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Mit diesem Bild berichtete die Stuttgarter Zeitung am 25. Mai 2016 über Florian Harms' Weg nach oben © StZ

NZZ-Beirat: neu, aber ziemlich alt

Christian Müller /  Erwartetes, Befürchtetes, aber auch Überraschendes: Der publizistische Beirat – vier Gruftis und mit Florian Harms ein neuer Name.

Der Verwaltungsrat der NZZ-Mediengruppe hat am 28. Juni 2016 folgende Mitteilung publiziert:

«Der Verwaltungsrat der NZZ-Mediengruppe erweitert und formalisiert seinen publizistischen Ausschuss. Neben zwei Verwaltungsratsmitgliedern gehören dem Gremium neu fünf ausgewiesene Persönlichkeiten mit Expertise in Fragen der Qualitätspublizistik, der Zukunft des Journalismus sowie der Politik- und Medienlandschaft Schweiz an.
Der Verwaltungsrat der NZZ-Mediengruppe verfügt über einen Ausschuss von Verwaltungsratsmitgliedern, der sich regelmässig mit Fragen der Publizistik befasst. Dieses Gremium hat der Verwaltungsrat nun formalisiert und um namhafte Persönlichkeiten erweitert.
Unter der Leitung des früheren NZZ-Feuilletonchefs Martin Meyer gehören dem publizistischen Beirat neu folgende externe Expertinnen und Experten an: der Chefredaktor von Spiegel Online Florian Harms, die frühere FDP-Fraktionspräsidentin Gabi Huber, die Professorin für Medieninnovationen Lucy Küng sowie der frühere, langjährige NZZ-Ressortleiter und Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse Gerhard Schwarz. Der Verwaltungsrat ist im Gremium vertreten durch die Mitglieder Carolina Müller-Möhl und Christoph Schmid.
Der publizistische Beirat berät den Verwaltungsratspräsidenten in Fragen des Medienwandels, der digitalen Transformation und der daraus resultierenden Anforderungen an die Qualitätspublizistik. Die Entscheidungskompetenz liegt beim Verwaltungsrat.»

Neu – aber alt

Der Verwaltungsrat hat darauf verzichtet, das Alter der fünf neuen Mitglieder des publizistischen Beirats des Verwaltungsrates bekanntzugeben, vermutlich nicht nur aus Versehen: Das Durchschnittsalter der «fünf ausgewiesenen Persönlichkeiten mit Expertise» ist nämlich stolze 58 Jahre. Gerhard Schwarz, ehemaliger Leiter des Ressorts Wirtschaft der NZZ und in Pension gegangener Direktor der neokonservativen Denkfabrik Avenir-Suisse, wurde im April diesen Jahres 65. Der inmitten der NZZ-Somm-Wirren etwas vorzeitig aus dem Verkehr genommene Martin Meyer, ehemaliger Feuilleton-Chef der NZZ, feiert seinen 65. Geburtstag im kommenden Oktober. Gabi Huber, die ehemalige Präsidentin der FDP-Fraktion im Nationalrat und heutige Verwaltungsrätin der UBS Switzerland AG, bringt es immerhin auch schon auf 60 Lenze. Lucy Küng, in der Öffentlichkeit etwas weniger bekannt, als Mitglied des Verwaltungsrates der SRG aber wohl vor allem als Informantin im neuen Gremium willkommen, ist mit ihren unterdurchschnittlichen 57 Jahren damit geradezu eine junge Dame.

Die Überraschung: Mit nur 43 Lebensjahren in seiner «Expertise» ist Florian Harms neben den anderen vier «Experten» geradezu ein Springinsfeld. Ja, wer ist denn dieser Florian Harms? So richtig bekannt ist er eigentlich vor allem als Kenner der arabischen Küche. Sein 2004 erschienenes Buch «Kulinarisches Arabien» erlebte 2011 sogar eine Neuauflage und ist trotzdem bereits wieder vergriffen. Der heutige Chefredaktor von Spiegel Online war aber vor etlichen Jahren auch einmal Volontär auf der NZZ-Redaktion und blieb offensichtlich bei den alten Herren von der Zürcher Falkenstrasse in guter Erinnerung. Und ja, es gibt von ihm durchaus auch Positives zu berichten. Die Stuttgarter Zeitung etwa begann einen Bericht über den steilen Aufstieg von Florian Harms vom Praktikanten bei einer Lokalzeitung zum Chefredaktor von Spiegel Online mit dem folgenden Abschnitt: «Berlin – Es ist ein weiter Weg von der Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart bis zur ‹Spiegel›-Kommandozentrale in Hamburg. 654 Kilometer trennen den Rudolf-Steiner-Weg 10 in der deutschen Feinstaubhauptstadt von der sagenumwobenen Ericusspitze in der Hansestadt. In Karriereleitersprossen gesprochen ist der Weg vom Praktikanten bei der ‹Leonberger Kreiszeitung› bis zum Chef von ‹Spiegel Online› vielleicht noch weiter.»

