Kommentar

kontertext: Gegen No Billag – wer kämpft wofür?

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  In der erfreulich erfolgreichen Mobilisierung gegen «No Billag» zeichnen sich künftige Fronten ab.

Die Mobilisierung gegen die No-Billag-Initative entwickelt sich erfreulich. Wenn sie anhält und sich noch verstärkt, dürfen wir auf ein starkes Nein am vierten März hoffen. Die Freude über die erfolgreich verlaufende Kampagne zur Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems verstellt vielleicht die Sicht darauf, dass innerhalb der Kampagne und innerhalb der SRG eine andere Auseinandersetzung schon begonnen hat, nämlich die um materielle und geistige Ressourcen.

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Ich meine zunächst: die Aufmerksamkeit ist sehr ungleich, sehr ungerecht und sehr ungerechtfertigt verteilt. Die Rede ist fast nur vom Fernsehen. Das Radio kommt zu kurz. Aktuellstes Beispiel: Bundesrätin Doris Leuthard in der AZ. Insbesondere das Kulturradio, SRF 2 Kultur, gilt oft als Luxus für Minderheiten, den sich die SRG wegen der Konzessionsbestimmungen halt leisten müsse. Das ist kulturfeindlicher Unfug. Selbst wenn man die Hörerzahlen als Massstab nimmt, schlägt sich der Kultursender besser als das Fernsehen.

«52 beste Bücher» ist eine Sendung für hartgesottene Literaturliebhaber: Während einer vollen Stunde wird ein Titel aus der anspruchsvollen Literatur verhandelt. Das scheint völlig aus der heutigen Medienwelt gefallen. Aber das Publikum ist interessiert: Die Sendung erreichte 2016 (die Zahlen für 2017 werden erst in den nächsten Tagen publiziert) jede Woche 77’600 ZuhörerInnen. Der «Literaturclub» im Fernsehen (nur neunmal pro Jahr und «moderneres» Konzept) erreicht 53’000 Menschen.

Die Hintergrundsendung «Kontext» auf SRF 2 Kultur erreicht täglich (!) 110’000 HörerInnen. Da sind die zunehmenden Podcasts nicht mitgerechnet. Die vergleichbare «Sternstunde Philosophie» bringt es gerade mal auf 23’000, und selbst der «Kulturplatz» – keine Hintergrundsendung, sondern ein aktuelles Magazin – schafft es nicht über 92’000.

«Man muss es neidlos anerkennen: Für die klassische Musik gibt es kein besseres Medium als das Radio», schreibt Susanne Kübler im Tagesanzeiger vom 22.1.18, und fährt fort: «Das kostet, und nicht überall ist das Verhältnis von Aufwand und Hörerzahl gleichermassen günstig. Aber auch bei Sendungen mit tiefen Marktanteilprozenten sind die absoluten Zahlen beachtlich; selbst bei Neue-Musik-Spezial-Sendungen füllt das Publikum ein mittleres Fussballstadion.»

Die Fachredaktion Religion – übrigens die einzige in der Schweiz, das leistet sich kein anderes Medienhaus – erreicht auf SRF 2 Kultur am Sonntagmorgen 50–60’000 Hörende, die Radiopredigten und Gottesdienste 140’000, die Sendung «Ein Wort aus der Bibel» auf drei Radiosendern insgesamt 300’000 Menschen.

No culture statt no Billag?

In seinem Buch «No Billag? Die Gründe und die Folgen» (Verlag Wörterseh, Gockhausen, 2018) gibt Roger Schawinski in vorauseilendem Gehorsam SRF 2 Kultur zum Abschuss frei. Er schreibt: «Hingegen könnte man bei Radio SRF 2 Kultur abspecken, dem mit Kosten von rund 20 Millionen Franken mit Abstand teuersten Radiosender mit einem sehr bescheidenen Marktanteil von nur 3,5 Prozent. Die Abläufe und der hohe Personalbestand bei diesem Sender erinnern in vielem an eine geschützte Werkstatt» (S. 82).

