Kommentar

kontertext: Das Wort des Tages heisst «Transfersieger»

Michel Mettler © zvg

Michel Mettler /  Die neue kontertext-Rubrik widmet sich der kritischen bis ironischen Durchleuchtung ausgewählter Begriffe.

Im heutigen (Männer-)Fussball werden schon Triumphe gefeiert, bevor der Ball im Spiel ist: an der monetären Front. Wer sich die besten Talente sichert, darf erwarten, grosse Titel einzuheimsen, und ist in der besten Position, auch aus der nächsten Transferperiode wieder siegreich hervorzugehen. So dreht sich das Big-Money-Karussell.

Ranglisten-Ödnis

Ein wesentlicher Reiz ist damit geknebelt: die Möglichkeit, ein David könnte mit List und Spielwitz den Goliath bezwingen. Verblüffend eigentlich, dass dieser Trend nicht die Stadien leert, denn unter seinem Einfluss breitet sich Ranglisten-Ödnis aus.

Wozu soll man noch zuschauen, wenn am Saisonende ohnehin die Zahlungskräftigen oben stehen mit ihren zusammengekauften Gladiatorentruppen? Es fehlt das Überraschungsmoment, aus dem Spiel wird eine Farce, und der Sport hört auf, ein Gegenzauber zu den gesellschaftlichen Hegemonien und dem Darwinismus der Wirtschaftswelt zu sein. Stattdessen etabliert sich der Feudalismus der oberen Ligen.

Wenn nach der Partie Athleten und Funktionäre vor logobepflasterten Stellwänden stehen und Platitüden von sich geben, ist es nicht mehr zu ignorieren: Der Traum vom Umsturz der Hierarchien scheint ausgeträumt: jener Traum des Fussballfans, ein kleiner Provinzclub könnte die Ligakrösusse düpieren mit Teamgeist und ökonomischem Spiel, und sei es nur für eine halbe Saison.

Allerdings verheisst ein Blick auf die aktuelle Tabelle, dass die Schweizer Meisterschaft gerade eine Ausnahme bilden könnte, fast wie das gallische Dorf bei Asterix. Doch abgerechnet wird am Schluss.

Das Goldfüsschen

Dass schiere Finanzkraft Spiele entscheiden kann, dafür gibt es Beispiele wie Gegenbeispiele. Der Öl- und Stahlmagnat Roman Abramowitsch wollte Chelsea mit grosszügig rollendem Rubel an die Spitze bringen, ein Plan, der nicht voll aufging. Das Virtuosenteam mutete an wie ein Verband von Solisten, es fehlte der Teamspirit. Hingegen wandeln die Granden von der Säbener Strasse in München seit Jahrzehnten auf der Siegerstrasse. Mit bayrischer Hartwährung degradieren sie Clubs mit kleinerem Budget zu «Aufbaugegnern». Bei den französischen Nobelclubs sind Petrodollars aus der Golfregion im Spiel, und auch an Leipzigs Energydrink-Millionen gibt es kein Vorbeikommen, obwohl die grossen Titel noch ausgeblieben sind.

Abgekartet sind die Wettbewerbe also noch nicht, aber Geldkartelle riegeln sie ab. Die Financiers haben aus alten Fehlern gelernt, und so dreht sich das Marktkarussell auch für Trainer, die fähig sind, aus Egomanen ein Ensemble zu formen. Ergibt sich doch eine Baisse, feuert man die sportliche Leitung und hofft abermals auf den Wundertransfer – auf ein Goldfüsschen, das Spiele im Alleingang entscheiden kann, weil es im Strafraum immer richtig steht: Haaland, Wirtz, Woltemade…

Hat schon jemand gefordert, die Club-Budgets zu plafonieren? Das würde wohl als wirtschaftsfeindlich verschrien. Immerhin strömen die Fans ja nach wie vor in die Stadien. Trotz aller Ranglisten-Ödnis läuft das Merchandisinggeschäft wie geschmiert, und der Handel mit den TV-Rechten boomt, als wäre der Ausgang der Wettbewerbe himmelweit offen…

Szenen aus dem alten Rom

Ja, ein Spiel dauert 90 Minuten. Ja, das Runde muss ins Eckige. Aber am Ende stehen die Renommierclubs an der Tabellenspitze, die Fifa scheffelt Millionen, und um viele Torgaranten etablieren sich Verhältnisse, die einem Hofstaat gleichen. Was soll daran spielerisch sein?

Nun, bisweilen geschieht es eben doch, das vielbeschworene Rasenwunder, seltener als früher zwar, und eher in kleinen Ligen: Ein Momentum, das sich nicht erkaufen lässt, beflügelt den Fussballzwerg, eine verschworene Elf triumphiert über die Transfersieger, und für eine Weile – bis die Breite des Kaders und die Premiumbetreuung wieder auf die Resultate durchschlagen – darf ein Almosenempfänger des Systems sich glücklich schätzen, am Kopf der Tabelle zu stehen. Da lebt er wieder auf, der Traum der Stehplatz-Nostalgiker, die stolz sind, einen Arbeiterclub zu unterstützen (unbesehen der Tatsache, dass es die Arbeiterklasse in jener fussballhistorisch verklärten Form kaum noch gibt).

Immerhin ist auch Transfersieger, wer spielerische Rohdiamanten entdeckt und in sein Team integriert, bevor die Talent-Scouts der Marktführer sie gekapert haben. Dies aber geschieht oft in kolonialistischer Manier: Auffallend viele Vermittler durchforsten die Plätze Afrikas und Südamerikas nach Ballartisten und bringen sie als «Spielermaterial» nach Europa, um ihre Begabung fussballerisch zu «domestizieren».

Die Klassengesellschaft bejubeln

Man mag hier an das Imperium Romanum denken, denn Mal für Mal ergibt sich Ende Saison das gleiche Bild, egal welche Wunder sich im Lauf der Saison ereignet haben mögen: Brenn- und Süssstoffmagnaten stehen sich am Endspiel gegenüber. In ihren Rauchglas-Logen nippen sie an kühlen Drinks, während auf dem Feld die Gladiatoren sich zerreissen, um ihren Marktwert zu erhöhen, bestaunt von einem Millionenpublikum, das brav seinen Obolus bezahlt.

Dass Finanzkraft sich eins zu eins in Spielstärke übersetzen lässt, ist kein feuchter Traum der Investoren, sondern aschgraue Realität. Die Transfersieger entscheiden die wichtigsten Wettbewerbe für sich, und das müde Fussballerherz wartet mit jedem Jahr noch etwas verzagter auf die Wende. Wer den internationalen Clubfussball bejubelt, bejubelt eine Klassengesellschaft, die in ihren Arenen Herrschaftsverhältnisse zelebriert. Was daran unterhaltsam sein soll, bleibt das Geheimnis derer, die das Geschehen noch immer verfolgen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur, greift Beiträge aus Medien kritisch auf und pflegt die Kunst des Essays. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi

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Michel Mettler

Michel Mettler, geb. 1966, lebt als freiberuflicher Autor und Herausgeber in Klingnau. Er interessiert sich für die Geschichtlichkeit von Gegenwart und Erzählungen, die der Subtext schreibt. Zuletzt hat er als Co-Herausgeber den Band DUNKELKAMMERN veröffentlich (Suhrkamp 2020).

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