Sprachlupe: Verneinungen und andere Logik-Tücken

Daniel Goldstein /  Achtet man beim Reden und Schreiben nicht auf die Logik, so hat man rasch etwas anderes gesagt als gemeint, zumal bei Verneinungen.

«Wer sich wie die FDP nicht zu den eigenen Ursprüngen bekennt und gegen den Staat kämpft …»: Wirft hier jemand den Freisinnigen vor, ihre staatsfeindlichen Ursprünge zu verleugnen? Nein, mündlich hat der Schriftsteller Lukas Bärfuss wohl mit einer Kunstpause nach «bekennt» deutlich gemacht, dass der Kampf gegen den Staat eben gerade nicht zu den Ursprüngen der Partei passt. Aber bei der schriftlichen Wiedergabe des Gesprächs (in der «Sonntagszeitung») wäre der Gegensatz nur durch eine andere Formulierung klar geworden: «… sondern gegen den Staat kämpft».
Bei gutem Willen verständlich
Meistens wird man trotz Zweideutigkeit gut verstanden, weil das Gegenüber aufgrund des Zusammenhangs aus verschiedenen logischen Möglichkeiten die richtige wählt oder überhaupt anstelle der Logik den gesunden Menschenverstand walten lässt. So bei diesem Satz: «Schweizer reisen nicht, weil es billiger ist, zum Skifahren nach Vorarlberg.» Man vermutet sofort, es müsse andere Gründe für den Abstecher über die Grenze geben als den Preis – aber eigentlich steht hier, Schweizer verzichteten, vom tiefen Preis abgeschreckt, auf diese Reise. Ist nicht das gemeint, so muss zumindest das Komma verschoben werden: «… reisen, nicht weil es billiger ist», oder noch besser: «… reisen nicht deshalb, weil es billiger ist …». Und was ist wohl mit folgendem Titel einer Pharmareklame gemeint? «Sie bestimmen ihr Leben. Nicht Ihre Blase.» Na ja, alles kann man nicht bestimmen.
Gottfried Kellers Talent
Im «Grünen Heinrich» schrieb Gottfried Keller über seine Schulzeit: «Dort galt ich für nichts weniger, als einen talentvollen Zeichner.» Wer es las, begriff wohl auf Anhieb, dass die zeichnerische Begabung verkannt wurde. Denn hätte er als Kunsttalent gegolten, hätte Keller geschrieben: «… galt ich für nicht weniger», also «nicht» ohne s (und nach heutigen Regeln hätte er in beiden Fällen das Komma weggelassen). Wir Heutigen erkennen erst aus dem Zusammenhang ganz sicher, was er meinte. Die Unterscheidung mit und ohne s wäre auch heute noch logisch, aber der Sprachgebrauch hat sie verwischt – und er hat den Vorrang, denn schliesslich geht es um Verständigung. Der Zweifelsfälle-Duden (Band 9) befindet, dass «nichts weniger als auch im Sinne von ‹nichts Geringeres als› gebraucht werden kann». Er empfiehlt aber für unklare Fälle eine andere, eindeutige Formulierung.
Bevor keine Klarheit herrscht
Bevor sich ein unlogischer Sprachgebrauch nicht gebieterisch durchgesetzt hat, darf man sich ihm durchaus verweigern. Just in dem Satz steckt mit «bevor nicht» so ein Beispiel: Es geht ja um den Zeitraum vor der Durchsetzung, also hat «nicht» hier nichts verloren – was wäre denn der Zeitraum vor einem nicht eingetretenen Ereignis? Das störende Wort hat sich wohl aus «solange nicht» eingeschlichen, wo es durchaus am Platz ist. Der erwähnte Duden 9 hat diese Vermischung als gebräuchlich registriert, er empfiehlt «bevor nicht» sogar, wenn der Nebensatz vorangeht: «Bevor du nicht unterschrieben hast, lasse ich dich nicht fort.» Riskiert man wirklich, missverstanden zu werden, wenn man «bevor» logisch richtig ohne «nicht» verwendet?
Ist sie dort – oder nur vertreten?
Bisweilen nistet sich ein Wortsinn ein, der dem ursprünglichen widerspricht: «Über die Hälfte ihres Lebens ist sie bereits in Parlamenten vertreten», stand im Porträt einer Kandidatin. Gemeint war, so lang habe sie Parlamenten angehört – durch jemanden vertreten sind ja alle, zumindest die Wahlberechtigten. Doch der Online-Duden registriert für «vertreten sein» auch die Bedeutung «anwesend, zugegen sein». Also könnte man spitzfindig bemäkeln, die effektive Sitzungszeit habe nie und nimmer die Hälfte des Lebens ausgemacht. Undenkbar, dass dies doch der Fall wäre – und schon haben wir das angeblich Undenkbare gedacht. Aber selbst wo die Logik nicht mehr mitkommt, weiss der Duden Rat – mit den Synonymen «ausgeschlossen, nie, undurchführbar, unmöglich» für «undenkbar».
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin: Sprache ist (nicht) wie Algebra


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 9.04.2018 um 14:30 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Goldstein
    Schönheit von Sprache, Korrektheit von Sprache, Klarheit von Sprache, welch ein Genuss! Aber auch Schiller machte Logik-Fehler.
    Ein solches Lektorat würde ich mir wünschen für Texte, mit welchen ich kein Risiko eingehen möchte. Warum nicht eine Dienstleistung von infosperber? Nicht gratis, versteht sich!

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