Der «Tagi» ist das Fan-Magazin des Flughafens
Wer über alles Wichtige – und vor allem über alles Unwichtige – rund um den Flughafen Zürich informiert sein will, löst am besten ein Abo des «Tages-Anzeigers». Unablässig berichten die Journalisten und Journalistinnen auf «tagesanzeiger.ch» über Neuigkeiten aus Kloten. Das Wohlwollen der «Tages-Anzeiger»-Crew ist den Flughafenbetreibern, den Fluggesellschaften und den angegliederten Betrieben gewiss.
«Swiss fliegt erstmals 50 Kilometer mit Solartreibstoff»
Ein schönes Beispiel ist dieser Artikel: «Swiss fliegt erstmals 50 Kilometer mit Solartreibstoff.» Die Firma Synhelion, an der die Swiss beteiligt ist, habe 190 Liter synthetisch hergestellten Treibstoff geliefert. Und «tagesanzeiger.ch» folgert: «Ein erster Schritt zu umweltverträglichem Fliegen ist getan.»
Gut, mit 190 Litern Solartreibstoff lässt sich die Welt nicht retten. Aber wir wollen ja nicht nörgeln. Damit könnte die Swiss immerhin von Kloten nach St. Gallen fliegen. Wenn es denn dort einen Flughafen gäbe.
Die Leute von «tagesanzeiger.ch» beeindrucken vor allem mit der Gewissenhaftigkeit, mit der sie die Vorgänge auf dem Flughafen verfolgen. Das liest sich dann so:
- «Ambulanzjet von Aerowest landet um 5.22 Uhr und fliegt wenige Minuten später weiter» (29. Oktober 2025).
- «Rega-Jet aus Palermo landete um 0.41 Uhr in Kloten – das steckt dahinter» (22. Oktober).
- «Ambulanzflug der Rega mit zwei Patienten an Bord landete um 0.28 Uhr» (20. Oktober).
Auch wenn es so klingt – die Artikel handeln nicht von einem Skandal, sondern vom Courant normal. Ambulanzflugzeuge dürfen in Kloten nämlich auch während der Nachtruhezeit starten und landen. Es braucht dafür zwar eine Sondergenehmigung. Diese wird aber immer erteilt. Die Flüge seien «auch bei den Anwohnerinnen und Anwohnern am Flughafen unbestritten», schreibt der «Tagi».
«Der Anflug führte über Zumikon»
Die Flüge sind – wie gesagt – unbestritten. Trotzdem meldet «tagesanzeiger.ch» jeden nächtlichen Ambulanzflug bis ins letzte Detail. Die Leser erfahren, dass «die Landung am Flughafen Zürich um 0.41 Uhr auf der Piste 34 erfolgte.» Und: «Der Anflug führte über Zumikon, Schwamendingen und Glattbrugg.» Garniert sind die Meldungen stets mit einem Link zu flightradar24.com und einer Karte mit der Flugroute.

Die Artikel auf «tagesanzeiger.ch» sind sehr ausführlich. Die Leser erfahren, dass die Rega «rund um die Uhr und während 365 Tagen im Jahr erreichbar» sei, dass – und das ist dann wenig überraschend – die Einsatzzentrale «Tag und Nacht besetzt» sei, dass «jederzeit medizinische Teams und Cockpit-Crews einsatzbereit» seien und dass es «in Notfällen schnell gehen» müsse.
«Medical Flights können nicht warten»
Die Journalisten von «tagesanzeiger.ch» klären ihre Leser auch über Flüge für Spenderorgane auf. So heisst es – ebenfalls wenig überraschend: «Die Medical Flights können nicht warten, denn wenn ein Spenderorgan verfügbar ist, muss es schnell gehen.»
Die Leser reagieren zunehmend genervt auf die vielen Artikel über die Ambulanzflüge. «Wieso muss jeder Rega-Nachtflug einen Zeitungsartikel haben?», fragt ein Kommentator. «Und was ist daran so wichtig, dass man einen Artikel schreiben muss?», möchte ein anderer wissen.
«Steinmeier war in einem Staatsluftfahrzeug unterwegs»
Zur Abwechslung veröffentlicht «tagesanzeiger.ch» auch Artikel über andere Nachtflüge. Zum Beispiel: «Frank-Walter Steinmeier startete nach Mitternacht in Kloten.» 0.15 Uhr sei es gewesen, «als die Bombardier Global 5000» mit dem deutschen Bundespräsidenten an Bord «auf Piste 32 nach Norden abhob». Steinmeier hatte zuvor das Frauen-Fussball-EM-Spiel zwischen Deutschland und Spanien besucht. Ebenfalls wichtig: Er flog «nach Hause – also nach Berlin – wo er um 1.09 Uhr landete, wie Daten des Livetrackingservices flightradar24.com» zeigten.
Also wieder einmal so ein Promi, der sich ums Nachtflugverbot foutiert? Der «Tagi» kann uns nach Konsultation der Flughafen-Website beruhigen: «Keiner Beschränkung unterliegen Notlandungen, Ambulanzflüge, Polizeiflüge, Flüge zur Katastrophenhilfe, Starts und Landungen von schweizerischen Militärluftfahrzeugen sowie Starts und Landungen von Staatsluftfahrzeugen, die vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) bewilligt wurden.» Und «tagesanzeiger.ch» erklärt uns: «Steinmeier war selbstredend in einem Staatsluftfahrzeug unterwegs.»
