Kommentar

Mit dem Puppenhaus gegen No Billag

Tobias Tscherrig © zvg

Tobias Tscherrig /  Die No-Billag-Initiative bedroht die Existenz von 35 regionalen TV- und Radiostationen. Ein Beispiel von der Front.

Die Blicke der Fernsehjournalisten wandern immer wieder zu einem bestimmten Punkt an der weissgetünchten Wand. Hier flackert ein Bildschirm, er zeigt die aktuelle Sendung: Resultat von stundenlanger Arbeit, Leistungsausweis der Angestellten.

Läuft der eigene Beitrag, springen sie auf und platzieren sich vor dem Gerät. Haareraufen, Fingernägelkauen, Aufatmen. Seufzer der Erleichterung begleiten gelungene Bildübergänge, ärgerliches Kopfschütteln die Fehler. Die Zuschauer bemerken die wenigsten, die Journalisten bewerten ihre Arbeit trotzdem an ihren eigenen Massstäben. Professionelle Massstäbe.

Freitagabend, in der Redaktion des Walliser Regionalfernsehsenders Kanal 9: Obwohl die Newssendung bereits läuft, schneiden einige Journalisten noch immer an ihren Beiträgen. Wie in einem Schützengraben verschanzen sie sich hinter den Bildschirmen. Der Feind: die immer knapper werdende Zeit – und der Ruf des Wochenendes. Geflissentlich ignorieren sie ihn, wollen erst liefern und später geniessen. Oder, wahrscheinlicher: Sie geniessen bereits. Es riecht nicht nur nach Arbeit, der Duft von Engagement liegt in der Luft.

Anders geht es nicht. Die Karriere, das grosse Geld: Für die allermeisten Journalisten sind das bestenfalls Tagträume. Wenn überhaupt. Mickrige Löhne, unsichere Anstellungsverhältnisse und krude Praktika, unbezahlte Überzeit, Wochenend-, und Schichtarbeit, schlechte Sozialleistungen, Stress und Druck. Das ist die Welt von vielen (jungen) Journalisten.

Gequältes Gemurmel, Flüche, das hektische Klicken von Computermäusen. Die Redaktion von Canal 9 vibriert. Täglich berichtet sie über lokale Geschehnisse, produziert Nachrichten, informelle Beiträge, Unterhaltung. Sicher, die wenigsten gesendeten Beiträge sind recherchierte Scoops, die die Welt verändern. Aber alles hat den lokalen Bezug, spielt sich vor der Haustüre der Zuschauerinnen und Zuschauer ab. Informationen und Geschichten aus dem unmittelbaren Umfeld. Ohne solche Redaktionen wären Randregionen Informationswüsten.

Bei einer Annahme der No Billag-Initiative wird diesen Redaktionen der Geldhahn zugedreht. 13 Regionalfernsehsender und 21 lokale Radiostationen erhalten pro Jahr insgesamt 67.5 Millionen Franken aus dem Gebührentopf der Billag. Ab 2019 sind es 81 Millionen. Ohne dieses Geld werden viele regionale Informationsangebote verschwinden.

Die Lücke könnte kaum gefüllt werden. Wie auch? Die grossen Verlage haben sich längst vom journalistischen Kerngeschäft verabschiedet. Ihre lokalen Korrespondentennetze haben sie abgebaut. Sie konzentrieren sich auf die grossen Geschichten, die meistens in den urbanen Gebieten stattfinden. Aus Kostengründen streichen sie Stellen oder fusionieren, der mediale Einheitsbrei ist in Reichweite. Wer also soll die Lücken füllen? Christoph Blocher, der seinen politischen Einfluss mit dem Kauf von Medienhäusern zementiert? Andere Interessenten sind Mangelware.

Freitagabend, 19.15 Uhr. Einige der Fernsehjournalisten haben Feierabend. Einer erzählt von seinem Werbespot gegen die No Billag-Initiative. Für rund 40 Franken kaufte er ein Puppenhaus. Es dient als Kulisse für eine Geschichte, in deren Mittelpunkt eine Maus steht, die nach einem Streit zwischen zwei Menschen einen Einfränkler abstaubt und dann als einzige im Haus noch Fernsehprogramme aus der Schweiz empfängt. So was in der Art.

Der Journalist lacht, als er seine Idee erzählt. Er findet sie gut – und das muss er auch. Immerhin ist er persönlich betroffen, bei einer Annahme der Initiative verliert er mit einiger Wahrscheinlichkeit seinen Job. Daneben ist er noch im künstlerischen Filmdreh tätig, ein schwacher Trost. Kunst und Kultur würden bei Annahme der Initiative ebenfalls verlieren.

Einen Franken am Tag. So viel kosten die Billag-Gebühren ab dem Jahr 2019. Dafür erhält die Schweiz niederschwellig angebotene Informationen. Die gesamte Schweiz. Sprachliche Minderheiten werden bedient, ebenso die unteren Gesellschaftsschichten, die sich teures Pay-TV und andere Medienabonnemente wohl kaum leisten könnten. Randregionen erhalten die Informationen, die ihnen zustehen. Die Werbegelder fliessen nicht zu ausländischen Medienanbietern.

Nach Annahme der Initiative gäbe es hingegen nicht mal mehr eine unabhängige Beschwerdeinstanz. Wer sich dann über eine Sendung beschweren will, muss den teuren Rechtsweg wählen, eine simple Beschwerde reicht nicht mehr. Ganz zu schweigen von dem Informations- und Bildungsauftrag der SRG, die durch nichts ersetzt würden. Stattdessen würden die Radio- und Fernsehkonzessionen an die Meistbietenden verschachert. Und wer finanziert die Programme in der Westschweiz und im Tessin? Der Staat? Staatsfernsehen und -Radio?

Who cares? Hauptsache, die unliebsamen «Zwangsgebühren» werden abgeschafft.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor arbeitet als Journalist.

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

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Eine Meinung zu

  • am 24.01.2018 um 12:26 Uhr
    Permalink

    Danke für den Beitrag. Ja, wir leben in einer schwierigen Zeit und laufen alle Gefahr zu grauen Mäusen zu werden; Marschrichtung diktiert vom grossen Geld einiger Weniger. Ein Franken pro Tag ist meiner Meinung nach wirklich zumutbar. Für Ausgesteuerte und andere Spezialfälle könnte sicher eine Kompensationslösung gefunden werden. Aber sobald jemand einen Internetzugang in irgend einer Form benutzt, sollte ein Beitrag bezahlt werden. Das heisst nun aber sicher nicht, dass die Qualität und Art und Weise der Medienanbieter nicht hinterfragt und auch einem neuen Zeitgeist angepasst werden müssen. Wenn wir aber einmal alle «graue, kleine, verängstigte und unwissende Mäuse sein werden, wird es keine echte Entwicklung mehr geben. Naja, jemand sagte einmal: «Nur Ignoranten gehen mit wehenden Fahnen unter». Hoffen wir, dass es hier nicht soweit kommen wird.

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