Raritaeten_gross

Mondovino auf NZZonline, im Wechsel mit den unten wiedergegebenen Fenstern © NZZ

Ringier mit Katzenfutter, NZZ mit Wein …

Christian Müller /  Journalismus dient mehr und mehr der Beschaffung von Kundendaten. Guter Journalismus allein zahlt sich nicht mehr aus.

«Macht guten Journalismus – das war die Botschaft des Schweizer Verlegers Michael Ringier, hierzulande (in Deutschland, Red.) mit den Magazinen Cicero und Monopol präsent. Auch er zeigte sich reuig. Groß und reich geworden seien die Verleger mit journalistischen Inhalten. Mittlerweile würden sie sich brüsten, wie hoch der Umsatzanteil mit digitalem Geschäft sei und darüber vergessen, dass dieses digitale Geschäft mit Produkten wie Katzenfutter oder Küchenwerkzeugen wie dem ‹Hot-Dog-Boy› betrieben würde. Dabei warf er die entsprechenden Angebote von der Burda-Seite ‹zooplus.de› und dem Ringier-Unternehmen ‹Betty Bossi› an die Leinwand. ‹Was hat das mit Journalismus zu tun?›, fragte Ringier und forderte zur Rückbesinnung auf. ‹Wir erreichen Millionen, weil wir Inhalte verkaufen, die wir den Journalisten verdanken.› In dieses Edelmetall zu investieren statt in den ‹Schrott› im Netz sei der richtige Weg. Die Zukunft des Zeitschriftengeschäfts sieht er darin, den Journalismus mit den ältesten Regeln des Handwerks zu achten und mit den neuesten Technologien zu fördern.»

Ob man’s glaubt oder nicht: Das stand am 19. November 2010 in der Frankfurter Rundschau. Vor nur fünf Jahren!

Ob sich im Hause Ringier noch jemand daran erinnert? Cicero, das unter der Schirmherrschaft von Frank A. Meyer in Berlin gegründete und zwölf Jahre lang zur erwünschten Profitabilität – leider nicht erfolgreich genug – hochgepäppelte politische Kulturmagazin, das letzte Feigenblatt für guten Journalismus im Hause Ringier, erreichte die 100’000er Auflage nie und wurde diese Woche auch noch fallengelassen. Man hat es, zusammen mit Monopol, der Cicero-Chefredaktion überlassen.

Ringier hat nun auch Cicero fallengelassen.

Auch Ringier verdient sein Geld nicht mehr mit gutem Journalismus, sondern – wir zitieren – mit «Schrott». In den grossen Medienhäusern, Springer, Ringier, Tamedia und etlichen anderen, dient Journalismus fast nur noch dazu, die Profile der Leserinnen und Leser zu erhalten, um diese dann mit gezielter Werbung zu bedienen – der neuen digitalen Welt sei Dank! Und was man mit der «Profil»-basierten Werbung bewirbt, kommt mehr und mehr aus eigenen Shops. Der Online-Handel floriert.

Ringier/Swisscom/SRG – kein Zufall

Man weiss es: Kaum war die Abstimmung über die neue Finanzierung der SRG am 14. Juni 2015 vorbei, wurde es publik: Ringier, Swisscom und SRG machten hinter dem Rücken der Öffentlichkeit ein Päckli. Sie wollen künftig in der Werbevermarktung zusammenarbeiten. Auch Infosperber hat darüber berichtet. Da es bei allen drei Päckli-Partnern um Marktgiganten geht, ist es aber eben nicht nur ein Päckli, sondern ein Pakt der Mächtigen. Zu Recht wehren sich die anderen Medienunternehmen dagegen, dass bundesnahe Betriebe zum Vorteil eines privaten Medienunternehmens ihre Daten herausgeben dürfen. Letzte Woche haben diese anderen Medienunternehmen, darunter die Tamedia (TagesAnzeiger, 20minuten), die NZZ (inkl. St. Galler Tagblatt und Neue Luzerner Zeitung) und die AZ Medien Gruppe (AZ/Nordwestschweiz; Schweiz am Sonntag; TeleZüri, Radio24 u.a.), auch den Rechtsweg beschritten, um diesen Pakt der Giganten zu verhindern.

