Sprachlupe: Wie Fussballsprache trennt und verbindet

Daniel Goldstein /  Zum WM-Duell Schweiz–Deutschland kommt es nun nicht. In der Fussballsprache aber gibt es dieses ständig, auch innerhalb von TV SRF.

Wer eine fussballfreie Zone sucht, wird hier leider enttäuscht, aber vielleicht mit sprachlichen Funden entschädigt. Denn die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist auf die Idee gekommen, die laufende Weltmeisterschaft jeden Tag auf ihrer Website mit einer Betrachtung zur Fussballsprache zu begleiten. So kommt ein amüsantes und lehrreiches Kompendium zusammen. Der erste Eintrag befasst sich mit dem Objekt der Spielerbegierde; bei den Alternativen zu «Ball» kommt als einziger Dialekteintrag «Bölle» zu Ehren, mit dem Vermerk «Schweizerdeutsch».
So sagt man wohl im «Millionezüri» (man hört, wie in «Bölle», das «l» nur einfach; das zweite hält den vorangehenden Vokal kurz). Dass auch die berndeutsche «Ba-u-e» ins Spiel kommt, wäre gewiss zu viel verlangt. Immerhin bemüht sich die GfdS, über Deutschland hinauszuschauen. Ihre Pressemitteilung zur Serie verheisst Aufschluss darüber, «wie sich der Fussballjargon im österreichischen und im schweizerischen Dialekt verhält». Da ich befürchtete, alle ausserhalb Deutschlands geläufigen Ausdrücke würden als mundartlich eingestuft, schrieb ich der GfdS, dass in Österreich und der Schweiz manche Ausdrücke nicht nur im Dialekt, sondern auch in der Standardsprache anders lauten als in Deutschland. Etliches davon steht im Duden, z. B.: «offside … (Sport schweizerisch für abseits)».
Keine Angst vor Helvetismen
Im Band «Rechtschreibung» sind zudem in gleicher Weise markiert: Ausstich, Behind, Captain, Final, Forfait, Goalie, Kader, Leader, Nationalliga, Penalty, Parcours, Skore, Strichkampf, dazu als in Österreich ebenfalls gebräuchlich: Corner, Goal – allesamt ohne den Hinweis «mundartlich», der auf Grenzfälle der Standardsprache hinweist. Somit kann man die genannten Helvetismen ohne Bedenken verwenden, ausser wenn man befürchtet, das Gegenüber verstehe sie nicht. Der Spezial-Duden «Schweizerhochdeutsch» nennt weitere solche Helvetismen, die aber nicht im allgemeinen Duden stehen. Er verweist auch auf «ältere Lehnwörter, vorwiegend aus der Sprache des Fussballs, die in der Schweiz im Unterschied zu Deutschland nicht konsequent verdeutscht wurden» – zur Liste oben kommen noch Check und Ref –, «ferner das mundartnahe tschutten».
Die GfdS zeigte sich durchaus empfänglich für meinen Hinweis und liess mich einen Blick in den für 13. Juli geplanten Beitrag werfen, der die Standardsprache in Österreich und der Schweiz ebenfalls erwähnt. Er wird auch in diesen Ländern, nicht nur in Deutschland, allerhand Überraschungen zum Sprachgebrauch bei den Nachbarn bieten. Für mich zum Beispiel die: In seinem Buchtitel «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» verwendet Peter Handke einen Austriazismus; in Deutschland ist der «Tormann» ungebräuchlich.
Deutsch im Multipack
Quelle des GfdS-Beitrags ist der Aufsatz «Dialektale Aspekte der deutschen Fussballsprache in Österreich und der Schweiz» aus dem Sammelband «Flickflack, Foul und Tsukahara» (Dudenverlag 2009). Den Schweizer Teil schrieb Martin Hannes Graf, ein Redaktor des Idiotikons, also des Schweizerdeutschen Wörterbuchs. Das bedeutet aber nicht, dass «dialektale Aspekte» nur für die Mundart von Belang sind: Dialekte – ursprünglich gab es nichts anderes – sind auch die Hauptquelle für die Schriftsprache, die gemeinhin «Hochdeutsch» heisst und wissenschaftlich eben «Standarddeutsch».
Ob es davon nur eines – mit Varianten – gibt oder aber mehrere, ist vor allem in Österreich Anlass zum Gelehrtenstreit: Soll man «Österreichisches Deutsch» neben «Deutsches» und «Schweizerisches» stellen, so wie es «Britisches Englisch» und «Amerikanisches» etc. gibt? Als «Plurizentrismus» ist diese Sichtweise in der Sprachwissenschaft gut verankert. Aber als Deutschschweizer verspüre ich kein Bedürfnis, ein «Schweizerisches Deutsch» als eigene Standardsprache zu definieren. Heimatgefühle entstehen ohnehin nur bei der Mundart, und für die deutsche (nicht allein «deutschländische») Standardsprache reicht mir der Deutschschweizer Mitbesitz, der auch Helvetismen ihren Platz gibt – und der mir den «Elfmeta» des Schweizer Fernsehens ersparen möge.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin zum Thema


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.