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Ein Lastwagen kippt acht Millionen 5-Räppler auf den Bundesplatz: Symbol für das Grundeinkommen © NN

Geld für alle: Mehr als eine sozialistische Utopie

Philipp Löpfe /  Das bedingungslose Grundeinkommen hat nichts mit Schlendrian zu tun. Es würde uns von staatlicher Hilfe emanzipieren.

Die Reaktion auf die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen im Nationalrat war vorhersehbar. «Arbeitsanreize fielen bei dieser gigantischen sozialistischen Umverteilung weg, ebenso der Wille zur Innovation», kommentierte beispielsweise die «NZZ» und kam zum Schluss: «Auf solche Experimente darf sich die Schweiz auf keinen Fall einlassen.»
Die Schweiz zeigt jedoch immer grössere Lust, sich auf ein solches Experiment einzulassen. Als die Idee vor rund zehn Jahren lanciert wurde, da wurden die Initianten entweder als naive Romantiker belächelt oder als Spinner verspottet. Das hat sich geändert. Zur allgemeinen Überraschung ist es gelungen, mehr als 100’000 Unterschriften für eine Volksinitiative zu sammeln. Deshalb haben wir bald die Gelegenheit, darüber an der Urne zu befinden.
Von «gigantischer sozialistischer Umverteilung» spricht heute nur noch, wer sich nicht mit der Sache befasst hat. Die Realität ist eine ganze andere: So hat beispielsweise die konservative finnische Regierung kürzlich das Grundeinkommen in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Stramm liberal denkende Ökonomen wie etwa Thomas Straubhaar oder Klaus Wellershoff, der ehemalige Chefökonom der UBS, haben sich als Befürworter des Grundeinkommens geoutet. Daniel Häni, eine der treibenden Kräfte der Initiative, stellt denn auch klar, dass das Grundeinkommen nichts mit Sozialismus am Hut hat: «Es würde ganz einfach ein freier Markt entstehen», erklärte er in einem Interview mit dem «MigrosMagazin». «Damit kann ich als Unternehmer sehr gut leben.»
Technologischer Wandel macht viele Jobs überflüssig
Nicht der verblassende Charme des Sozialismus ist verantwortlich für die wachsende Akzeptanz der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Der Grund liegt zunächst beim rasanten technologischen Wandel. Die «dritte industrielle Revolution» ist mittlerweile mehr als ein Schlagwort.

Immer mehr Menschen erfahren konkret im Alltag und vor allem am Arbeitsplatz, wie der technologische Fortschritt ihr Leben zu verändern beginnt. Und das ist erst der Anfang: Experten wie der ETH-Professor Dirk Helbing prophezeien bereits, dass bis 2050 rund die Hälfte aller Jobs überflüssig werden, weil intelligente Software und Roboter die meiste Arbeit für uns erledigen. Der amerikanische Starökonom Tylor Cowen spricht gar von 80 Prozent. Nicht «Kapitalismus oder Sozialismus?» lautet daher die zentrale Frage der sich abzeichnenden Wirtschaftsordnung, sondern: Mangel oder Überfluss?

Die Marktwirtschaft hat sich als sehr effizient beim Beseitigen des Mangels erwiesen. Etwas zugespitzt kann man sagen: Heute lebt ein Sozialhilfeempfänger komfortabler als ein Adliger vor 300 Jahren. Geht es aber darum, den Überfluss zu verteilen, versagt die Marktwirtschaft. Die Ungleichheit wächst und ein neuer Geldadel entsteht. Das widerspricht nicht nur den zentralen Werten einer bürgerlichen Gesellschaft, es wird auch zu einem Hemmschuh für die Wirtschaft.
Hundesitter mit Hochschulabschluss
Der Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt hat sich massiv verschärft, und er wird sich wegen des technischen Fortschrittes weiter verschärfen. Das Resultat sind stagnierende oder gar sinkende Löhne und steigende Arbeitslosigkeit. In der Schweiz erfreuen wir uns diesbezüglich noch paradiesischer Zustände, doch das könnte sich bald ändern: In Europa sind mittlerweile mehr als 20 Millionen Menschen arbeitslos, vor allem Jugendliche.