Die Argumentation ist klar. Ein Beispiel:
Headline: Die Schweizer Medienwelt, wie sie bisher war, verschwindet
«Die SRG und die Swisscom gehen in der Werbung zusammen, Ringier tritt aus dem Verband Schweizer Presse aus, Tamedia erzielt bald die Hälfte seiner Einnahmen mit nicht publizistischen Angeboten: Nach 15 Jahren Krise verfolgen die Grossen der Medienbranche je eigene Rezepte für das Überleben, schreibt Felix E. Müller.

Es ist ein Eklat mit symbolischer Bedeutung: Am Donnerstag ist Ringier, eines der grössten Medienhäuser der Schweiz, mit sofortiger Wirkung aus dem Verband Schweizer Presse ausgetreten. Anlass war ein Paukenschlag, der am Montag die Medienbranche erschütterte: Swisscom, die SRG und Ringier gaben bekannt, dass sie eine gemeinsame Organisation für den Verkauf von Werbung gründen – zwei staatsnahe Unternehmen, die zusammen mit der Boulevardspezialistin die übrigen Medienhäuser im Kampf um Werbegelder fortan massiv konkurrenzieren dürften.
Denn die präzisen Nutzerdaten, die Swisscom von Millionen von Schweizern besitzt, werden es der SRG erlauben, personalisierte TV-Werbung auszuspielen, etwa jungen Eltern Pampers, der Tierliebhaberin Katzenfutter, dem Önologen harmonische Rotweine anzupreisen. Damit vermag die SRG ihr Werbeverbot für Online zu neutralisieren, das der Gesetzgeber zum Schutz privater Medienanbieter erlassen hat. Sie hält den Buchstaben des Gesetzes zwar ein, verfügt aber künftig über alle Vorteile, welche die individualisierte Online-Werbung bietet.»

Diese Sätze stammen aus einem längeren Artikel auf Webpaper der NZZ.

Was Michael Ringier vor fünf Jahren in Frankfurt erzählte, um es im eigenen Haus gleich wieder zur strategischen Makulatur zu erklären, war und ist aber noch immer – mutatis mutandis – die Argumentation der NZZ. Ob von der Redaktion, vom Verlag oder vom Verwaltungsrat, die Message war und ist immer noch dieselbe: Die NZZ setzt auf gute Publizistik – von der parteipolitisch einseitigen FDP-Nähe mal abgesehen.

Allerdings: Auch die NZZ geht fremd in den Kommerz, schon seit einiger Zeit. Noch verkauft sie zwar kein Katzenfutter. Die Profile der NZZ-Leserinnen und -Leser ergeben keinen Hinweis darauf, dass sie besonders viele Katzen halten. Aber wer die NZZ liest, der trinkt natürlich auch Wein!

Und so gibt es eben auch hier ein «Päckli», wenn auch nicht ein ganz so grosses wie das der drei Giganten Ringier/Swisscom/SRG. Immerhin: Coop, der intime Weinfreund der NZZ, hat rund 40 Prozent Marktanteil im Schweizer Detailhandel. Und Coop hat einen Wein-Online-Shop, genannt Mondovino.

