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Strategien zur Rettung des Planeten © -

Rekrutierung zum globalen Öko-Widerstand

Hans Steiger /  Schwarzgrüner Block? Grünrote Armee? ‚Deep Green Resistance’ meldet sich auch deutschsprachig zu Wort.

Nach zwei aus den USA stammenden akademischen Analysen zum sogenannten Anthropozän, die uns Menschen als dominante, alles verheerende Art vorführen, las ich «Deep Green Resistance» – eine Art aktivistisches Gegenmanifest. Nochmals unbequeme Themen, noch schrillere Stimmen aus dem mir fernen, fremden Nordamerika. Die britisch inspirierte «Extinction Rebellion» war mir ein Begriff. Von der älteren, ähnlich radikalen DGR-Bewegung wusste ich vor Ankündigung des Buches nichts. Auf der Website des deutschen Ablegers stach mir gleich der Titel einer Randrubrik ins Auge: «Du hast Fragen? Wir haben Antworten.» Mein ungutes Gefühl, von dem diese Rezension durchzogen sein wird, war geweckt.
Gegen die industrielle Zivilisation
Die nun erstmals übersetzte Schrift mit «Strategien zur Rettung des Planeten» erschien 2011, im Gründungsjahr der Organisation, die als «Zweck» kurz und bündig «Beendigung der industriellen Zivilisation» angibt. Dazu wollten Derrick Jensen, Lierre Keith und Aric McBay gemeinsam den Anstoss geben, doch in ihrer Publikation habe «jedes Kapitel einen Hauptautor». Als solcher verantwortet Jensen, der bereits «über fünfzehn Bücher» zu diesem Bereich verfasst hat, nur das Vorwort. Doch er scheint den Ton anzugeben. Die zwei andern beziehen sich öfters auf sein umfangreiches «Endgame». Untertitel dort: «Zivilisation als Problem». In der aktuellen Ausprägung sei sie «absolut und grundsätzlich unvereinbar mit ökologischer Nachhaltigkeit», beherrsche aber global die Mehrzahl aller Menschen. Nun skizziert Jensen auf wenigen Seiten nur noch knapp das Mörderische dieses «wirtschaftlichen und sozialen Systems», welches «die Welt kaputt macht, sie aushungert, sie gefangen hält, sie foltert». Stoppen lasse sich das einzig durch die Zerstörung dieses Systems. Um diesen «Gegenschlag» gehe es im Buch, aber die Kraft dazu käme aus Quellen der Liebe.
Danach konkretisiert Lierre Keith «das Problem». Sie steigt ein mit der Trauerschwalbe, deren Lebensräume vernichtet werden, einer Eisbärin, die hungernd Junge säugt, mit Schnecken, von denen nur noch Skelette, «kleine Stücke von orangen und indigoblauen Gehäusen» übrig sind. Bilder des Massensterbens. «Wie viel Trauer, Wut, Verzweiflung kannst du persönlich aushalten?» Im nächsten Absatz taucht Adolf Eichmann auf, ist von Konzentrationslagern die Rede. Wer leistete Widerstand? Wer wagt es heute? Was die Umweltorganisationen praktisch tun oder politisch vorschlagen, ändere nichts an den Strukturen, ihrer massiven Macht. Relativ leicht angreifbar wären Infrastrukturen. Gewalt gegen Gewalt? Zwar fühle sie sich «moralisch der Gewaltlosigkeit verpflichtet», betont die Autorin. Aufrufe zur Gewalt will sie «durch eine feministische Linse betrachten». Oft böten militante Gruppen nur «billigen Nervenkitzel für Männer-Egos». Aber ohne gezielt eingesetzte Widerstandsakte käme der ohnehin absehbare Zusammenbruch zu spät. Und es geht ja um die Zukunft «des Planeten» …
Kadergruppen plus breite Bewegung
Bei den auf dem Cover angekündigten «Strategien zur Rettung» ist dann ihr Kollege aus Kanada federführend. Aric McBay erweist sich schon sprachlich als weniger skrupulös. Aber auch sein Part wird mit einem Vogel eröffnet – dem Weibchen der Schwarzkehl-Nachtschwalbe, «die so loyal zu ihren Jungen ist, dass sie ihr Nest nur verlässt, wenn man darauf tritt». Es geht später noch öfters um Loyalität, etwa die von Unterstützenden gegenüber kämpfend Aktiven, deren «Rekrutierung» und «dezentrales Training» in der «Strategie D» skizziert werden. Zuerst aber wird die «Systematik des Handelns» erläutert, lehrbuchartig, teils auf militärischen Publikationen basierend. Die mit DEW als Kürzel versehene «Entschiedene Ökologische Kriegsführung» wird gestuft und gegliedert. Für die Untergrund-Operationen etwa sind Finanzierungen sowie logistische Hilfe nötig, es braucht neben der breiten Bewegung kleine Kadergruppen, dazu eine übergeordnete Strategie. Bei aller Planung sei stets «im Auge zu behalten», dass «auch der langfristige Ökokrieg» nicht «linear» voranschreiten werde. «Geheimhaltung, Trauma und Verrat» könnten zermürben, «aber es gibt auch die Möglichkeit des Sieges» … Bestimmt über hundert Seiten hinweg dominiert dieser Jargon.
