Die modernen Züge verdrecken die Bahnhöfe
Wer erinnert sich nicht? Während Jahrzehnten konnte man in Zug-Toiletten in die Schüssel schauen und sehen, wie Schwellen und Schotter unten durchrasten. Vom WC plumpste alles direkt aufs Trassee: Kot, Urin, WC-Papier, Spülwasser. Deshalb war in den Toiletten ein Schild angebracht: «Bitte den Abort bei Aufenthalt auf Bahnhöfen nicht benutzen.»

Nicht alle hielten sich daran. Entsprechend roch es in den Bahnhöfen, und entsprechend sah es aus. Bis 2016 waren Züge mit solchen WCs unterwegs.
Zuerst Fäkalientanks
Seit den 90er-Jahren beschafften die SBB dann Wagen, deren WCs mit Fäkalientanks ausgestattet sind. Ältere Wagen rüsteten sie um. Das Problem: Die Fäkalientanks müssen alle drei bis fünf Tage geleert werden.
Dann Bioreaktoren
In modernen Zügen, etwa den viel kritisierten Bombardier-Doppelstockzügen, ist das anders. Sie sind mit einem so genannten Bioreaktor ausgerüstet. Der Bioreaktor funktioniert wie eine kleine Kläranlage. Feststoffe und Flüssigkeiten werden getrennt.
Die Feststoffe kommen in einen Tank. Die Flüssigkeit wird, wie die SBB schreiben, «durch Bakterien biologisch behandelt und durch Erhitzung neutralisiert».
Fast wie früher
Anschliessend – und jetzt wird es interessant – wird die Flüssigkeit während der Fahrt abgelassen. Fast wie früher.
Vorteil: Die Tanks mit den Feststoffen müssen nur alle paar Wochen geleert werden.
Nachteil: Das System funktioniert nicht.
Besonders schlimm: Die Flüssigkeit kann nur bei Geschwindigkeiten zwischen 5 und 40 Kilometern pro Stunde abgelassen werden. Würde sie im Stand abgelassen, wäre das eine Zumutung für die Passagiere, die auf dem Perron warten. Es würden sich Pfützen bilden.
Würde die Flüssigkeit hingegen bei höheren Geschwindigkeiten abgelassen, würde sie verwirbelt und über den ganzen Unterboden samt Kabelkanälen und anderen Installationen verteilt. Zudem könnte die Gischt zu Korrosionsschäden führen.
Normalerweise in Bahnhöfen
5 bis 40 Kilometer pro Stunde also: Weil Züge auf offener Strecke kaum je so langsam fahren, lassen sie die Flüssigkeit normalerweise bei der Ein- und der Ausfahrt in Bahnhöfen ab.
Das führte im Sommer 2022 auf den Gleisen 31 bis 34 im Untergrund des Zürcher Hauptbahnhofs zu massiven Problemen. Es stank nach Fäkalien und faulen Eiern. Aber auch in besser durchlüfteten Bahnhöfen roch es schlecht.
Als Sofortmassnahme schwemmten die SBB in Zürich den Dreck drei Mal pro Woche weg. In anderen Bahnhöfen war das nicht möglich, weil die Bahntrassees dort über keine feste Fahrbahn mit Entwässerung verfügen.
Auch in den Zügen selber roch es häufig ganz übel. Manchmal mussten die Toiletten wegen Gestanks oder Verstopfung sogar geschlossen werden. Es kam vor, dass sich im ganzen Zug keine offene Toilette fand.
Falsche Seife
Später stellte sich heraus, dass die Bakterien nicht genügend arbeiteten. Deshalb setzten die SBB neue Bakterien zu, verbesserten die Sauerstoffzufuhr und ersetzten die Handseife. Denn diese war bakterienhemmend.
Und wie sieht es heute aus? Nicht besser, wie Bilder eines Infosperber-Lesers aus dem Bahnhof St. Gallen zeigen. Auf den Bildern ist ersichtlich, dass neben der Flüssigkeit auch Feststoffe auf die Geleise gelangen. Und so wie es aussieht – so riecht es auch. Wie schon seit Jahren: nach Fäkalien und faulen Eiern.

Die SBB nehmen das anders wahr. Sie sind zufrieden mit ihren Bioreaktor-Toiletten: «Wir haben die Gerüche reduziert und die WC-Verfügbarkeit verbessert.» Infosperber wollte wissen, warum es in den Bahnhöfen immer noch stinkt. Die SBB schrieben bloss: «Hierzu haben wir praktisch keine Reaktionen mehr.»
Die Rückstände auf den Gleisen seien «Sedimente», teilen die SBB mit. «Während der Hygienisierung können Sedimente ausgespült werden, die sich im Gleisbett ablagern.» Die SBB behaupten: «Diese Sedimente sind geruchsneutral und unschädlich für die Umwelt.»
3000 Toiletten in den SBB-Zügen
In den Zügen der SBB hat es rund 3000 WCs. Rund 1000 sind mit Fäkalientanks ausgerüstet, rund 2000 mit den beschriebenen Bioreaktoren. Bioreaktoren hat es in allen Zügen ausser den IC 2000, den ICN, den Astoro und den Giruno.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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