Kommentar

Ein Ja zur CVP-Prämieninitiative dient der Bürgerkunde

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Die Verfassung soll der Grundversicherung eine Kostenbremse vorschreiben. Dann wird augenfällig, wie wenig die Verfassung wert ist.

Unter dem populistischen Titel «Kostenbremse gegen Kollaps im Gesundheitswesen» lanciert die CVP im Hinblick auf die Wahlen die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Einführung einer Kostenbremse im Gesundheitswesen». Die Kosten der Grundversicherung sollen künftig nicht mehr stärker steigen als die Wirtschaft und die Löhne. Falls die Kosten trotzdem stärker steigen, verlangt die Initiative von den Parlamenten des Bundes und der Kantone «Massnahmen zur Kostensenkung für das nachfolgende Jahr».
Die CVP möchte mit ihrer Initiative vom allgemeinen Ärger über die stetig steigenden Prämien profitieren. Doch als Absender ist sie ziemlich unglaubwürdig:

  • Für eine Weichenstellung in Richtung mehr staatlich organisierter Versorgung hätte die CVP die Initiativen für eine Einheitskasse unterstützen müssen. Hat sie nicht. Und sie hätte eine andere Medikamentenregulierung unterstützen müssen, damit die Krankenkassen in der Schweiz nicht mehr europaweit am meisten für Medikamente zu zahlen haben. Tat sie aber nicht.
  • Für eine andere Weichenstellung in Richtung eines qualitätskontrollierten Wettbewerbs müsste die Partei die Vertragsfreiheit zwischen Ärzten, Spitälern und Kassen unterstützen, die Dreifachrolle der Kantone als Besitzer, Regulierer und Kontrollierer von Spitälern entflechten, sowie Transparenz über Nutzen und Schaden der unterschiedlichen Behandlungshäufigkeiten in verschiedenen Regionen bringen. Das alles unterstützt und unterstützte die CVP aber nicht.

Trotzdem unterstütze ich die CVP-Initiative aus folgenden zwei Gründen:

  1. Unsere Gesundheitsversorgung ist die teuerste Europas bei nur durchschnittlicher Behandlungsqualität. Unnötige, ja schädliche Überbehandlungen werden, auch wegen falscher finanzieller Anreize, immer häufiger. Die anteilsmässige Zunahme der älteren Bevölkerung trägt nur wenig zur Kostensteigerung bei (vgl. Infosperber: «An steigenden Kosten sind nicht die Alten schuld»). Es kann deshalb nicht schaden, wenn die Bundesverfassung ein Kostendach ausdrücklich vorsieht.
  2. Der Verfassungsartikel kann zwar nicht schaden, aber er wird auch nichts nützen. Die Lobbyisten im Parlament werden sich trotz Verfassungsartikels weiterhin mit Erfolg wehren gegen alle kostendämpfenden Massnahmen, welche ihre Umsätze, Gewinne und Honorare schmälern. Einig waren und sind sich die Lobbys nur bei Massnahmen, welche noch mehr Geld ins Gesundheitssystem schleusen, oder bei einer Umschichtung von Kosten der Kassen oder der Steuerzahlenden auf die Bevölkerung («Eigenverantwortung»).
    Trotzdem unterstütze ich den Verfassungsartikel. Er kann zum provozierendsten derjenigen Verfassungsartikel werden, die hohle Buchstaben bleiben. Ein schönes Beispiel also, das in jeder Bürgerkunde verwendet werden kann, um zu zeigen, dass das Parlament die Bundesverfassung nicht respektieren muss.

Falls es die CVP wirklich ernst meinen würde mit ihrer Kostenbremse und ihrem «Kampf gegen hohe Prämien», müsste sie sich gleichzeitig für ein Verfassungsgericht einsetzen. Das tat und tut sie jedoch nicht.
Die direkte Demokratie kann kein Hindernis für ein Verfassungsgericht sein, das seinen Namen verdient. Das zeigt das Beispiel von Kalifornien mit seinen vielen Volksabstimmungen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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3 Meinungen

  • am 23.04.2018 um 17:09 Uhr
    Permalink

    Es ist doch heute gang und gäbe, dass Verfassungstexte nach Belieben von Bundesrat, Parlament und Parteien ausgelegt werden. Ich wünsche mir ein Verfassungsgericht.

  • am 23.04.2018 um 18:56 Uhr
    Permalink

    Unser Gesundheitswesen ist krank

    Das sind alles unnütze und verzweifelte Versuche, die Kosten der Grundversicherung „irgendwie zu reduzieren“, also reine Symptombekämpfung.
    Krank ist das System. Vor über 20 Jahren tönte das einfach und effizient: in einem Katalog wurden die Leistungen von A wie Atemnot bis Z wie Zeckenbiss aufgelistet, die bezahlt werden. Ende Jahr wird zusammengezählt und der Betrag geteilt durch die Anzahl Mitglieder ergibt die Monatsprämie. Voilà. Was dann geschah, sehen wir heute: alle bedienen sich wie im Selbstbedienungsladen. Patienten, die von Arzt zu Arzt hüpfen genauso wie die Ärzte, Spitäler oder die Pharmaindustrie. Ungeachtet der wachsenden Kosten.
    Also muss man das System grundsätzlich überdenken. Drei Punkte dazu. Der Leistungskatalog: Ärzte haben mir spontan bestätigt, dass er dringend um etwa einen Drittel zusammengestrichen werden müsste. Was da alles drin sei, habe mit dem Begriff „Grundversicherung“ nichts mehr zu tun. Oder die Anzahl Spitäler: im Kanton Bern hat es so viele wie in ganz Schweden(!). Sie stehen in einem harten Wettbewerb, alle wollen alles machen und buhlen um „Kunden“. Und drittens die unsinnige Anzahl Krankenkassen mit Personal- Administrations- und Marketingkostenblöcken, die wir alle zuerst mit den Prämien bezahlen, bevor das erste Rheumapflaster vergütet wird.

    Heute ist es anders. Das System ist ernsthaft krank. Es müsste grundlegend überarbeitet werden. Nur so kommen wir aus dieser unsäglichen Kostenfalle.

  • am 31.05.2018 um 12:04 Uhr
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    Alex Schneider: Ich gehe mal von der Annahme aus, dass der Bund sich gegen ein Verfassungsgericht zur Wehr setzt, weil dieses dann eben die Parlamentarier und den Bundesrat in die Fesseln der Bundesverfassung hineinzwingen würde.

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