Ambulanzflüge und andere Nachtflüge machen auf «tagesanzeiger.ch» nur einen Teil der Berichterstattung über den Flughafen aus. Auf der Website von «tagesanzeiger.ch» existiert neben lokalen Rubriken wie «Zürich», «Winterthur» oder «Unterland» auch eine eigene Rubrik «Flughafen Zürich». Dort gibt es eine regelrechte Artikelflut über den Flughafen. Im Oktober sind insgesamt 36 Artikel erschienen – bis zu drei pro Tag.
«Reicht es für den Rekord?»
Besonderen Gefallen scheint Ressortleiter Martin Liebrich, der die meisten Flughafen-Artikel verfasst, an den Passagierzahlen zu haben. Schon im Winter meldete er «hohe Passagierzahlen im Februar». Und er fragte bang: «Reicht es für den Rekord?» Im Visier hat er «den Passagierrekord aus dem Jahr 2019, dem letzten vor Corona. 31,5 Millionen Fluggäste wurden damals gezählt– 32 Millionen könnten es 2025 werden.» Schlag auf Schlag folgen die Schlagzeilen. Sie klingen wie aus einem Fan-Magazin:
- Im April: «Genau 20’003 Starts und Landungen im März.»
- Im Mai: «Sind die hohen Passagierzahlen vom April der Start zur Rekordjagd?»
- Ebenfalls im Mai: «Flughafen-CEO Lukas Brosi rechnet mit neuem Passagierrekord.»
- Im Juli: «Jetzt ist der Flughafen Zürich auf Rekordkurs bei den Passagierzahlen.»
- Auch im Juli: «Am Flughafen werden heute mehr als 100’000 Fluggäste erwartet.»
- Im August: «Flughafen Zürich meldet neuen Monatsrekord und knackt Tagesrekord.»
- Im September: «Passagierrekorde aus dem Juli werden im August schon wieder gebrochen.»
- Im Oktober: «Flughafen Zürich steuert weiter auf Rekordjahr an Passagieren zu.»
«Ist das nicht schön?», fragt ein Leser in der Kommentarspalte, «… ebenso wie die vielen Hitzerekorde und Waldbrände … genauso wie die vielen Trockenperioden, die den Landwirten zu schaffen machen …. hat natürlich gar nichts mit dem Passagierrekord und dem Massentourismus zu tun …. absolut gar nichts.» Ein anderer meint lakonisch: «Jede und jeder darf nun wohl wieder unbesorgt fliegen, da die Klimakrise vorbei ist.» Und ein dritter schreibt: «Ich frage mich, ob es sich bei den obigen Zeilen um einen von der Flughafen-AG gesponserten Artikel handelt. Oder erhält der Journalist gratis Flugmeilen?»
«Helvetic schreibt Geschichte»
Die Frage ist in der Tat angebracht. Denn viele der Artikel zum Flughafen sind reine Gefälligkeitsartikel. Eine kleine Auswahl:
- «Edelweiss bringt Bratwurst und Rösti in die Business-Class»: Unter diesem Titel schreibt «tagesanzeiger.ch» mehr oder weniger das, was in der Edelweiss-Medienmitteilung steht.
- «Swiss lanciert einen eigenen Cocktail»: Dieser erinnere an eine blumige leichte Variante eines weissen Negroni.
- «Swiss holt mehrere Auszeichnungen für ihre Weinauswahl»: Der «Tagi» schreibt, in der First-Class der Swiss gebe es «den besten Rotwein über den Wolken».
- «Schweizer Flugzeug sorgt für Rekord am London-City-Airport»: Das Flugzeug sei mit einer Länge von 41,5 Meter das grösste, das am Londoner Stadtflughafen eingesetzt werde. Fazit: «Helvetic Airways schreibt Geschichte.»
- «Edelweiss tauft ihren zweiten von sechs Airbus 350»: Der «jüngste Spross der Edelweiss-Flotte» heisse Piz Palü. Das erste hiess übrigens Piz Bernina.
- «Das ist die neue ‹fliegende Intensivstation› der Rega»: Dazu die wichtige Information auf «tagesanzeiger.ch»: «Wir waren an einem Übungstag dabei.»
«Swiss-Schokolade deutlich teurer auf Ricardo»
Schon fast lustig sind die Schlagzeilen zur Swiss-Schokolade, die eine Zeitlang in der Migros zu haben war:
- «Die Swiss-Schokolade gibt es drei Wochen lang bei der Migros»: Bei einem Redaktions-Test habe die Swiss-Schokolade am besten abgeschnitten.
- Eine gute Woche später: «Swiss-Schokolade in der Migros ausverkauft.»
- Und knapp zwei Wochen danach: «Swiss-Schokolade deutlich teurer auf Ricardo zu haben.»
«So kämpfen Piloten mit Sturmtief Amy»
Manchmal berichtet «tagesanzeiger.ch» auch über Schwierigkeiten am Flughafen. Titel: «So kämpfen Piloten mit Sturmtief Amy.» Und beschreibt: «Zahlreiche Schaulustige beobachten die spektakulären Landeanflüge bei der Piste 28.» Dazu gibt es ein paar Videos, auf denen eigentlich nichts ausser einem schwankenden Flugzeug zu sehen ist.
Der «Tagi» versteht sich auch als Dienstleister. Etwa in Artikeln wie: «Sechs Tipps für den problemlosen Start in die Ferien trotz Massenandrang.» Oder: «So landen allein fliegende Kinder sicher in den Armen ihrer Eltern.» Hilfreicher wären Artikel darüber, wie Passagiere nach Verspätungen ihre Rechte einfordern – gerade bei der Swiss, die sich mit Rückerstattungen immer wieder schwertut.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.










Ihre Meinung
Lade Eingabefeld...