Kommentar

Sprachlust: Stehende Ovationen an der Olympiade?

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Der Anlass ist nichts für Sprachpuristen: Nicht genug mit dem Namen «Olympiade», gibt es dort auch noch «stehende Ovationen».

Bald beginnt in Rio die Olympiade. Aber darf man die Olympischen Spiele so nennen? Auf griechisch bedeutete Olympiade die Vierjahresperiode von den einen Spielen bis zu den nächsten – aber in der Umgangssprache wurde es vielleicht schon damals «fälschlicherweise» für die Wettkämpfe verwendet. Heute heissen die nächsten Sommerspiele, getreu dem ursprünglichen Wortsinn, offiziell «Games of the XXXI Olympiad»: Die Spiele von Rio sind jene der 31. neuzeitlichen Olympiade. Und wenn es 2052 noch welche gibt, sind sie «of the XL Olympiad», aber hoffentlich nicht extragross. Die Olympiade wird ja auch dann nur vier Jahre zählen.
Schon im heutigen deutschen Sprachgebrauch bedeutet das Wort laut Duden nur selten den Zeitraum, normalerweise indessen die Spiele selber. Wer nicht düdeliger als der Duden sein will, darf sich also auf die Olympiade freuen. (Das Wort «düdelig» ist mir noch nie begegnet, wohl aber «tüdelig» für «leicht senil» und – hier passender – «tüttelig» für «zimperlich»). Wer sich über die Olympiade nicht recht freuen mag, kann sich als nächstes der Frage zuwenden, ob man von «stehende Ovationen» reden darf, wenn sportliche Grosstaten das Publikum von den Sitzen reissen.
Wer oder was steht denn da?
Darf man nicht, rufen die Verfechter sprachlicher Korrektheit aus, denn es stünden ja nicht die Ovationen, sondern deren Spender. Und Spenderinnen, fügen die Verfechterinnen politischer Korrektheit an, aber man kann es mit beiderlei Korrektheit auch übertreiben. Die Sprache ist nicht immer geschlechtergerecht und auch nicht immer logisch. Der Duden führt die «stehende Ovation» nicht auf, im Unterschied etwa zu stehenden Wendungen wie «stehendes Heer» (das zwar auch nicht immer steht, aber wenn, dann wenigstens selber). Wohl aber kennt er die «Standing Ovations», allein im Plural und mit der Erklärung, dies sei englischen Ursprungs und bedeute «Ovationen im Stehen». Der «begeisterte Beifall» (so die Erläuterung zu «Ovation») darf auf Denglisch offenbar nur in der Mehrzahl gespendet werden, obwohl er im Englischen vorzugsweise im Singular daherkommt.
«Ovation im Stehen» schreibt denn auch gerne, wer das lateinische Wort lieber direkt ins Deutsche importiert als via Englisch und zudem den Vorwurf vermeiden will, «stehende Ovation» sei doch unsinnig. Auch das exzellente Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de) lässt die Ovation nicht stehen – bis man die Option «Zeitungskorpora» anklickt und den Suchbegriff anpasst: Dann erschallt die «stehende Ovation» gleich reihenweise. Sogar in der «Zeit», der gemeinhin keine Schlampigkeit vorgeworfen wird.
Der Wechsel fliegt auch nicht selber
Und was wäre denn an «stehenden Ovationen» so schlimm? Gerade weil völlig klar ist, dass die Ovation nicht auf eigenen Füssen steht, kann man sie im Sprachbild stehen lassen (und dieses gelehrt eine Hypallage nennen, endbetont). Man darf sich bloss nicht darauf berufen, das englische Original sei genauso unlogisch. Denn die genaueste Übersetzung von «standing ovation» wäre wohl «Steh-Ovation». «Standing» kann sowohl «stehend» als auch «das Stehen» bedeuten, und Zusammensetzungen kommen im Englischen ohne Bindestrich aus.
Aber selbst wenn am Original logisch nichts auszusetzen ist, darf die Übersetzung unlogisch sein – zum Beispiel, weil man «Steh-Ovation» unschön und «Ovation im Stehen» gestelzt findet. Nicht immer bietet sich ein so eleganter Ausweg an wie in einem Konzertbericht der «Zeit», wo das Publikum dem Pianisten Richter «stehend Ovationen» bot. Schreibt man von «stehenden Ovationen», so kann man sich auf mindestens eine Analogie berufen: Der «fliegende Wechsel» etwa in den Laufstafetten fliegt ja auch nicht selber, sondern er erfolgt im (bildlichen) Fliegen – und hat dabei den Segen des Dudens.— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 17.07.2016 um 20:37 Uhr
    Permalink

    Ich meinte standing heisse andauernd, ständig. Ein Dauerauftrag bei der Bank ist ein «standing order». Somit wären «standing ovatins» Dauerapplaus, unabhängig davon ob man steht oder sitzt.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 17.07.2016 um 22:30 Uhr
    Permalink

    Die Oxford Dictionaries definieren es so: «A period of prolonged applause during which [those in] the crowd or audience rise to their feet."

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