Bald schon fühlte ich mich an die Anfänge der Roten Armee Fraktion RAF in Deutschland erinnert, die in anderem Zusammenhang ähnlich dozierte und agierte. Dort war das Zentrum des Imperialismus im Visier. Hier ist es die industrielle Maschinerie, von der Landwirtschaft angefangen bis in all unsere Lebensbereiche. Es sei «auf das Herz der Bestie» zu zielen, um eine «Kettenreaktion von Ausfällen» zu erreichen. Stromnetze, die Computer einer Börse beispielsweise. Bei der Betrachtung von historischen Erfahrungen finden sich denn auch Anmerkungen zur RAF. Diese wäre «wohl nicht effizient» genug vorgegangen, um die Macht des Staates zu schwächen, habe zudem «eine Reihe von sekundären Zielen wie Chauffeure und Leibwächter» getötet, damit viele Sympathien verspielt. Ekelhaft! Als eher enttäuschend werden auch die aktuelleren Auftritte von ‹Schwarzer Block›-Elementen taxiert. Einfach rasch ein paar «Fenster zu zertrümmern und dann zu fliehen», bringe zu wenig, sei auch keine Heldentat.
Kriegerische und sektiererische Züge
Die drei Angehörigen der potentiell globalen Öko-Widerstandsgruppe dürften sich selbst also weder als Schwarzgrünen Block noch als Grünrote Armee sehen. Aber ihre Militanz ist dem Militär nah; sprachlich sind sie im Krieg. Und das lässt bei mir alle Alarmlampen blinken. Hintergrund sind Erinnerungen an die Dynamik der RAF. Mitte der 1960er-Jahre hatte ich Gudrun Ensslin kennengelernt. Sie war wie ich von Hans Henny Jahnn sowie dem mit all seiner Sprachgewalt geführten Kampf gegen atomare Aufrüstung angetan. Ich propagierte als Buchhändler die dem Verstorbenen gewidmete Textsammlung, deren Herausgeberin sie war: «Gegen den Tod. Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe». Eine alarmierende, ethisch und pazifistisch grundierte Anthologie. Später engagierte sie sich im «Wahlkontor deutscher Schriftsteller» für den als Friedenspolitiker profilierten Willy Brandt. Nach der Erschiessung des friedlich demonstrierenden Benno Ohnesorg radikalisierte sie sich in Aktionen der ausserparlamentarischen Opposition. Zunehmend irritiert nahm ich wahr, wie sie schliesslich im hoffnungslosen Kampf der sogenannten Roten Armee Fraktion unterging. Ich halte ähnliche Dynamiken wieder für denkbar, sehe heute junge Leute, die am Gang der Dinge verzweifeln. Nicht zuletzt in militant für Tierrechte streitenden Gruppen dürfte es Verführbare geben. Und genau sie werden in «Deep Green Resistance» immer wieder angesprochen – appellierend, beschwörend.
Was die gesellschaftspolitische Zielrichtung betrifft, bleibt die Vision skizzenhaft, offen. Eine ziemlich skurrile Ferndiagnose findet sich zur Schweiz. Die sei «im Wesentlichen eine Föderation von Kleinstädten mit einer einzigartigen direkten Demokratie», und der für Politik zuständige «öffentliche Flügel von Deep Green Resistance» könnte sie als Modell nehmen. Auch der «kleine, verschneite US-Bundesstaat Vermont» wecke diesbezüglich Hoffnungen.
«Wirst du dich mir anschliessen?»
Ganz zum Schluss, wo Lierre Keith «unsere grosse Hoffnung» skizziert, schleicht sich der mehrmals aufscheinende Sekten-Duktus erneut ein. Zuerst wird noch einmal an die globalen Gewaltakte gegen natürliches Leben erinnert, nicht zuletzt gegen ihre Gebiete verteidigende Indigene. Solidarität wird beschworen, Mut gefordert. Und die Ansprache wird direkter, persönlicher: «Werdet ihr euch uns anschliessen?» Ja: «Wirst du dich mir anschliessen?» Das kann ich beantworten: Nein, denn ich finde es irrwitzig, gegen die ökologische Zerstörung einen Krieg führen zu wollen. Aber bei vielen davor gestellten Fragen nach möglichen Formen des Widerstandes, der notwendigerweise radikaler werden muss, fällt das Antworten weniger leicht, ist den vorgetragenen Argumenten schwerer zu begegnen. So problematisch dieses Buch ist: Sich mit seinen Inhalten auseinanderzusetzen, dürfte für kommende Diskussionen hilfreich sein.

