«Zwei alte Knacker, die ihre Weisheiten zum Besten geben»
Wenn es um Gesundheit geht, zirkuliert viel «pseudowissenschaftlicher Mumbo-Jumbo», wie Carl Heneghan und Tom Jefferson es nennen. Evidenz hat oft das Nachsehen.
Prominentes Beispiel: Donald Trump behauptet, dass Kinder von Frauen, die während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen hatten, Autismus entwickeln würden.
Kaum hatte Trump seine Warnung hinausposaunt, fassten Carl Heneghan und Tom Jefferson in ihrem Blog «Trust the Evidence» das bisherige Wissen zu Paracetamol und Schwangerschaft zusammen – ein evidenzbasierter Leitfaden auch für Journalistinnen und Journalisten.
Auf deutsch heisst der Blog etwa «Vertraue den Beweisen». Er ist eine Mischung aus forensischer Analyse, britischem Sarkasmus und wissenschaftlicher Aufklärung. Betrieben wird er vom Centre for Evidence-Based Medicine (CEBM) der Universität Oxford.
Wissenschaft, mit spitzer Feder inszeniert
Wer genug hat von tausendfach veröffentlichten Pressemitteilungen und pseudowissenschaftlichem Blabla, findet hier Klarheit – mit wohldosierten, scharfzüngigen Kommentaren zu den Absurditäten des Gesundheitssystems.
«Unrealistisch und in gewisser Weise auch rücksichtlos» sei Kennedys Ankündigung im April gewesen, die Ursache eines komplexen Problems wie Autismus in bloss fünf Monaten zu ergründen, kritisierten Heneghan und Jefferson. Es brauche hier aber kein «Hullabaloo», sondern eine gut gemachte Studie, um mehr herauszufinden. Wie diese Studie beschaffen sein müsste, beschrieben sie in der nächsten Folge ihres Blogs zu diesem Thema.
Die Autoren: Verfechter evidenzbasierter Medizin
Heneghan und Jefferson sind renommierte Wissenschaftler in klinischer Epidemiologie und Public Health. Jefferson ist Allgemeinmediziner und Epidemiologe. Er wurde international bekannt durch seine systematischen Reviews zu Grippeimpfstoffen und antiviralen Medikamenten wie Tamiflu. Seine hartnäckige Arbeit deckte massive Verschleierung in der Pharmaindustrie auf – etwa bei Tamiflu. Das Medikament sei «kaum besser als ein Placebo», titelte der «Tages-Anzeiger» 2014 aufgrund der Recherche unter Jeffersons Federführung.
Heneghan, Professor für evidenzbasierte Medizin in Oxford, ist Direktor des CEBM und praktizierender Hausarzt. Er analysiert medizinische Studien und steht für die Haltung ein, dass gute Medizin auf belastbarer Evidenz beruhen muss. Seine Idee brachte er so auf den Punkt: «Evidenz ist nicht der Feind des Handelns – sie ist dessen Grundlage.»
Ein Ort für kluge Fragen
Mit «Trust the Evidence» haben die beiden Wissenschaftler eine Plattform für kritisches Denken kreiert. Sie wollen Vertrauen schaffen in Informationen rund um Medizin und (öffentliche) Gesundheit.
Jefferson beschreibt das publizistische Format so: Der Blog sei ein Raum, in dem er und sein Kollege Heneghan kritisch geprüfte Belege und Ideen ohne Zensur präsentierten. Sie interagierten mit ihren Leser:innen, die wiederum untereinander diskutieren würden. Die über 1000 Posts zu unterschiedlichsten Themen und der angeregte Austausch mit dem Publikum sprechen für sich.
Dass Heneghan und Jefferson so viel daran liegt, sich in ihren Posts frei äussern zu können, hat einen Hintergrund. Im Jahr 2020, während der Coronapandemie, sperrte Facebook wegen Verbreitung von Falschinformationen einen Artikel, in dem Heneghan eine Studie zur Wirksamkeit von Gesichtsmasken erläutert hatte – und dies, obwohl der Experte versichert hatte, dass nichts an dem Beitrag falsch sei.
Gesundheitspolitische Lyrik demontieren
Ihr Blog-Beitrag – «The DHSC Teflon Shoulder Job in its Entirety» – ist ein Beispiel für das, was diesen Blog ausmacht: die gnadenlose, unterhaltsame Demontage jener kunstvoll formulierten Antworten aus Amtsstuben, die auf den ersten Blick nach viel Information klingen – aber beim zweiten Hinsehen so gehaltvoll sind wie ein leerer Aktenordner.