Natürlich werden mit dem technischen Wandel auch neue Berufe und damit Arbeitsplätze geschaffen. Es mehren sich jedoch die Zweifel, ob es auch genügend sein werden. Zudem ist es auch fraglich, ob eine Gesellschaft stabil sein kann, wenn Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss ihr Geld als Hundesitter, Yogalehrer oder Barista verdienen müssen. Eine bessere Verteilung der Arbeit – beispielsweise eine Reduktion der Arbeitszeit – scheint politisch chancenlos zu sein. Um die Wirkungen des starken Frankens abzufedern, werden neuerdings die Arbeitszeiten sogar wieder verlängert.

Angesichts dieser Entwicklung ist ein Grundeinkommen nicht eine moralische Frage, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. «Die Wirtschaft ist darauf angewiesen, dass die Menschen konsumieren», stellt Häni fest. «Wenn immer mehr Jobs von Maschinen erledigt werden, dann muss man den Menschen ein Grundeinkommen gewähren, damit sie sich weiterhin Güter und Dienstleistungen kaufen können.»

In einer ersten Phase der Diskussion um ein Grundeinkommen dominierte die Finanzierungsfrage. Wie hoch soll der Betrag sein? Sollen ihn auch Kinder erhalten? Woher kommen die zusätzlichen Milliarden? Darüber verzettelte man sich bald in fruchtlosen Diskussionen über technische Details und fragwürdige Statistiken.
Arbeit nicht abschaffen, sondern veredeln
Natürlich ist die Finanzierungsfrage wichtig. Noch wichtiger ist hingegen die Philosophie. Beim Grundeinkommen geht es nicht darum, die Arbeit abzuschaffen. Es geht vielmehr darum, sie zu veredeln. Die Vorstellung eines Schlaraffenlandes für alle ist daher kompletter Unsinn.

Bei einem Grundeinkommen können wir alle unser künstlerisches Talent ausleben, lautet eine weit verbreitete Vorstellung. Wir können den Jimi Hendrix oder den Picasso in uns entdecken und unbekümmert loslegen. Schön wär’s. Kunst und Wissenschaft haben – genauso wie Spitzensport – weniger mit Talent als mit Fleiss und Ausdauer zu tun. Wer es als Künstler oder Wissenschaftler an die Spitze bringen will, muss üben, üben und nochmals üben. 10’000 Stunden gilt als das Minimum, um in der obersten Liga bestehen zu können.

Das wird sich auch mit einem Grundeinkommen nicht ändern. Es wird keine Hängematte für eingebildete Künstler und Wissenschaftler aufspannen, sondern im Gegenteil den Wettbewerb verschärfen. Das Grundeinkommen wird uns daher zu einer neuen Ehrlichkeit gegenüber uns selbst zwingen. Das Gute daran: Wir haben so die Chance, selbstbestimmte Menschen zu werden. «Ich werde souverän. Ich muss nicht mehr denken und gehorchen, weil ich es brauche, sondern weil ich Mensch bin», schreibt Häni im Buch «Was fehlt, wenn alles da ist?», das er zusammen mit Philip Kovce verfasst hat.

