Kommentar

Die Royals haben mehr Medienpräsenz als der Krieg in Jemen

Helmut Scheben © zvg

Helmut Scheben /  Das Problem grosser Nachrichtenmedien sind weniger Fake-News als das Vernachlässigen wichtiger Themen. Ein Vergleich in den USA.

Die US-Fernsehsender ABC, NBC und CBS widmeten der Hochzeit der britischen Royals in ihren Abendnachrichten im vergangenen Jahr mehr als dreimal soviel Sendezeit wie dem Krieg in Jemen. Prinz Harry und Meghan Markle durften sich 2018 einer News-Coverage von 71 Minuten erfreuen, der Krieg in Jemen kam auf 20 Minuten. Zu diesem Ergebnis kommt der Tyndall Report, der seit 1987 die Abendnachrichten der drei US-Sender auf ihre Themenauswahl und Gewichtung untersucht.
Jemen ist das ärmste der arabischen Länder. Es ist geostrategisch von geringem Interesse, da es weder Öl noch Gas exportiert. Der Krieg hat laut «Save the Children Charity» seit 2016 mehr als 85’000 Kinder in die Hungersnot getrieben. 60’000 Erwachsene sind Opfer von Kriegshandlungen geworden. Drei von 28 Millionen Einwohner wurden vertrieben.
Andrew Tyndall, der Autor des Reports, hält die Themengewichtung der drei Sender für symptomatisch. Sie zeige das abnehmende Interesse der US-Medien an der Aussenpolitik und die zunehmende Hinwendung zu Inland-News und Boulevard-Themen, die eine höhere Quote garantierten. Nur 7,5 Prozent der Abendnachrichten waren 2018 dem Ausland gewidmet. Zu den dreissig Top-Auslandthemen der drei Sender gehörte nicht einmal der Brexit, dagegen äusserst prominent die Rettung von Jugendlichen aus einer überfluteten Höhle in Thailand mit einer Coverage von insgesamt 100 Minuten.1

In den europäischen Fernsehnachrichten mag das Ungleichgewicht zwischen Politik und seichten Boulevard-Themen nicht so krass ausfallen, die Symptome sind jedoch die gleichen. Das eigentliche Problem unserer News-Produktion ist nämlich weniger das Verbreiten von gefälschten Geschichten (z.B. immer mal wieder «russische U-Boote in schwedischen Gewässern») als das Verschweigen wichtiger Ereignisse. Selbst da, wo diese am Rande erwähnt werden, versinken sie kurz danach unweigerlich im Müll der Zerstreuung. Der Philosoph Paul Virilio sprach von einer «Industrie des Vergessens», von einer News-Industrie, die mit rasender Schnelligkeit unaufhörlich alles zuschüttet, was sie eben noch produziert hat.
Wenn man bei «20Minuten» von einem «Tank-Desaster» liest, welches die Influencerin Anja Zeidler erleidet, weil sie ohne Benzin mit ihrem Auto stehenbleibt, sodass sie nicht glauben kann, was ihr da gerade «widerfährt», dann kann man morgens in der S-Bahn ein wenig grinsen. Man kann sich aber auch fragen, wo die Grenze überschritten wird, an der unsere Spass- und Zerstreuungsgesellschaft in die Verblödung abdriftet. Man könnte es mit Gelassenheit beobachten, wäre da nicht die Möglichkeit, dass uns demnächst zum Beispiel ein Atomkrieg «widerfährt», wenn die Spirale der Aufrüstung mit der derzeitigen Intensität weiterdreht, und dass diese reale Gefahr in unseren Medien weniger präsent ist als die Diskussion darüber, ob man genderneutrale WC bauen muss oder was man gegen den Haarausfall seiner Katze tun kann. Unter Präsident Obama winkte der Kongress Pläne durch, für die Aufrüstung der US-Atomwaffen in den kommenden Jahrzehnten eine Billion Dollar zu budgetieren. Manche Kalten Krieger in Washington faseln bereits von der Notwendigkeit, Trump müsse unter Beweis stellen, dass die USA einen nuklearen Krieg gewinnen können. [«They‘re Talking About „Winnable“ Nuclear War Again»]2

Dauerbrenner: der zersägte Kashoggi
Wenn das saudische Regime verdächtigt wird, einen unbequemen Journalisten umgebracht zu haben, bricht weltweit Empörung aus und die Sache wird zum Durchlauferhitzer in den Medien. Als dasselbe Regime in Zusammenarbeit mit den USA Dschihadisten finanzierte, bewaffnete und nach Syrien schickte, um dessen Regierung zu stürzen, schien das für unsere Medien kein wichtiges Thema.

