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Hausärztinnen und Hausärzte leisten einen grossen Anteil für eine gute und kostengünstige Medizin. © Creators Collective/Unsplash

Sogar Verband der Hausärzte will kein Hausarztobligatorium

Monique Ryser /  Bundesrat Alain Berset läuft mit seinem Erstversorgungsmodell erneut auf. Nicht einmal Hausarzt-Exponenten zeigen sich erfreut.

Die Prämien für die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) steigen stetig, der Unmut ebenfalls. Für dieses Jahr beträgt die mittlere Prämie für einen Erwachsenen 374.- Franken, das sind rund 110.- Franken mehr als noch vor zehn Jahren. Wie der Vergleichsdienst Comparis prognostiziert, wird sie nächstes Jahr im Durchschnitt um rund ein Prozent steigen. Zwar konnten mit verschiedenen Massnahmen die Steigerungsraten gedrückt werden, doch die Beteiligten tun sich schwer, grundsätzlich am System etwas zu ändern.
Innenminister Alain Berset hat einen Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt, der zu einer Kostendämpfung führen soll. Unter anderem schlägt er nach der Ablehnung der Managed-Care-Vorlage in der Volksabstimmung 2012 nun erneut die Einführung einer obligatorischen Erstberatungsstelle für alle Versicherten und die Stärkung der koordinierten Versorgung vor. Das heisst vereinfacht, dass nur noch zum Spezialisten gehen darf, wer vorher den Hausarzt konsultiert, ein Managed-Care-Modell oder eine telefonische Erstberatung gewählt hat.

Hausärzte verursachen nur acht Prozent der Kosten
Die Zahlen sprechen dabei klar für die Regel, dass die Hausärzte erste Anlaufstelle sind: Haus- und Kinderärzte könnten 94 Prozent der Gesundheitsprobleme selber lösen, wie der Verband mit Verweis auf das Institut für Hausarztmedizin schreibt. Und: Sie verursachen nur rund acht Prozent der Gesundheitskosten. Doch bereits kurz nach der Pressekonferenz Bersets war klar: Auch diesmal hat der Vorschlag keine Chance. Das ist bemerkenswert: Dass sich Spezialärzte dagegen wehren, liegt auf der Hand. Sieht man sich die obigen Zahlen an, ist klar, dass sie bei einer besseren Koordination der Leistungen wohl eher weniger verdienen würden. Auch, weil damit sicher unnötige Operationen, Behandlungen oder Untersuchungen vermieden würden.

Gegen ein Obligatorium
Aber auch die Hausärzte sind nur teilweise damit einverstanden. Sie schreiben in einer ersten Reaktion zwar: «Hausarztbasierte Gesundheitssysteme sind das Rezept für ein finanziell tragbares und qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen.» Doch dann kommt das Aber: «Die Haus- und Kinderärzte Schweiz setzen dabei auf Freiwilligkeit und lehnen Massnahmen ab, die zu Rationierungen führen und zulasten des Patientenwohls gehen.» Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe), erklärt die ablehnende Haltung so: «Das Hausarztmodell funktioniert gut, wenn alle Beteiligten freiwillig teilnehmen. Zwang ist kontraproduktiv.» Bereits heute wählen 70 Prozent der Versicherten ein Hausarzt- oder Managed-Care-Modell. Bei rund einem Drittel der Versicherten funktioniere das sehr gut, bei etwa 40 Prozent sei das Verhältnis Patient – Arzt – Krankenkasse neutral und beim restlichen Drittel gebe es Probleme zwischen den Partnerinnen und Partnern des Modells, so Luchsinger. Und weiter: «Patientinnen und Patienten müssen sich gut mit der Hausärztin oder dem Hausarzt verstehen, sonst klappt es nicht. Deshalb ist ein Obligatorium der falsche Weg.» Besser wäre, weitere Anreize zu schaffen, um solche Modelle zu wählen. «Für Chronischkranke wäre beispielsweise denkbar, dass ihnen der Selbstbehalt verringert wird, wenn sie ein Hausarztmodell wählen. Denn seien wir ehrlich: Der Grund, ein Hausarzt- oder Managed-Care-Modell zu wählen, ist leider heutzutage immer noch der Rabatt bei der Prämie.» Deshalb müsse man über andere Anreize nachdenken.