Doch schön der Reihe nach:

Im Impressum der NZZ am Sonntag ist Peter Keller als ganz normaler Redaktor aufgeführt, im Ressort Stil:

Nomen est omen: Peter Keller versteht etwas von Keller – zumindest von Weinkeller. Er empfiehlt regelmässig gute Weine, auf NZZ-Level natürlich, also meist nicht die billigsten (Im Moment empfiehlt er unter anderem einen Tessiner Merlot von Vinattieri für CHF 149 oder auch einen Rioja von Benjamin de Rothschild für CHF 64.50.) Keller ist aber nicht nur der Berater der Wein trinkenden NZZ-Leser, er ist auch DER Weinexperte von Mondovino – also von Coop:

Total transparent: NZZ-Redaktor Peter Keller empfiehlt

Weinraritäten für NZZ-Leser – und bereits taucht rechts das Logo von Mondovino auf…

Peter Keller, Redaktor der NZZ am Sonntag, ist also jetzt auch der Weinexperte von Coop.

Mondovino Raritätenweine – für Sie ausgesucht

Darunter wörtlich: Öffnen Sie die Türe des exklusivesten Weinkellers bei Coop. Hier finden Sie gesuchte rare Weine – jetzt neu auch persönlich ausgesuchte Tropfen von Peter Keller, dem NZZ am Sonntag Weinredaktor.

Alles klar?

Interessante Bemerkung

Am 4. Januar 2016 schrieb NZZ-Chefredaktor Eric Gujer über Claudia Schoch, die per Ende Jahr in den Ruhestand getreten war: «Sie verkörperte wie wenige andere den besonderen Typus des NZZ-Journalisten, der eben nicht nur Berichterstatter, sondern zugleich ausgewiesener Experte in seinem Fachgebiet ist ( ).» Im ersten Moment dachten wir, dieser Satz beziehe sich vor allem auf ihn, Eric Gujer, selber, weil er – in welcher Form auch immer – den Schweizerischen Nachrichtendienst NDB beraten hat. Doch hinterher, wenn wir jetzt an Mondovino denken, deren Werbung eben wieder auf NZZ online zu sehen ist, verstehen wir die Aussage Gujers etwas umfassender: Es ist die Rechtfertigung, dass NZZ Redaktoren auch Experten für die Privatwirtschaft sein dürfen.

»Schrott» statt «guter Journalismus» – bei Ringier, bei Tamedia, bei mehr und mehr Verlagen. Bei der NZZ noch in eher bescheidenem Ausmass. Wäre schön, wenn das Techtelmechtel NZZ/Coop Mondovino die Ausnahme bliebe.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war rund 15 Jahre im Medienunternehmen Ringier tätig, rund acht Jahre redaktionell, rund 7 Jahre im Verlagsmanagement.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 20.02.2016 um 13:57 Uhr
    Permalink

    Ich kann mir ein sarkastisches Lächeln nicht verkneifen.
    Wenn die lieben Massenmedien als allzusehr vorgefiltertes Sprachrohr im Dienste der ganz Grossen Wirtschafts- und Interessenmächte (denen Reuters gehört) Pulikum vermissen, ist das KEINE Absage an Journalismus, aber ein Absage an ein äusserst monotones langweiliges flaches und durchschaubares Programm.

    Es ist für mich ein Ausdruck des sich emanzipierenden Empfängers, der irgendwie, diffus vielleicht merkt, dass er für seine Verarschung wohl kaum noch selbst bezahlen muss. Das kann er, wenn er es denn wirklich haben will, kostengünstig vor dem Spiegel machen, und das ist erst noch viel lustiger.

    Oder, anders, zielorientiert formuliert: Liebe Massenmedien: Schreibt doch über Dinge von Belang, Dinge, die mich erheben, wenn denn schon amerikafreundlich, russlandfeindlich, afrikaignorierend und absolut israelunkritisch, dann bitte doch auch die jeweilig andere Seite und Zwischenmeinungen, damit ich mir meine eigene Meinung bilden kann. Ich mute mir das zu. Darf ich Euch bitten, das auch zu tun?
    Ihr seid frei dabei, wenn ihr wählt, weiterhin für mich zu denken und zu filtern, zu Euren ausschliesslichen Gunsten, dann ist es ein Scheissspiel, für das ich nicht bezahlen werde, das ich sogar ignorieren werde.

    Für meine Würde,
    David Schläpfer

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