Es handelt sich aber um einen Bruch des Völkerrechts, um ein Verbrechen, für das die Regierungen von Saudi-Arabien, Katar, der USA und ihre NATO-Verbündeten verantwortlich zu machen wären. Der Krieg in Syrien geht mittlerweile ins neunte Jahr und hat laut UN-Quellen eine halbe Million Menschen das Leben gekostet.
Schulterzucken und Gleichgültigkeit in den News-Redaktionen: Man hat sich abgefunden mit imperialer Machtpolitik. Man recherchiert lieber zu den Details der Säge, mit welcher der saudische Journalist Jamal Kashoggi zerteilt wurde. Nichts wissen, nichts hören und nichts sehen will man von dem Telegramm, welches US-Botschafter William Roebuck 2006 aus Damaskus nach Washington schickte. Dort macht er – fünf Jahre vor Kriegsbeginn – ein Dutzend Vorschläge zur Destabilisierung Syriens.3
Nichts wissen will man von der Aussage des ehemaligen französischen Aussenministers Roland Dumas, der im Fernsehen sagte, britische Geheimdienstleute hätten ihm 2010 in London gesagt, man werde Truppen nach Syrien schicken, um die Regierung Assad zu stürzen.4
Dass also zumindest in Washington und London dieser Krieg von einflussreichen Kreisen geplant wurde, wird verschwiegen. Grosse Medien halten bis heute unerschütterlich an der Version fest, der sogenannte arabische Frühling sei der Urheber des Krieges in Syrien.

Dauerbrenner: die Russia Collusion
Unter allen Ausland-Themen von ABC, NBC und CBS nahmen die sogenannte «Russland-Verstrickung» des Präsidenten Donald Trump und weitere düstere Russland-News den meisten Platz ein, insgesamt 501 Minuten in den Abendnachrichten.
Wenn die Mächtigen die Medien dazu bringen können, die falschen Fragen zu stellen, dann brauchen sie vor den Antworten keine Angst zu haben. Das zeigt beispielhaft die «Russia Collusion».

Wer interessiert sich noch für die 199. Folge dieser amerikanischen Soap Opera? Da wird ermittelt und ermittelt und schwere Besorgnisse, Befürchtungen, Warnungen und Mutmassungen in unerbittlicher wöchentlicher Dosierung dem Medienzirkus verabreicht. Oft intravenös durch sogenannte Leaks aus Kreisen der Ermittler, die offensichtlich das Geschäft der Clinton-Demokraten betreiben. Das geht nun seit 2016 so, und am Ende eines jeden Zeitungsartikels steht der Satz, es gebe «keine Beweise für eine Konspiration zwischen Präsident Trump und russischen Regierungsstellen zwecks Beeinflussung der Präsidentenwahl 2016».5

Für den Nachweis von rechtswidrigen geheimen Absprachen mit Russlands Regierung ist es unerheblich, ob Donald Trumps Wahlkampfmanager Manafort Steuern hinterzogen oder früher einmal in der Ukraine geschäftet hat. Wie es auch unerheblich ist, ob ein Mitarbeiter von Trump einmal mit einem russischen Botschafter oder einer russischen Rechtsanwältin geredet hat. Oder ob Trump durch seinen Anwalt Michael Cohen einer Prostituierten Schweigegeld zahlen liess, weil sie versuchte, ihn im Wahlkampf zu erpressen. Das mag aufschlussreich sein zur moralischen Beurteilung des Donald Trump, mit Politik hat es nur insofern etwas zu tun, als die Demokraten seit ihrer Wahlniederlage 2016 kein Mittel unversucht lassen, Trump an den Karren zu fahren, indem sie behaupten, er habe seinen Wahlsieg Wladimir Putin zu verdanken. Die liberalen Medien der US-Ostküste – wie die New York Times – haben sich zu Lautsprechern dieser politischen Operette machen lassen.

Zur Erinnerung: Als es darum ging zu recherchieren, wieviel Geld aus Moskau in die Clinton-Stiftung floss, oder wieviele Milliarden Dollar die USA für den Regime Change in der Ukraine ausgegeben hatten, da waren dieselben US-Medien weniger eifrig bei der Sache.

