Wes Streeting

Die Geschäftsführerin des staatlichen Gesundheitssystems NHS, der Wissenschafts- und der Gesundheitsminister sowie der CEO von Eli Lilly (v.l.n.r.) am «Internationalen Investment Gipfel 2024». © cc-by Alecsandra Dragoi / Department for Science, Innovation and Technology, via Wikimedia Commons

Grossbritannien: Politik senkt Hürden für neue Medikamente

Martina Frei /  Zolldrohungen und Investitionsstopps zeigen Wirkung: Die britische Regierung beugt sich Donald Trump und der Pharma.

Ist eine Behandlung ihren Preis wert? Das analysiert in Grossbritannien das «Nationale Institut für Exzellenz in Gesundheit und Pflege» (NICE). Bisher tut es das unabhängig. Doch künftig wollen Politiker mitreden. 

Behandlungen, die das NICE befürwortet, werden vom staatlichen Gesundheitssystem bezahlt. Der Massstab des NICE: Verhilft ein Medikament zu optimaler Lebensqualität, darf dies pro Jahr maximal 20’000 bis 30’000 Pfund (umgerechnet rund 21’000 bis 32’000 Franken) mehr kosten als die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten.

Die britische Regierung verlangt nun, diese Schwelle auf 25’000 bis 35’000 Pfund (ca. 26’700 bis 37’000 CHF) anzuheben. Dies würde dem sowieso schon strapazierten britischen Gesundheitswesen zusätzlich eine bis drei Milliarden britische Pfund mehr aufbürden, je nachdem, wie viele neue Arzneimittel die milderen Vorgaben erfüllen. Die Regierung wolle die Zulassung neuer Behandlungsmethoden an «ihren Prioritäten und den ‹industriepolitischen Zielen› ausrichten», berichtet das «British Medical Journal» (BMJ).

Bisher heisse das NICE 91 Prozent der Behandlungen, die es prüfe, gut. Das entspreche jährlich etwa 70 neuen Medikamenten, die der staatliche Gesundheitsdienst dann auch bezahlen muss. Wird die von der britischen Regierung gewünschte Änderung eingeführt, werden es voraussichtlich weitere drei bis fünf Arzneimittel pro Jahr sein. 

«Wird katastrophale Auswirkungen haben»

Bis zum 13. Januar läuft jetzt ein Konsultationsverfahren zu den geplanten Änderungen. Kommt der Vorschlag der britischen Regierung durch, könnte der Gesundheitsminister dem NICE künftig Änderungen «vorschlagen», wie es das Preis-Leistungs-Verhältnis von Medikamenten zu bewerten habe. Bisher muss das NICE bei solchen methodischen Änderungen ein Konsultationsverfahren eröffnen. Dies würde künftig entfallen. 

«Wenn die Regierung dem Druck nachgibt, die Ausgaben des staatlichen Gesundheitssystems NHS für neue Medikamente zu erhöhen, wird dies katastrophale Auswirkungen auf die NHS-Patienten, den Sozialpflegesektor und das lokale Wirtschaftswachstum haben», warnte der Professor für Gesundheitsökonomie Karl Claxton im «BMJ». Das Geld, das für die Medikamente zusätzlich ausgegeben wird, muss woanders eingespart werden.

Patientenorganisationen hingegen sprechen sich für mildere Massstäbe bei der Bewertung neuer Medikamente aus, weil die Kranken so schneller damit behandelt werden könnten.

Hintergrund: Der Zollstreit mit den USA

Dass die Regierung dem Gesundheitsminister bezüglich des NICE – in ihren Worten – «begrenzte Macht» übertragen will, hängt einerseits mit dem «Deal» im Zollstreit mit den USA zusammen. Ursprünglich hatte Donald Trump mit Zöllen in Höhe von bis zu 250 Prozent auf Pharmazeutika gedroht, die aus Grossbritannien in die USA exportiert werden. Die neue Abmachung ist jetzt, dass die USA mindestens drei Jahre lang keine Zölle auf solche Medikamente erheben werden. 

Im Gegenzug muss Grossbritannien aber in den kommenden zehn Jahren seine Ausgaben für neue Medikamente verdoppeln auf 0,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Gleichzeitig drängt die pharmazeutische Industrie laut dem «BMJ» immer stärker darauf, die seit 1999 geltende Bewertungsschwelle des NICE zu senken.

Gesundheitsminister macht 180-Grad-Wende

Für die Pharmaindustrie sprang beim «Deal» der britischen Regierung mit dem US-Präsidenten ein «Zückerli» heraus: Im Moment bezahlen die Pharmahersteller in Grossbritannien 23,5 Prozent ihrer Umsatzeinnahmen für Originalpräparate an das staatliche Gesundheitssystem zurück. Im Zuge der Vereinbarung mit den USA soll dieser Anteil in den nächsten drei Jahren auf höchstens 15 Prozent gedeckelt werden. 

Noch im August hatte der britische Gesundheitsminister Gespräche mit den Pharmafirmen über eine Senkung dieses Satzes abgebrochen, mit den Worten: Er werde nicht zulassen, dass die Firmen britische Patienten und Steuerzahler abzocken

Daraufhin setzte die Pharmafirma Merck im September den Bau eines milliardenschweren geplanten Forschungszentrums in London aus. Tage später kündigte AstraZeneca an, den Bau eines neuen 200-Millionen-Pfund-Labors in Cambridge vorderhand auf Eis zu legen. Schon im Januar hatte die Firma eine 450-Millionen-Pfund-Investition in einen Standort bei Liverpool gestrichen. Eli Lilly stoppte vorerst eine geplante Investition in ein Biotech-Innovationszentrum in London. Sanofi schloss Forschungslabors im britischen Cambridge und verlagerte sie in die USA.

Grossbritannien befinde sich «an einem kritischen Punkt», sagte ein Kadermitglied von Sanofi dem «Guardian» im September. «Wir haben nach wie vor die besten Universitäten und einige der besten Wissenschaftler der Welt, aber es ist kein guter Standort für die Arzneimittelentwicklung. Es ist teuer, hier zu operieren, und es ist ein denkbar schlechter Ort, um Medikamente zu vertreiben.» 

Nun, scheint es, ist die britische Regierung eingeknickt. 


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