Derrick Jensen, Lierre Keith, Aric McBay: «Deep Green Resistance. Strategien zur Rettung des Planeten». Promedia, Wien 2020. 350 Seiten, CHF 32.90

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Dieser Text erschien auch als Schlussteil einer Rezensions-Reihe zur (Um)Weltkrise in der P.S.-Sommer-Buchbeilage.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Gifte und Schadstoffe in der Umwelt

Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

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2 Meinungen

  • am 20.07.2020 um 17:58 Uhr
    Permalink

    Einzige Chance für den Fortbestand des Anthropozäns: Runter von acht auf vier Milliarden Homo Sapiens. Dann ist der Planet in Kürze wieder grün genug.

  • am 25.07.2020 um 19:48 Uhr
    Permalink

    Der US-Autor John Grisham beschreibt in Romanform die sozialen Verhältnisse in den USA unten u. das degenerierte US-Rechtssystem. Für mich sehr zutreffend.
    Wer „Berufung“ (Orginal: The Appeal), „Anklage» (Original: Gray Mountain) und weitere Bücher von ihm gelesen u. verstanden hat, dem kommt sofort der begründete Anfangsverdacht, dass es sich bei „Green Deep Resistance“ um eine sogenannte PAC-Organisation handelt.
    In den USA finanzieren die Mächtigen gerne die Dienstleistung von «Political Action Comittee» (PAC).
    Die Gekauften in den PAC’s sollen sich aber möglichst kontraproduktiv, unfähig für das Anliegen einsetzen und möglichst fragwürdige Mitläufer rekrutieren.
    Hier scheinbar für „GRÜNE“ Anliegen einsetzen, aber so dass, es in der öffentlichen Meinung möglichst schadet und den Geldmachern mit fossilen Energien nützt. Zuerst wurden Richterwahlen in den USA so manipuliert, dass Vorteilsnehmende oder Gesinnungs-Richter zum Vorteil von Kapitalgewaltigen in entscheidende Ämter von arglosen Wählern gewählt wurden.
    Das ist in den USA mehr oder weniger Verschwörungs- und Manipulations-Praxis. Aber nur noch eine kleine demokratische Minderheit liest noch Bücher, selbst wenn die gefällig einfach in Romanform geschrieben sind und Grisham ein Bestseller-Autor ist, bestimmt nicht unter Wählern des Trump-Lagers.

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