Gesunde regeln das Gesetz für Kranke
Richtet sich der Widerstand der Hausärzte beim Managed-Care-Modell «lediglich» gegen das Obligatorium und nicht gegen das Prinzip, ist ihre Ablehnung beim zweiten wichtigen Punkt fundamental: Bundesrat Berset schlägt finanzielle Zielvorgaben vor. Diese dürften nicht überschritten werden. «Leidtragende wären ganz eindeutig die Mehrfachkranken», sagt Cyrill Jeger aus Olten, der sich in jahrzehntelanger Tätigkeit als Hausarzt auch politisch engagiert hat. «Das Problem ist, dass es fast nur Gesunde sind, die am System für die Kranken rumschrauben. Wenn in der Praxis eine chronischkranke Mutter sitzt, können Sie nicht mit Zielvorgaben kommen. Da geht es darum, dass sie ihr Leben möglichst gut meistern kann.» Auch Luchsinger bemängelt das «Unverständnis der Politikerinnen und Politiker für die Kranken». Er fordert deshalb einen Runden Tisch, nicht nur mit Experten und Verbandsvertretern, sondern mit allen Beteiligten. «Auch Patientinnen und Patienten gehören einbezogen. Der Denkfehler ist, dass immer noch die einzelne Krankheit, und nicht der Patient und die Patientin im Zentrum steht. Das gibt eine andere Optik und auch andere Lösungen. Und: Das heisst nicht, dass alles teurer würde. Es geht darum, das Geld richtig einzusetzen, Krankheit zu behandeln, aber eben auch Krankheit zu verhindern.» Das würde vielleicht auch dazu führen, dass sich die Schweiz besser ein Gesundheitsgesetz gäbe und nicht mit dem Krankenversicherungsgesetz herumdoktern müsste.

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Infosperber-Dossier: Gesundheitskosten


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6 Meinungen

  • am 2.09.2020 um 12:25 Uhr
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    «Obligatorischen Erstberatungsstelle» tönt schrecklich, «Hausarzt» tönt gut und ist gut. Ohne Hausarzt gibt es kaum ein effizientes und effektives Gesundheitssystem. Wahrscheinlich ist es falsch, eine offensichtlich gute Lösung vom Staat vorzuschreiben. Das Hausarztmodell soll besser verkauft werden – nicht nur finanziell – und der Beruf des Hausarztes/ der Hausärztin soll viel mehr gefördert werden.

  • am 2.09.2020 um 15:31 Uhr
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    Wieviel kosten eigentlich die vielen einzelnen privatisierten Krankenkassen? Wieviel kosten diejenigen welche wegen einer hohen Franchise zu spät in Behandlung gehen? Wieviel kosten uns die gewinnorientierten Pharmakonzerne welche alte bewahrte bewährte kostengünstige Medikamente vom Markt nehmen und leicht verändert das gleiche wieder neu Patentiert auf den Markt werfen? Wieviel kostet uns die Schere zwischen Reich und Arm, welche immer mehr auseinandergeht? Was kosten uns die Alkoholschäden und derren Spätfolgen jedes Jahr? Versuchen wir doch mal die richtigen Fragen zu stellen.

  • am 3.09.2020 um 05:42 Uhr
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    Seltsam wenn eine Gesellschaft durch die Politik und andere Einzelinteressen nur noch mit Preisen, Kosten gesteuert werden kann. War es nicht doch früher einfach so das man zum Arzt ging wenn man krank war und sich wegen der geringen Kosten (Kopfsteuern der Versicherungsprämien) nicht gezwungen sah das maximale aus diesem System rausholen zu müssen. Noch war man wegen der geringen Kosten gezwungen andere Aspekte des täglichen Lebens dafür aufgeben zu müssen, zumindest für den grossteil der Bevölkerung nicht. Heute hingegen hängen die Kopfsteuern der KK Prämien wie eine Strafe in den Haushalten, strafen alle mit normalen Einkommen ab und so lassen sich die Menschen durch dieses unwürdige System von einer Ecke in die nächste hetzen. Angst ist es was die Menschen treibt den durch die absurd hohen Prämien subventionieren die Armen im Land die Reichen. Ein einmaliges Prinzip das es Weltweit so nicht nochmal gibt und dessen asoziale Irrwege die Bevölkerung schachmatt setzt den es gibt keinen Ausweg. Also müssen die Einnahmen des Gesundheitssystems, dessen Kosten sich übrigens seit Jahrzehnten im Bereich von 11% des BNP bewegen und somit keinesfalls explodieren!, durch solche ersetzt werden die konsequent die ökonomische Leistungsfähigkeit berücksichtigen.

