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Alzheimer-Patient: Gen-Lobby hat falsche Hoffnungen genährt © Alainboucheret/Flickr

Gentechnik gegen Krankheiten bisher ein Riesenflop

upg /  Die grossmundigen Versprechen der Gen-Lobby haben sich trotz Milliarden von Pharma- und Steuergeldern weitgehend in Luft aufgelöst.

Vor elf Jahren verkündete US-Präsident Bill Clinton, das menschliche Genom sei entziffert. Endlich könne man die genetischen Ursachen vieler Krankheiten erforschen und dann gezielt Medikamente entwickeln. In zehn Jahren sei es so weit, behauptete damals der Direktor der Genom-Abteilung der amerikanischen National Institutes of Health an einer Medienkonferenz.
Um Milliarden von Forschungsgeldern locker zu machen, spielten Gen-Lobby, Diagnostik- und Pharmafirmen mit der Angst vor den verbreiteten Alterskrankheiten Alzheimer und Parkinson. Immer wieder wurde die Hoffnung genährt, diesen Krankheiten beizukommen, wenn der Staat nur sämtliche Schranken für die Genforschung beseitige.
Von Alzheimer und Parkinson ist kaum mehr die Rede
Zehn Jahre sind vorbei. Doch in letzter Zeit ist nur noch selten von Alzheimer oder Parkinson die Rede, weil man weder den Ursachen, geschweige denn Therapien näher gekommen ist. Auch bei Krebs- oder Herzkrankheiten sind die Erfolge und die gegenwärtigen Erfolgsaussichten dürftig.
«Nach einem Jahrzehnt und drei Milliarden verbrauchten Dollar für das ‹Human Genome Project› müssen wir fast auf Feld 1 zurück», bilanzierte die New York Times.
Der Leiter des internationalen HapMap-Projekts, das den Nutzen der Gentechnik für die Medizin erforscht, stellt fest: «Die einzige ehrliche Aussage ist heute, dass wir nicht wissen, ob wir optimistisch oder pessimistisch sein sollen.»
Euphorische Bilanz in der NZZ am Sonntag
Dessen ungeachtet verbreitete die NZZ am Sonntag im Februar ein Interview mit dem Krebs-Exponenten des Pharmakonzerns Pfizer und behauptete im Titel des daneben stehenden Artikels: «Die Entzifferung des menschlichen Erbguts bringt die Krebstherapie entscheidend voran.»
Falsche genetische Voraussagen für Herzkrankheiten
Als Beweis für den «entscheidenden» Fortschritt führt die NZZ am Sonntag die Krebsmedikamente Erbitux und Glivec an. Glivec ist seit Jahren das Vorzeigebeispiel: Es verlängert das Leben von Patienten mit einer bestimmten Form von Leukämie. Der Erfolg von Erbitux dagegen ist äusserst bescheiden: Das Medikament kommt bei fortgeschrittenem, bereits metastasierendem Darmkrebs nach bereits erfolgter Chemotherapie zur Anwendung und verlängert das Leben – oder meistens das Leiden – um ein bis vier Monate.

Von einem auch nur geringen Erfolg der Gentechnik bei Alzheimer und Parkinson redet wie gesagt niemand mehr. Als weiteren grossen Flop erwähnt die NYT die 101 entdeckten genetischen Variationen, welche statistisch angeblich zu häufigeren Herzkrankheiten führen. Die Gen-Variationen haben Forscher eines grossen Spitals in Boston dank genetischen Screenings herausgefunden und grosse Hoffnungen genährt.
Doch es folgten ausschliesslich Enttäuschungen. Die Auswertung einer langfristigen Beobachtung von 12’000 Frauen zeigte überhaupt keinen Zusammenhang auch nur von einer dieser Gen-Variationen mit dem Auftreten von Herzkrankheiten.
«Wir bleiben jetzt bei der altmodischen Methode, um ein spezielles Risiko zu bestimmen: Wir prüfen, wie häufig Herzkrankheiten in der Verwandtschaft vorkommen», erklärte die Hauptautorin der Gen-Variationen-Studie Nina P. Paynter.
Weiterer «Durchbruch» stellt sich als Flop heraus
Als bei der Amerikanerin Juliet Jacobs Lungenkrebs diagnostiziert wurde, wollte sie die bestmöglichen Ärzte konsultieren und die bestmögliche Behandlung haben. Ihre Erkundigungen führten sie im Februar 2010 an die Duke University in Northern Carolina und sie beteiligte sich an einem vielversprechenden Forschungsprogramm.
Ärzte analysierten ihre Krebszellen um herauszufinden, welche Medikamente für ihre spezielle Gen-Konstellation den Lungenkrebs am besten bekämpfen können.
Das Ausprobieren verschiedener Medikamente werde damit unnötig, sagten die Professoren. Das «Duke Programm» wurde letztes Jahr noch als «Durchbruch» gefeiert: Die Krebszellen selber sollen verraten, worin ihre Schwäche besteht, die man dann gezielt angehen kann.
Unseriöse Forschung
Doch wie andere starb Juliet Jacobs wenige Monate nach Behandlungsbeginn. Das «Duke Programm» basierte auf Studien, die wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen. Die Tests der Krebszellen waren wertlos.
Aufsichtsbehörden wie das National Cancer Institute oder das Institute of Medecine mussten zugeben, dass sie nicht in der Lage waren, die vorgelegten und veröffentlichten Studien seriös zu prüfen. Bei der Genforschung bestehe ein grundsätzliches Problem: Wie in den Labors von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen gearbeitet werde, könne eigentlich fast niemand mehr kontrollieren. Und so seien auch die Studien kaum mehr kontrollierbar, die sich auf diese technisch äusserst komplexen Laborarbeiten stützen.
Auswertungsfehler zu spät erkannt
Die Kontrolle versagt ebenfalls bei der Auswertung der Laborbefunde und einzelner Forschungsresultate. Die Forscher und Investoren wollen ein handfestes Resultat sehen, und das macht sie manchmal auf beiden Augen blind.
So haben Statistiker schon vor längerer Zeit die Auswertung der «Duke»-Forschung, welche die Fachzeitschrift «Nature Medecine» im 2006 veröffentlicht hatte, als statistischen Unsinn entlarvt. Doch die «Duke»-Forscher sprachen von «Schönheitsfehlern» und fingen an, Patienten zu behandeln.
Die Statistiker Keith Baggerlly und Kevin Coombes erstatteten darauf Anzeige beim National Cancer Institute. Doch dieses Institut ist mit der Krebs-Lobby verhängt und griff nicht durch.
Erst als im Juli 2011 der «Cancer Letter» berichtete, dass der «Duke»-Forscher Anil Potti, der die Hauptstudie im 2006 veröffentlicht hatte, mehrfach «Abstracts» fälschte und verschiedene falsche Angaben machte, war der «Durchbruch» der Duke-Forschung endgültig als Niete entlarvt. Vier veröffentlichte Studien mussten zurückgezogen werden.
Was übrig bleibt, sind falsch behandelte Patientinnen, zu Unrecht genährte Hoffnungen und ein unnötiges Verschwenden von Forschungsgeldern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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