Aber auch sonst: Nach den von Russland am 21. April 2014 veröffentlichten Satelliten-Fotos zum Abschuss der Air-Malaysia-Maschine MH17 in der Ostukraine brachte Spiegel Online aufgrund der von der Arbeitsgruppe Bellincat publizierten Thesen einen Bericht darüber, wie die russischen Bilder mit Photoshop gefälscht worden seien – im Zeitalter der medialen Russophobie nicht gerade verwunderlich – aber halt doch etwas vorschnell: Florian Harms musste ein paar Tage später zu Kreuze kriechen. Immerhin: er hat es getan! Welcher Journalist ist heute schon bereit, einen Fehler einzugestehen?

Wörtlich schrieb Florian Harms damals:

«Es zählt zu unseren journalistischen Prinzipen, dass wir eine brisante Neuigkeit erst dann als verlässliche Information werten, wenn wir sie aus zwei voneinander unabhängigen, vertrauenswürdigen Quellen erhalten haben. Schätzen wir eine Nachricht als so brisant ein, dass wir sie Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nicht vorenthalten wollen, obwohl wir sie noch nicht eindeutig verifizieren konnten, dann wählen wir eine vorsichtige Formulierung.
So haben wir es bei der ersten Meldung über den Bellingcat-Bericht in der Nacht von Sonntag auf Montag in der Überschrift und im Vorspann getan. Aber im Artikeltext haben wir diese Vorsicht nicht durchgehalten. So endete der Text mit der Formulierung im Indikativ: «Doch nun haben die Experten von Bellingcat eben diese Aufnahme als Fälschung enttarnt.» In dieser Eindeutigkeit widerspricht der Satz unseren Prinzipien von journalistischer Sorgfalt. Das trifft ebenso auf eine zweite Meldung zu, die wir am selben Tag auf unserer Startseite veröffentlichten und deren Überschrift lautete «Wie Russland die MH17-Beweise manipulierte» (inzwischen haben wir die Überschrift geändert). Auch hier hätten wir von Beginn an vorsichtiger formulieren und klarmachen müssen, dass es zwar den Vorwurf der Fälschung gibt, dieser aber nicht zweifelsfrei bewiesen ist.
Denn das wurde deutlich, als wir das Thema weiter bearbeiteten – wie wir es immer tun, um einer Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Nach den ersten Meldungen führten wir ein Interview mit dem Bildforensiker Jens Kriese, der den Bellingcat-Bericht kritisierte und zu dem Ergebnis kam: Die Analyse der Satellitenbilder lässt nicht den Schluss zu, dass Moskau lügt.»

Expertise in Ehren – aber Experten in Fragen des Medienwandels?

Doch zurück zum neuen Gremium der NZZ. In der Mitteilung des Verwaltungsrates steht der Satz: «Der publizistische Beirat berät den Verwaltungsratspräsidenten in Fragen des Medienwandels, der digitalen Transformation und der daraus resultierenden Anforderungen an die Qualitätspublizistik.» Die Frage sei erlaubt: Ist ein Beratungsgremium, das den Verwaltungsratspräsidenten «in Fragen des Medienwandels» und der «digitalen Transformation» beraten soll, heute, im Zeitalter der Social Media, sinnvoll zusammengesetzt, wenn zwei der fünf Experten bereits in Rente sind und sich in ihrer aktiven Zeit vor allem mit ihren politischen – und entsprechend umstrittenen – Plädoyers einen Namen gemacht haben? Und wenn da nur einer von fünfen weniger als 50 Jahre auf dem Buckel hat? Wundert es da, wenn bei diesem NZZ-Beirat bereits von einem Gremium der Gruftis die Rede ist?

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