  • am 3.09.2020 um 12:32 Uhr
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    Darf ich Ihre zu denken gebende Liste um ein paar Fragen erweitern sehr geehrter Herr Gubler? Welche Kosten entstehen durch Entlassung der PatientInnen sofort nach OPs durch schwerwiegende, zu spät erkannte Komplikationen wie Ileus, Wundinfekte, Kreislaufprobleme, Stürze,… (ich habe als Fachperson einige gesehen, die unter Beobachtung im Spital niemals so dramatisch und somit teuer verlaufen wären, vom Leiden der Menschen und Folgeschäden einmal abgesehen), durch Angst der Ärzte vor den Kosten und dadurch Verniedlichen von Beschwerden und so zu später Behandlung/Diagnostizierung von Krankheiten, durch billige Behandlungen mit verzögerter Heilung (billige Wundverbände, Inkontinenzmaterial, Lagerungskissen, fehlende Physiotherapie…), generell durch Verunsicherung der PatientInnen durch Drohung mit den Kosten …mir wurde «lustigerweise» nach Handfraktur gesagt, ich solle doch nicht auf eine OP drängen, die Behandlung erfolge konservativ…ich hatte aber gar nie nach einer OP gefragt, weil ich selber keine OP wollte…..es war grotesk und das kuriose Gespräch war nur unter dem herrschenden Kostendruck zu verstehen…)

  • am 7.09.2020 um 15:10 Uhr
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    Ich sage es gerne nochmals: das ewige Herumdoktern an bestimmten Teilen des ganzen Systems bringt wenig bis gar nichts. Das System als solches muss neu gedacht werden. Beispiel: der Begriff «Grundversicherung» sagt es schon: damit soll eine medizinische Grundversorgung sichergestellt werden. Das war damals ja die Idee. Inzwischen ist das Ganze derart ausgeufert, dass die Prämien bald durch die Decke gehen. Mehrere Ärzte haben mir das lachend bestätigt: der Leistungskatalog der Grundversicherung ist komplett überlastet. «Da könnte man problemlos einen Drittel streichen, ohne dass damit die Qualität leiden würde» (O-Ton eines praktizierenden Arztes). Tatsächlich hat man das im BAG erkannt und eine Truppe zusammengestellt unter dem tollen Namen «Health Technology Assessments (HTA)» Seit 7 (sieben!) Jahren sind die daran, zu schauen, was man weglassen könnte im Leistungskatalog. «Sieben Jahre später ist davon nichts realisiert worden», moniert die eigd. Finanzkontrolle in ihrem Bericht vom 19. Mai 2020. Ich hoffe jetzt auf die neue Leiterin des BAG ab 1. Oktober. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Der bisherige Leiter, Herr Strupler, hatte da wohl «kä Luscht»…

  • am 27.09.2020 um 17:26 Uhr
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    Es ist zum Davon…….!! Wann geht man die Probleme endlich bei der Wurzel an! und das wäre bei überbordendem Zucker und chemischen Mist in der Nahrungskette. Allein damit würden Millionen durch weniger Kranksein gespart und gleichzeitig die allgemeine Wirtschaft angekurbelt. Würde die Ärzteschaft dann endlich MEZIS (mein Essen zahle ich selbst) beitreten, dann wäre das ein weiterer Schritt. Wer rechnet mal aus, was es uns bis heute gekostet hat, dass der Vorgänger vom Herrn Berset die Homöopathie aus dem Leistungsprogramm strich, auf Grund sachlich falscher «Studie» und entgegen 2 äusserst positiven Studien, die man monatelang versteckte? Sperber weiss berichtet genug davon! Warum mahnte z.B. die OECD die Schweiz wegen diversen Mängel? Auch die Agrarpolitik muss mit ins Boot. usw. Wo sind die Rechenkünstler, die diese Sparmöglichkeiten berechnen?

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