Denn: «In a world full of noise, we prefer the sound of evidence – even if it’s occasionally drowned out by the hum of ministerial vagueness.» Auf Deutsch: «In einer Welt voller Lärm bevorzugen wir den Klang der Evidenz – auch wenn er gelegentlich vom Brummen ministerieller Uneindeutigkeit übertönt wird.»
Die Autoren nehmen sich die Antworten des britischen Gesundheitsministeriums (Department of Health and Social Care, DHSC) auf ihre zahlreichen Anfragen zur Corona-Politik vor. Genauer gesagt: Sie sezieren die «Nicht-Antworten» – jene Textbausteine, die auf jede Frage mit einem höflichen «Wir danken für Ihre Anfrage» reagieren, ohne jemals wirklich etwas zu sagen. Heneghan und Jefferson nennen das «Teflon-Kommunikation»: Nichts bleibt haften, alles perlt ab.
Ihr Blog-Beitrag ist keine trockene Auflistung von Dokumenten staatlicher Stellen, sondern ein kabarettreifes Stück investigativer Wissenschaftskommunikation. Die Autoren kommentieren die ministeriellen Ausflüchte. Auf eine besonders vage Antwort schreiben sie: «Wir sind uns nicht sicher, ob das von einem Beamten oder einem Chatbot verfasst wurde, der auf Ausweichmanöver trainiert ist.»
Was macht den Blog besonders?
- Evidenz statt Ideologie
Während viele Plattformen entweder regierungsfreundlich oder verschwörungslastig sind, bleibt «Trust the Evidence» dem Prinzip der evidenzbasierten Medizin treu. Die Autoren prüfen Studien, politische Entscheidungen und öffentliche Narrative auf ihre wissenschaftliche Substanz. - Ironie als Stilmittel
Die Texte sind gespickt mit bissigen Kommentaren, die das Lesen zum Vergnügen machen. Wer glaubt, dass Epidemiologie trocken sein muss, wird hier eines Besseren belehrt. So heisst es etwa in einem Post zu den Lockdown-Folgen: «The collateral damage of lockdowns is not just economic – it’s epistemological.» Der Kollateralschaden von Lockdowns ist nicht nur wirtschaftlicher Natur – er ist epistemiologisch, betrifft also die Art, wie wir Erkenntnisse gewinnen. Die Autoren sind wie Sherlock Holmes und Dr. House in einem – analytisch, sarkastisch und immer auf der Suche nach der Wahrheit hinter dem Spin. - Transparenz und Unabhängigkeit
Der Blog ist unabhängig, werbefrei und finanziert sich über die Leserschaft. Das verleiht ihm eine Glaubwürdigkeit, wie die heutige Medienlandschaft sie braucht. Keine Pharma-PR, keine politischen Rücksichten – nur Daten, Analyse und gelegentlich ein Seitenhieb auf die Bürokratie. Ein grosser Teil der Beiträge ist öffentlich zugänglich. Exklusive Inhalte, etwa vertiefte Analysen oder Diskussionen, sind kostenpflichtig. - Thematische Breite
Von Impfstoffpolitik über Lockdown-Folgen bis hin zu neuen Viren, wie sie das Oropouche-Fieber mit sich bringt – 2024 wurden in Europa erste Fälle gemeldet. Die Autoren greifen alles auf, was in der öffentlichen Gesundheitsdebatte relevant ist.
Stichhaltige Informationen
Die englischsprachigen Texte setzen ein gewisses Vorwissen voraus, und wer sich nicht mit Studiendesign oder Public Health auskennt, könnte sich gelegentlich verloren fühlen. Heneghan und Jefferson sind keine neutralen Beobachter, sondern engagierte Kritiker, sehr oft mit einem ironischen Unterton. Sich selbst bezeichnen sie als «the two old geezers got dragged […] to put forward their pearls of wisdom». Frei übersetzt: «Die zwei alten Knacker, die herangeschleppt wurden, […] um ihre Weisheiten zum Besten zu geben.»
Wer auf der Suche nach stichhaltigen Informationen rund um Gesundheitsthemen ist, sollte sich daran erinnern: Vertrauen ist gut – «Trust the Evidence» ist besser.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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