Vertrag mit EU: Schweizer pfeifen auf die Mehrheit der Kantone
Auf dem Tisch liegt ein dicker, schwerer Stapel Papier. Gut 800 Seiten. Es ist das Vertragspaket zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) – ausgehandelt von März bis Dezember 2024. Im Juni hat der Bundesrat dem Vertragswerk zugestimmt und die Vernehmlassung eröffnet. Alle Interessierten konnten sich bis Ende Oktober äussern.
Die Befürworter finden: Die Schweiz hat das Maximum herausgeholt und wird wirtschaftlich profitieren. Die Kritiker reden von einem «Unterwerfungsvertrag». Sie lehnen vor allem die künftigen Rechtsübernahme-Regeln und die Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ab.
Das Parlament wird in der Wintersession entscheiden, ob für die Annahme des Vertrags das Volksmehr (Mehrheit der Abstimmenden) genügt, so wie es die Verfassung vorsieht. Oder ob es für ein Ja zu den Verträgen zusätzlich zum Volksmehr auch die Mehrheit der Kantone – das sogenannte Ständemehr – braucht. Das doppelte Mehr für ein Ja würde den Gegnern der Verträge helfen.
Infosperber wollte wissen, wie das die Schweizerinnen und Schweizer sehen, und beauftragte das Institut Demoscope, eine repräsentative Umfrage durchzuführen. 1’002 Personen antworteten auf die Frage:
- Was ist Ihre Meinung, wie soll das Parlament entscheiden?
Die Befragten konnten aus drei Antworten auswählen:
- Das Parlament soll ausschliesslich das Volksmehr verlangen
- Das Parlament soll das Volksmehr und das Ständemehr verlangen
- Weiss nicht
Nur 39 Prozent der Befragten raten dem Parlament, die doppelte Hürde von Volks- und Ständemehr vorzuschreiben. 51 Prozent finden, das Volksmehr für ein Ja zu den Schweiz-EU-Verträgen genügt. 10 Prozent wussten keine Antwort oder machten keine Angaben.

Die Deutschschweiz setzt mit 53 Prozent signifikant deutlicher ausschliesslich auf das Volksmehr als die Westschweiz mit nur 45 Prozent. Ebenso die Männer mit 56 Prozent gegenüber den Frauen mit 46 Prozent.
Ende Oktober ist die Vernehmlassungsfrist zum neuen EU-Vertrag abgelaufen. Einmal mehr zeichnet sich ein Kampf der SVP gegen alle andern ab. Bei einer knappen Entscheidung kann auch der Abstimmungsmodus eine entscheidende Rolle spielen: Genügt die Mehrheit der Abstimmenden für ein Ja zum Vertragspaket mit der EU oder muss zusätzlich auch die Mehrheit der Kantone zustimmen?
Der Bundesrat will den Entscheid nicht von sich aus dem Volk vorlegen, sondern nur dem fakultativen Referendum unterstellen. Nach einem erfolgreichen Referendum wäre damit bei der Abstimmung allein das Volksmehr ausschlaggebend, wie knapp auch immer es ausfällt. Die Regierung stützt sich dabei auf das formal-rechtliche Argument: Die Verfassung wolle es so.
Für die Gegner der Verträge steht die Schweiz vor einem derart grundsätzlichen Entscheid, dass dessen Legitimität nur durch das doppelte Mehr zu erreichen sei. Das Parlament müsse deshalb den Entscheid dem obligatorischen Referendum unterstellen. Beide – Volk und Stände – müssten mehrheitlich Ja zu den Verträgen sagen.
Grüne, SP und Grünliberale befürworten die EU-Verträge und werden in der Wintersession gegen das doppelte Mehr votieren. Kürzlich hat sich auch die Delegiertenversammlung der FDP mit klarem Mehr gegen das doppelte Mehr ausgesprochen. Die Mitte laviert und mag sich noch nicht festlegen. An der Delegiertenversammlung der SVP Ende Oktober ergreift Präsident Marcel Dettling eine Hellebarde und spiesst damit das Vertragspaket EU-Schweiz auf. Die SVP verlangt natürlich das zusätzliche Ständemehr, weil so die Chancen für ein Nein massiv steigen.

Weil die Fraktionen der Mitte und der FDP gespalten sind, bleibt noch offen, wie sich das Bundesparlament entscheiden wird.
Wenn das Parlament auf den Rat der Bürgerinnen und Bürger hört, wird über das Vertragspaket Schweiz-EU allein die Mehrheit der Abstimmenden zählen.
Alle Resultate:

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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