Kommentar
Im deutschen Grundgesetz steht: «Eigentum verpflichtet.»
Im kommenden Jahr wird die bayerische Verfassung 80 Jahre alt. Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, hat also, bevor er jubelnde Jubiläumsreden hält, noch ausgiebig Zeit, diese Verfassung auch zu lesen. Das hat er offenbar bisher nicht gründlich genug getan. Seine aktuellen Reden zur Steuerpolitik haben nämlich mit den Artikeln dieser bayerischen Verfassung nichts, gar nichts zu tun.

Söder redet wie ein Lobbyist milliardenschwerer Unternehmer: Er plädiert dafür, grosse Vermögen mehr zu schonen als kleine, er lehnt die Wiedereinführung der Vermögensteuer ab und er will die Erbschaftssteuern nicht nur nicht anheben, er will sie sogar senken – auch und vor allem für die Allerreichsten der Reichen.
Die Erbschaftssteuer ist derzeit eine Bagatellsteuer
Derzeit werden jährlich 300 bis 400 Milliarden Euro verschenkt und vererbt, doch der Beitrag dieser Vermögen zum Steueraufkommen ist im Vergleich zu Arbeitseinkommen äusserst gering: Die Erbschaftssteuer ist eine Bagatellsteuer. Selbst Raucher leisten über die Tabaksteuer einen höheren Beitrag zum Staatshaushalt als Erben – die Raucher zahlen 15 Milliarden, die Erben 9 Milliarden. Ausgerechnet die Grosserben werden am geringsten besteuert. Die Erben von Unternehmensvermögen profitieren von weitreichenden Steuerbefreiungen und allerlei Gestaltungsmöglichkeiten, die der Steuergesetzgeber einräumt.
Mit der Verfassungslage hat diese Reichtumspflegerei nichts zu tun. Mit dem Grundgesetz nicht – und mit der bayerischen Verfassung schon gleich gar nicht. Im Grundgesetz steht: «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.» In welchem Geist die Mütter und Väter des Grundgesetzes diese Grundpflicht des Eigentümers formuliert haben, wird deutlich, wenn man die Landesverfassungen liest, zum Beispiel die bayerische Verfassung.
«Arbeitsloses Einkommen wird mit Sondersteuern belegt»
Da heisst es in Artikel 168, Absatz 2: «Arbeitsloses Einkommen arbeitsfähiger Personen wird nach Massgabe der Gesetze mit Sondersteuern belegt.» Oder in Artikel 123, Absatz 3: «Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.» Oder in Artikel 161, Absatz 2: «Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.» Und in Artikel 151 ist der ganz grosse politische Wegweiser aufgestellt, den ein Markus Söder nicht zur Kenntnis nehmen will: «Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl» und «die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten».
Diese bayerische Verfassung ist wunderbar konkret und kraftvoll, sie ist grundrechtsmächtig, poetisch und nahrhaft. Ein bayerischer Ministerpräsident könnte unbändig stolz auf sie sein. Stattdessen nimmt er sie nicht zur Kenntnis. Das ist nicht christlich-sozial, das ist verfassungswidrig.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Kolumnisten und Autors Heribert Prantl erschien zuerst als «Prantls Blick» in der Süddeutschen Zeitung.
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