Chancenlos, aber nicht nutzlos

Dass die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen an der Urne angenommen werden wird, ist äusserst unwahrscheinlich. Selbst die Initianten glauben nicht daran. Es wäre in der Praxis auch unmöglich, eine solche Umstrukturierung der Gesellschaft über Nacht vollziehen zu wollen. «Das Grundeinkommen wird nicht mit einer Revolution, sondern pragmatisch und in kleinen Schritten kommen», sagt Kovce.
Trotzdem ist die Initiative alles andere als nutzlos. Allein die Tatsache, dass es sie gibt, hat vieles in Bewegung gebracht. Es ist ein bisschen so wie mit dem Google-Auto. Seit man erkannt hat, dass es grundsätzlich möglich ist, ein solches Auto zu bauen, ist die Industrie aufgewacht. Ob wir bald von Software gesteuerte Autos auf unseren Strassen sehen werden, ist ungewiss. Doch Autos können jetzt plötzlich selbstständig parkieren und im Notfall auch selbstständig bremsen.
Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte – was unsere zukünftige Wirtschaftsordnung betrifft – eine ähnliche Wirkung auslösen. Und wer weiss, vielleicht spricht es sich ja sogar einmal bis zur NZZ herum, dass dies alles nichts mit Sozialismus und Schlendrian zu tun hat. «Das bedingungslose Grundeinkommen würde uns von staatlicher Hilfe emanzipieren», schreiben Häni/Kovce. «Der Staat könnte seine bevormundenden Tätigkeiten aufgeben.»

Dieser Artikel ist auf watson.ch erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Philipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er Wirtschaftsredaktor von watson.ch.

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Bedingungsloses Grundeinkommen

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6 Meinungen

  • am 13.10.2015 um 13:28 Uhr
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    So interessant die gedanklichen Spielereien eines Systems mit bedingungslosem Grundeinkommen sind, so unrealistisch ist dessen Umsetzung in der Praxis. Die Initianten schliessen wohl von sich auf andere und gehen davon aus, dass Menschen, deren Grundbedürfnisse durch andere finanziert werden, trotzdem einer Arbeit nachgehen möchten. Dabei ist bereits heute in der Sozialhilfe festzustellen, dass eine wachsende Anzahl Menschen lieber ein materiell sicheres Leben mit Einschränkungen einem Einsatz auf dem Arbeitsmarkt vorzieht. Ebenso gibt es eine wachsende Anzahl Menschen, die ein tieferes Arbeitspensum einem höheren Einkommen vorziehen. Wenn nun aber immer weniger arbeiten wollen, so wird die Belastung derer, die arbeiten und das Grundeinkommen mit ihren Steuern finanzieren, immer grösser. Dadurch verlieren auch sie den Reiz zu arbeiten. Gehen wir andererseits davon aus, dass Arbeit per se erstrebenswert ist und die Menschen geradezu danach lechzen, dann werden die Unternehmen die Löhne massiv senken können, da ja die Nachfrage nach Arbeit grösser sein wird als ihr Angebot. Schliesslich kommt noch die Politik ins Spiel – sie wäre es ja, welche die Höhe dieses Grundeinkommens fixiert. Je mehr Menschen nur vom Grundeinkommen leben wollen, umso stärker werden die Politiker in Versuchung geraten, dessen Höhe nach oben anzupassen um Wählerstimmen zu generieren. Ein bedingungsloses Grundeinkommen widerspricht schliesslich per se dem Prinzip der Eigenverantwortung.

  • am 13.10.2015 um 13:39 Uhr
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    «Der Staat könnte seine bevormundenden Tätigkeiten aufgeben.» – eben. 😀 Warum sollte «Der Staat» das wollen? Wer ist «Der Staat» überhaupt? 😉
    Wenn die «Herren des Geldes» ein BGE wollten, wäre es machbar denn das sind auch meine grössten Bedenken. «Geldadel» wurde angesprochen und solange das Rätselhafte Mysterium zinsbelasteter Schuldgeldschöpfung im dunkeln liegt, bleibt jegliche Verteilung dem Geldadel unterworfener Nebenschauplatz.
    Dennoch, das Thema ist wichtig. Es zeigt auf, dass tatsächlich auch «erwachsene» noch/wieder über Veränderung, Sinn und Bedürfnisse nachdenken dürfen. Über Geld, Geldschöpfung und -verteilung. Über all das «gottgegeben, selbstverständliche so und nicht anders» in steinerne Gemüter gemeisselte, die Selbstgeisselung aller Lohnsklaven, die wir das Recht mehr oder weniger «würdevoll» zu leben verdienen müssen.