Bittet man den obersten SRF-Kulturchef Stefan Charles um eine Stellungnahme zu Schawinskis Angriff auf SRF 2 Kultur, so erhält man folgende Antwort:

«Das Buch von Roger Schawinski spiegelt seine eigene, ganz private Haltung wider. Weder haben wir das Buch in Auftrag gegeben, noch hat sich der Autor mit seinem Arbeitgeber abgesprochen. Roger Schawinski hat die Lektüre aus eigener Initiative verfasst.»

Hier haben wir das ganze Elend! So wichtig es ist, dass gerade Schawinski sich gegen «No Billag» ausspricht, diesen Fusstritt hätt er sich sparen können. SRF 2 Kultur kostet nicht 20 Millionen, sondern 11,3 Millionen. Wie Schawinski auf 20 Millionen kommt, ist unklar. SRF 2 muss teurer sein als die anderen Radiostationen, weil es mehr Hintergrund produziert als diese. Unter den Kulturradios gehört SRF 2 Kultur zu den europaweit kostengünstigsten. Der behindertenfeindliche Vorwurf der geschützten Werkstatt ist alt. Er zeigt, wo die Verächter von Intellekt und Kultur landen: in der Menschenverachtung. In Wahrheit haben sich die Arbeitsbedingungen bei SRF 2 Kultur, von denen Schawinski keine Ahnung hat, in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Ich weiss, wovon ich rede, denn ich habe selbst bis vor fünf Jahren dort gearbeitet und verfolge die seitherige Entwicklung mit Entsetzen.

Marktradikalismus trotz No-Billag-Nein?

Es besteht die Gefahr, dass nach einer erfolgreich abgeschmetterten No Billag Initiative die Marktradikalen sich durchsetzen, in dem sie der SRG die Gebühren drastisch reduzieren. Wenn aber die SRG von aussen unter verstärkten Spardruck gesetzt wird, geht intern ein brutaler Kampf um Ressourcen los. In dieser Auseinandersetzung wären so mächtige Interessen von Fernsehen und der Hierarchie im Spiel, dass der Kultursender nicht den Hauch einer Chance hätte, vernünftige Arbeitsbedingen zu retten, zumal er von niemanden verteidigt wird. Weder setzen sich Vorgesetzte für ihn ein, noch gibt es eine Gewerkschaft, die diesen Namen verdient. Da blieben nur die Journis selbst – sie hätten zwar gute Chancen, sind aber weder fähig noch willens, ihre Interessen und die der Kultur zu verteidigen.

Die Einschüchterung der Untergebenen hat bereits begonnen. Sie hören von ihren Vorgesetzten: das wird eine Sparrunde, wie es noch nie eine gegeben hat. Ihr werdet euch wundern. Nun kommt der Plan R wie Reform … usw. usf. Bereits stellen die Untergebenen selbst sich auf noch mehr Arbeit und noch mehr Stress ein. Der Weg in den Abgrund ist betreten.

Es ist gut und richtig, in der Abwehr von «No Billag» die SRG zu verteidigen. Es ist aber auch nötig, dass Kulturschaffende jeweilen deutlich machen, warum sie die SRG verteidigen: dass sie eine sorgfältige, differenzierte und verantwortliche Kulturarbeit erwarten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Felix Schneider, geboren 1948 in Basel. Studium Deutsch, Französisch, Geschichte. Von Beruf Lehrer im Zweiten Bildungsweg und Journalist, zuletzt Redaktor bei SRF 2 Kultur. Hat die längste Zeit in Frankfurt am Main gelebt, ist ein halber «Schwob».

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

Zum Infosperber-Dossier:

GegenStrom_2_ProDirectFinance_XX_heller

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SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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9 Meinungen

  • am 25.01.2018 um 12:39 Uhr
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    Zu beobachten ist ein fortschreitendes Siechtum des Feuilletons, das ohne Rücksicht auf kulturelle Verluste der Rendite geopfert wird. Selbst die alte Tante von der Falkenstrasse leidet an Schwindsucht – es verbleibt demnach SRF mit den vom Autor genannten Angeboten.

  • am 25.01.2018 um 13:38 Uhr
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    11,3 Millionen – und die Nachrichten gibt es gratis dazu?