Seymour Hersh, Pulitzerpreisträger und Big Old Man der amerikanischen Investigativ-Journalisten, sagte kürzlich in einem Interview mit der NZZ, die Behauptung, Moskau habe etwas mit Trumps Wahlerfolg zu tun, sei blanker Unsinn: «Glauben Sie bloss nicht, dass die Russen dran schuld waren. Das ist verrückt. Wir sind sehr gut im Nachrichtendienst. Wir wissen, wer’s war, und wenn’s die Russen gewesen wären, dann hätten wir das klar gesagt. Aber es gibt null Evidenz. Das war einzig ein politisches Urteil, weil der Grund ja nicht etwa sein durfte, dass Hillary Wähler als ‚bemitleidenswert‘ betitelt hatte.»6

Sollte Trump tatsächlich Kontakte mit russischen Offiziellen gehabt haben, um über Schritte zur Abrüstung zu reden, dann hätte er als Politiker keinen Landesverrat begangen, sondern einen guten Job gemacht. Entspannung mit Russland wäre im Interesse des Westens gelegen. Ob es auch im Interesse der US-Rüstungsindustrie und der mit ihr verfilzten Konzerne und Politiker gelegen wäre, darf man bezweifeln.

716 Milliarden Dollar Verteidigungs-Etat: Das ist ein fetter Brocken, der 2019 aus den Taschen der amerikanischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in den Rachen jenes Ungeheuers gelangt, das Präsident Eisenhower in einer prophetischen Warnung bereits 1961 als «militärisch-industriellen Komplex» bezeichnete. Aufrüstung kurbelt die Wirtschaft an und lässt sich nur begründen mit Drehbüchern für Konflikt und Krieg. Heute profitieren in den USA praktisch alle grossen Industriekonzerne von Rüstungsaufträgen.

Bernd Ulrich, Leiter des Politik-Ressorts der Wochenzeitung «Die Zeit» legt den Finger auf wunde Stellen in der Politik und im Medienbetrieb, wenn er die «Strategie des Beschweigens» kritisiert. Die Unobjektivität und Einseitigkeit der Berichterstattung sieht er unter anderem begründet in dem Faktum, dass die Alphatiere der Leitmedien in «transatlantische Netzwerke» eingebunden sind. Diese gäben vor, die gute Partnerschaft mit den USA zu pflegen, doch schreibt Ulrich: «De facto sind sie auch ein Transmissionsriemen für die amerikanische Denkart in der Aussenpolitik, für die je angesagte Politik Washingtons. In diesen Netzwerken wurde in den Jahren der Mittelost-Kriege eine Politik vordiskutiert und rationalisiert, die aus heutiger Sicht als stellenweise durchgeknallt bezeichnet werden muss.»
Der Politikwissenschafter Ulrich Teusch zitiert diese Passage in seinem Buch «Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten».7 Er warnt vor der glatten Politikfassade, die uns oft in Nachrichtensendungen gezeigt wird. Nach dem Motto: Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.
Teusch plädiert für mehr Mut: «Wo immer dominante Narrative auftauchen, haben integre Journalisten die Pflicht, sie auf den Prüfstand zu stellen, die andere Seite zu zeigen, Gegengewichte zu schaffen. Dazu braucht es, zugegeben, ein klein wenig Courage; man macht sich mit so etwas nicht unbedingt beliebter, man eckt an, vermasselt sich vielleicht sogar die Karriere. Aber was wäre die Alternative: einfach mitzumachen?»8
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FUSSNOTEN

1https://consortiumnews.com/2019/03/07/royal-wedding-got-triple-the-media-coverage-of-yemen-in-2018/
2The‘re Talking About „Winnable“ Nuclear War Again
3https://wikileaks.org/plusd/cables/06DAMASCUS5399_a.html
4https://www.youtube.com/watch?v=-MoOD1vnvaI
5Vgl. z.B. NZZ, 9. März 2019, S.5
6https://www.nzz.ch/feuilleton/pulitzer-gewinner-seymour-hersch-geschwindigkeit-verdummt-cable-news-sind-ein-desaster-ld.1414023
7Ulrich Teusch: Lückenpresse. Westend Verlag 2016. S.22
8Teusch, S. 207


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 17.03.2019 um 13:52 Uhr
    Permalink

    Es ist ein wechselseitiger Prozess zwischen den SENDERN von Botschaften, Nachrichten, Kommentaren, …, und den Empfängern.
    Die meisten Empfänger lesen das gerne, was einfach tönt und ihre Vorurteilen im Mitläufer-Effekt entspricht.
    Wieviele von der Masse haben und/oder nehmen sich noch die Zeit einen hochqualitativen, ausgewogenen Text zu lesen zu verstehen und zu merken ?
    Wer hat noch die Grösse und Stärke einen eigenen Denkfehler zuzugeben, wenigstens vor sich selbst ?
    Wer möchte nicht im Machtkampf zu den siegreichen Teil des Volkes zählen,
    koste es der Gesellschaft was es wolle ?
    Wie hat ein junger Klimaaktivist gesagt,
    "Es geht auch um eine grundlegende Änderung der Geisteshaltung."

    Damit die Liebesmühe von anständigen und kompetenten Journalisten und Medien auf fruchtbaren Boden fällt braucht es … ja was noch ?

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