Kommentar

Sprachlust: Wenn Dialekt der Swissness schadet

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Je mehr Schweizerdeutsch, desto besser für die Swissness? Nicht doch, wenn man an die Verständigung zwischen Sprachgruppen denkt!

«Ziel muss sein, dass Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer Hochdeutsch nicht als ‹Fremdsprache› empfinden.» So steht es in einem Massnahmenkatalog des Forum Helveticum (FH). Dieses «Forum für sprachkulturelle Verständigung» hat ihn am 24. Juni einem breiteren Kreis von Interessierten an einer Tagung in Bern vorgestellt und ist dabei kaum auf Widerspruch gestossen. Die Massnahmen oder eher Forderungen sollen nun an die Adressaten herangetragen werden, vor allem in Politik, Schulwesen und (elektronischen) Medien.
«Hochdeutsch ist in der Deutschschweiz eine Fremdsprache – aber doch nicht für mich!» So könnte man eine Umfrage zusammenfassen, in der 79 Prozent der Befragten der ersten Feststellung zustimmten, aber nur 30 Prozent meinten, das treffe auch für sie selber zu. Das war im Jahr 2003; möglicherweise wären es jetzt mehr. Denn FH-Präsident Roy Oppenheim (früher in leitenden Funktionen beim Schweizer Fernsehen) stellte fest, für jüngere Menschen werde Hochdeutsch tatsächlich «zunehmend zur Fremdsprache»; der Dialekt sei in Werbung und Medien auf dem Vormarsch.
Barriere für Anderssprachige
Dies und vor allem die verbreitete Abneigung, im Alltag bei Bedarf Hochdeutsch zu sprechen, schafft für anderssprachige Schweizer sowie Ausländer Verständigungsprobleme, wie Tessiner und Romands beklagten (während Rätoromanen meist auch Bündnerdeutsch reden). Pietro Gianinazzi, Präsident der Associazione Svizzera della lingua Italiana in Bern, fand es zudem unzulässig, in der Deutschschweiz Italienisch und Französisch als Fremdsprachen zu bezeichnen; schliesslich stünden sie in der Verfassung im gleichen Rang wie Deutsch – und von Schweizerdeutsch sei dort schon gar nicht die Rede.
Dagegen meinte Mariano Tschuor, Direktor der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha, andere hätten den Deutschschweizern nicht vorzuschreiben, wie sie reden sollten; die elektronischen Medien müssten auch volksnah und identitätsstiftend sein. SRF müsse «Mass und Mitte finden» und sei nach einer Phase der «Regionalisierung und Emotionalisierung» seit einigen Jahren wieder auf dem Weg zur Mitte, wo Hochdeutsch, Dialekt und sogar Mischformen je ihren Platz fänden. Als Zuschauer und Zuhörer hat man freilich Mühe, etwas von dieser Rückbesinnung zu merken.
Die Schule der offenen Nation
Das Hauptinteresse des Forum Helveticum und seiner Tagung galt der Schule, wobei man sich in Sachen Hochdeutsch im Einklang mit Erziehungsdirektoren (EDK) und Lehrervereinigungen sah; ebenfalls mit dem Lehrplan 21, soweit schon bekannt – nur müsse man die Standardsprache auch konsequent durchsetzen, mit der schweizerischen Form des Hochdeutschen. Bloss im Kindergarten soll der Dialekt den Ausgangspunkt bilden; hier «besteht die Chance, beide Sprachvarietäten lustvoll und spielerisch zu lernen und die künstliche Herz/Kopf-Aufteilung abzulegen».
Die Bemühungen, die Kindergärten ausschliesslich auf Schweizerdeutsch zu führen, erhielten lauter Absagen, am deutlichsten von EDK-Generalsekretär Hans Ambühl, der «politische Instrumentalisierung» anprangerte. Auf den Dialekt fixierte «Swissness» wirke sich gerade gegen die Mehrsprachigkeit aus, die doch den Kern der sprachlichen Schweizer Eigenart bilde. Denn Hochdeutsch diene zugleich der Verständigung mit Landsleuten (und Zuwanderern) und als Grundlage fürs Erlernen von Fremdsprachen; damit meinte er auch die einheimischen. Bei der Pflege der Mehrsprachigkeit hat, wie nicht nur Ambühl festhielt, der Dialekt ebenfalls seine Rolle: Er schärft das Ohr für die Vielfalt und verhilft zuweilen zu besserem Grammatik-Verständnis, zum Beispiel beim Konjunktiv.
Paradoxe Anti-Globalisierung
Die Ausweitung der Dialektzone hingegen – neuerdings bis in gedruckte Medien – ist als Reaktion auf die Globalisierung verständlich; sie wirkt sich aber gerade in dieser Hinsicht paradox aus: Sie trägt erstens zur Abflachung der Dialekte selber bei, zweitens rückt für die Kommunikation mit andern Sprachgruppen das Englische in den Vordergrund, und drittens leidet – mit der Mehrsprachigkeit – auch die Anbindung an jene Kultursprachen, an denen die Schweiz teilhat. Es wäre «grotesk», wie Roy Oppenheim meinte, wenn wir uns «aus dem deutschsprachigen Raum weghollandisieren» würden.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch

Zum Infosperber-Dossier:

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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