  • am 25.01.2018 um 13:50 Uhr
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    Der Artikel ist inhaltlich spannend und beleuchtet den NoBillag Kampf anfänglich aus übergeordneter Sicht.
    Dann aber driftet der ex SRF-Literaturredaktor Felix Schneider ab ins Geklöne um die kleinen Pfründe, die man evtl. nicht mehr halten und die Kulturvielfalt, die man evtl. nicht mehr ausleben kann. Das Sichentfalten, ohne zu fragen, was es kostet und wer’s bezahlt könnte, wird eingeschränkt werden. Er schreibt dazu: «Die Einschüchterung der Untergebenen hat bereits begonnen. Sie hören von ihren Vorgesetzten: das wird eine Sparrunde, wie es noch nie eine gegeben hat. Ihr werdet euch wundern. Nun kommt der Plan R wie Reform….»

    Ja, willkommen in der richtigen Welt! Wenn ich der NoBillag Übung überhaupt etwas Gutes abgewinnen soll, dann ist es die Sensibilisierung der SRG Führung auch auf Leistung und Wirtschaftlichkeit. Das fehlte bis heute in der Management Denke und wird für einige SRG-ler eine schmerzhafte, aber nötige Erfahrung sein.

    Vor der Tatsache, dass die Initiative die Abschaffung der SRG zum Ziel hat und das Schlimmste noch nicht abgewendet ist, würde ich leisere Töne anschlagen und mit einem Auge einen Blick auf die Demut werfen. SRG-ler und ex-SRG-ler – seid froh, wenn ihr dieses NoBillag Desaster überlebt und freut euch auf eine ausdiskutierte, reformierte und weiterhin professionelle SRG, in der neu auch Begriffe wie Finanzen und Wirtschaftlichkeit zum Alltag gehören.

  • am 25.01.2018 um 14:14 Uhr
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    Felix Schneider: Aus meiner Sicht gehen Sie die Fragen typisch schweizerisch an.
    – Die Geld-Frage führt oben zum Abbau bei der SRG, nicht die staatspolitische Frage nach dem Auftrag. Wieso das?
    – Der Auftrag an die SRG müsste (im Google-Zeitalter mehr denn je) lauten, ein doppeltes öffentliches Massenmedium zu sein (Radio + Fernsehen), welches politisch neutral + investigativ eine zentrale Rolle als derzeit wichtigster Player der ‹4. Gewalt im Staat› spielt.
    – Und zu diesem öffentliche Auftrag gehört eine entsprechende öffentliche Finanzierung. Das war für mich der zentrale Fehler bei SRG 1.0. Das können wir mit einer SRG 2.0 nun richtig aufgleisen: ‹NoBillag als Chance› halt …
    — Über die Höhe der öffentlichen Finanzierung sollten wir nach dem öffentlichen Auftrag sprechen.
    — Dabei werden wir erkennen, dass es am Modell 2 Korrekturen braucht.

    Für mich erhält SRG 2.0 mit dem neuen (präziseren) Auftrag + 2 Auflagen.
    – alte Auflage: Sie unterstellt sich der UBI (Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio + Fernsehen), welche über die politisch neutrale Berichterstattung wacht.
    – neue Auflage: Sie verzichtet auf Werbe-Einnahmen + überlässt dieses Geld den privaten Massenmedien.

    Auf dieser Grundlage (öffentlicher Auftrag + öffentliche Finanzierung) stärken wir die SRG + die Privaten, welche jetzt in einen verstärkten Wettbewerb treten können. Dabei entscheiden die Privaten, ob sie sich in den Dienst der 4. Gewalt stellen + damit auch der UBI unterstellen wollen.

  • am 25.01.2018 um 15:08 Uhr
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    Wer ernsthaft die Einschaltquoten von Radio- und Fernsehpredigten als Rechtfertigung für die quasi-staatliche SRF-Trägerschaft bemüht, lässt leider jeden Reformwillen vermissen. Das ist eine extrem schlechte Voraussetzung für die Debatte, die nach dem Abstimmungssonntag geführt werden muss.

