betreut wie bisher.

Kosten an die Ertragslage anpassen

Bettina Schibli, Leiterin Unternehmenskommunikation der NZZ-Mediengruppe, weist die Kritik an der Führung der TZ zurück. Sie sei sehr pauschal und blende den Strukturwandel in der Medienbranche und die damit verbundenen Ertragseinbussen völlig aus. Und weiter: «Der Umfang der Lokalberichterstattung hat tatsächlich leicht abgenommen. Hingegen hat die Qualität durch die verstärkte Konzentration auf das Wesentliche nicht gelitten. Die vertretbare Umfangreduktion und der Abbau weniger Redaktionsstellen ist eine Folge der anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Situation für Printmedien. Um für einen Kanton wie den Thurgau einen eigenständigen, gut gemachten Regionalteil erhalten zu können, ist es nötig, dessen Kosten an die tatsächliche Ertragslage anzupassen. Dementsprechend muss auch immer wieder das Zeitungskonzept überprüft und justiert werden: Es gilt die knapper werdenden Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen.» Die NZZ-Mediengruppe wolle die Position ihrer Regionalmedien in der Ost- und Zentralschweiz stärken, sagt Schibli weiter. Darum habe sie kürzlich auch die restlichen 25 Prozent an der Freie Presse Holding AG (FPH) von der Publigroupe übernommen und sei jetzt im Vollbesitz der FPH. Dafür zahlte die NZZ-Mediengruppe 53 Millionen Franken.

Im vergangenen Jahr verringerte sich bei den Tagblatt Medien der betriebliche Gesamtertrag um gute 10 Millionen Franken von rund 158 Millionen (2012) auf rund 148 Millionen Franken (2013). Die Tagblatt Medien hätten ein «ambivalentes Jahr» hinter sich, sagte der CEO der St. Galler NZZ-Tochter, Daniel Ehrat, bei der Präsentation des Ergebnisses. Das Tagesgeschäft sei eher schlecht gelaufen.

Parteien unterschiedlich zufrieden

Die politischen Parteien im Kanton Thurgau sind unterschiedlich zufrieden mit der aus Zürich und St. Gallen gemanagten TZ. Parteipräsident Walter Schönholzer von der FDP sagt: «Es gab noch nie eine Zeitung, welche das alleinige politische Forum im Kanton Thurgau war. Traditionell ist unser Kanton eng mit den Regionen St. Gallen und Will sowie mit Schaffhausen und Winterthur verbunden. Dies ist in den räumlichen Gegebenheiten begründet. Insofern hat die TZ als alleinige kantonale Zeitung eher an Bedeutung gewonnen.» SP-Präsidentin Barbara Kern meint: «Durch die Monopolisierung hat die journalistische Vielfalt abgenommen. Durch die Schliessung der Redaktion Kreuzlingen – immerhin ist dies die zweitgrösste Stadt im Thurgau – sind die Berichterstattungen aus Kreuzlingen und den Dörfern der Umgebung auf zwei Seiten geschrumpft. Und Parteipräsident Ruedi Zbinden von der SVP sagt: «Die Berichterstattung in den Regionen läuft auf Sparflamme. Die TZ ist heute ein St. Galler Tagblatt mit Zürcher Hintergrund.»

SP-Regierungsrat Claudius Graf-Schelling, der beim Wechsel der TZ von Tamedia zur NZZ-Mediengruppe Thurgauer Regierungspräsident war, sprach damals die Hoffnung aus, dass die TZ «eine starke und selbständige Zeitung sein wird, die den Interessen des Kantons und seiner Bevölkerung angemessen Rechnung tragen wird.»

Stellenabbau und unverwirklichte Pläne – zwei Zitate

Ursula Fraefel, zwischen 2007 und 2010 Chefredaktorin der TZ und seither bei der Economiesuisse Leiterin Kommunikation und Kampagnen, erinnert sich: «Inhaltlich und in ihrer Kreativität war die Redaktion der TZ unter Tamedia völlig frei. Das Budget war selbstverständlich beschränkt. Wie wohl auf allen Redaktionen haben wir im Print Angebote und Stellen abgebaut, Online dagegen haben wir aufgebaut. Auf der Redaktion Hinterthurgau haben wir das Angebot etwas verkleinert und entsprechend auch Stellen abbauen müssen. Samt Produktion und Layout waren damals gegen 50 Angestellte bei der TZ.»

Peter Hartmeier, langjähriger Chefredaktor des Tages-Anzeigers und anschliessend «Verleger» der TZ, bevor er als Leiter der Unternehmenskommunikation zur UBS wechselte, sagt: «Ich war für ein knappes Jahr bei der TZ als Verwaltungsratspräsident, Verleger und dann als Chefredaktor. Ursprünglicher Auftrag von Tamedia war die Vorbereitung einer engen Zusammenarbeit zwischen TZ, Landbote und den unabhängigen Schaffhauser Nachrichten unter dem Projekt-Titel Nordostschweiz. Es stellte sich aber bald heraus, dass diese Pläne nicht umgesetzt werden würden.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. In einer ersten Fassung erschien der Artikel in der Zeitschrift «Schweizer Journalist», Ausgabe 6/7 2014. Infosperber übernimmt die leicht modifizierte Fassung, da das Thema Abbau von Personal und Qualität im Journalismus nicht nur ein brancheninternes, sondern ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema ist.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 1.07.2014 um 14:03 Uhr
    Permalink

    Ich glaube jedes Wort, aber der Artikel bleibt trotzdem sehr einseitig. Warum wird nicht das quasi gleiche Vorgehen des TagesAnzeigers bem Landbot, Zürcher Unterländer usw. erwähnt? Oder vom Vorgehen von Ringier und TagesAnzeiger bei Le Temps? Dazu wäre es sicher nicht schlecht gewesen man hätte die allgemeine Entwicklung der druckten Presse erwähnt – die mindestens zum Teil wohl die Sache erklärt hätte. Opinion ist gut und recht, man darf aber nicht aus politischen Gründen Blind werden – oder einäugig!
    gc

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