  • am 13.10.2015 um 18:58 Uhr
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    Als Arzt sehe ich tagtäglich wie Patienten jahrelang zwischen IV und Sozialhilfe und zwischen Haft- und anderen Versicherungen von Anwälten für Milliardenhonorare zermalmt werden. Allein ein Ende dieses Wahnsinns wäre es Wert, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen. Dazu die Entlöhnung von Haus- und Betreuungsarbeit, die massive Reduktion administrativen Aufwands und Kosten, keine Demütigungen mehr durch Bezug von Sozialhilfe, etc. pp.

    Entscheidend ist dabei selbstverständlich dessen optimaler Betrag, welcher für Personen im gleichen Haushalt und für Kinder tiefer liegen und selbstverständlich aufgrund der Erfahrungen im Verlauf bei Bedarf erhöht oder gesenkt werden muss.

    Haben wir den Mut zum Fortschritt!

  • am 13.10.2015 um 19:49 Uhr
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    Natürlich müssen die Themen Vollgeld und Wirtschaftswachstum im Zusammenhang mit dem bGE gesehen werden.
    Umverteilung ist Status Quo und zwar von Wertschöpfung zu Wertabschöpfung. Die realen Werte können niemals so wachsen wie es die Geldmenge tut. Dies bedeutet dauernde Inflation, bis zum Zusammenbruch. Dass dieser noch nicht eingetroffen ist, dürfte teils der Einsicht vieler sehr reicher Menschen zuzuschreiben sein. Es gilt, die riesigen Geldwerte in Realwerte zu wandeln, bevor das System einbricht, deshalb geht es behutsam.
    L› homme marchand für 108 millionen sagt nicht nur etwas über den Wert der Kunst aus, sondern auch über den relativen Wert des Geldes.
    Die Wertabschöpfung muss zurückgeschöpft werden, wo sie eigentlich hingehört und dies kann durchaus in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens geschehen.

  • am 18.10.2015 um 10:08 Uhr
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    Falsch ist der Bezug auf Finnland: dort fordert niemand die Bedingungslosigkeit. Man will dort nur die von Th.Binder geschilderten Zustände verbessern.
    Richtig ist, dass uns die Entwicklung der Technik und des Arbeitsmarkts das von der Initiative geforderte Modell irgendwann aufzwingen könnte.
    Vorderhand bleibt aber die Frage der Finanzierung wichtig – so wichtig, dass die Initianten bewusst davon ablenken.
    Und nicht diskutiert wurde hier, was mit den Tieflohn-Jobs geschehen würde. Wer würde diese zu welchem Entgelt versehen?

  • am 18.10.2015 um 14:20 Uhr
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    Finanzierung: diese kann nur vom abgschöpften Girogeld her kommen, doch wie erhalten wir den Zugriff darauf? Und wenn schon, kann dies (leider) nicht ohne globale Vereinheitlichung erfolgen. Also vorläufig doch eine Utopie.
    Wer dann – nach manifestierter Utopie… – die unterbezahlte Arbeit tun würde, erachte ich als das kleinste Problem, es würde dann um einen Zuverdienst gehen und zwar in einem enspannteren Arbeitsmarkt als heute.
    Natürlich müsste das ganze Steursystem umgebaut werden. Gemäss Prof Marc Chesney würde eine Finanztransaktionssteuer von nur 0,2% alle andern Steuer ersetzen. Gewiss würden dann die Spekulationen im Sekundentakt abnehmen, was einen höheren Satz erfordern würde. Doch im Vergleich zu den äusserst komplizierten, ungerechten und hohen Steuern der Gegenwart ein Gewinn für alle, sogar für Sparer, Hausbesitzer und Firmen. Ein Leben ohne Vermögenssteuer….
    Hoffe natürlich, dass der Professor richtig gerechnet hat…
    http://www.srf.ch/sendungen/kontext/in-der-griechischen-krise-europa-neu-denken

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