  • am 25.01.2018 um 15:24 Uhr
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    Vielen Dank für den ausgezeichneten Artikel, Herr Schneider!
    Völlig zu Recht weisen Sie auch auf die Wichtigkeit und den Wert des Radios hin, insbesondere auf die informativen, viel Hintergrund bietenden Sendungen von SRF2. Auch bei einer Verwerfung der Initiative drohen diesem Sender leider Kürzungen, Einsparungen. Dies nicht zuletzt wegen dem vordergründig einfältig vorgebrachten Einwand nicht genügend hoher Einschaltquoten, sondern betrüblicherweise auch aus fehlendem Interesse an der Auseinandersetzung mit vielleicht neuen Erkenntnissen, Kultur.

  • am 25.01.2018 um 23:01 Uhr
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    Nicht nur die NZZ, auch SRF 2 Kultur hat punkto Bildung abgespeckt, weil der damaligen Kulturfunktionärin Natalie Wappler wie René Scheu die richtige Gesinnung wichtiger war als eine anständige Kulturberichterstattung. Hier trifft sich Schawinski mit den Kulturverächtern: Er redet über Dinge, von denen er keine Ahnung hat. Vermutlich kann er durch reines Hören eine Mozart-Oper gar nicht von einer Bach-Kantate unterscheiden. Mit seinen flapsigen Bemerkungen über das Kulturradio beleidigt er alle Leute, die tatsächlich diese Fähigkeit haben.

    Der Staat sollte nicht dazu dienen, Unterhaltung zu alimentieren. Triebe befriedigen kann der «freie» Markt genauso gut. Aber wenn man Bildung, die die Fähigkeiten der Menschen fordert und fördert, mit dem Hinweis auf die Kosten kleinredet, hat man nicht begriffen, was die Aufgaben von Staaten und Märkten ausmacht. Der Staat sorgt dafür, dass gewisse Güter nicht dem Preissystem (bzw. Quoten oder Klickraten) unterworfen werden müssen, nur weil diese Güter nicht lukrativ genug sind.

    Wenn ein Anbieter aus einem Handel Profit schlagen, im Kampf gegen Konkurrenten mit Rabatten und anderen Tricks hantieren muss und sich nur eine gewisse Kaste auch die Produktionsmittel leisten kann, leiden die Inhalte darunter. Das Grounding der Qualitätsmedien der letzten Jahrzehnte von Weltwoche bis zur NZZ ist beispielhaft dafür, dass geistige Güter mit Anspruch ohne eine nachhaltige Pflege das Nachsehen haben. Ein Nein zu No Billag ist deshalb vernünftig.

  • am 25.01.2018 um 23:17 Uhr
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    @Peter Müller: Wenn Sie die SRG auf Leistung und Wirtschaftlichkeit trimmen wollen, dann sage ich klar Nein dazu, denn gerade so verliert die SRG ihre Legitimation. Warum sollte man staatlich Gebühren für etwas einfordern, das man genauso gut auf dem «freien» Markt bewerkstelligen könnte?

    Sooft ich betont habe, dass die SRG Nischen bedienen soll, haben mir Rechtsbürgerliche geantwortet, sie solle sich besser wie ein Unternehmen nach den Quoten richten. Zugleich aber sagen sie, No Billag sei nötig, um eine Service-Public-Debatte. Sie merken nicht, dass sie mit ihrer widersprüchlichen Haltung den Service Public gerade überflüssig machen, denn die Koppelung an den deterministischen Preismechanismus von Angebot und Nachfrage ist wiederum nichts anderes als die Durchsetzung des Recht des Stärkeren.

    Auf dem «freien» Markt herrscht einerseits die Tyrannei der Mehrheit (z.B. Quoten, Klickraten) und andrerseits die Tyrannei der Marktmacht der Misanthropen (vormals: Philanthropen), die Kapital anhäufen und durch ihren Einfluss Macht ausüben. Die Demokratie hat aber den Zweck, solche Machtballung durchbrechen zu können, damit wir den Fähigkeiten einzelner Menschen gerecht werden anstelle abstrakter Preissysteme und pseudo-physikalischer Mechanismen. Effizienz ist ein normativer Begriff. Wer den Service Public über eine Kosten-Nutzen-Rechnung begleichen will, sieht nicht, dass der Begriff des Nutzens immer vieldeutig und subjektiv bleibt und eine Scheinobjektivität vorgaukelt.

  • am 26.01.2018 um 13:50 Uhr
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    Ein äusserst erhellender Beitrag! Vielen Dank! Ruedi Meier, Luzern

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