Düngen Klärschlamm Wienenergie

Es war einmal: Düngen mit Klärschlamm. Hier in Österreich © Wienenergie

Klärschlamm auf der Scholle: Einst propagiert, jetzt gefürchtet

Urs P. Gasche /  Abwasserreinigungsanlagen wurden ihren Restmüll los. Bauern bekamen Gratisdünger. Heute sind Böden mit gefährlichen PFAS belastet.

Der neuste Fall: Die Stadt Bern wollte auf der freien Fläche des sogenannten «Viererfelds» für 3000 Menschen ein Vorzeigequartier bauen lassen. Jetzt zeigten Bodenproben, dass im Boden toxische Altlasten stecken. Man fand per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, sogenannte Ewigkeitschemikalien oder PFAS. Sie stammen höchstwahrscheinlich vom Klärschlamm, mit dem der Boden vor zwanzig bis vierzig Jahren gedüngt wurde. 

Die enormen Kosten für eine allfällige Sanierung von Böden, die vom Klärschlamm verseucht sind, haben die heutigen Besitzer zu zahlen. Denn das damals gesetzlich erlaubte Ausbringen von Klärschlamm wird von der Verordnung über die Sanierung von belasteten Standorten nicht erfasst.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren haben Bauern in der Schweiz jedes Jahr über eine Million Tonnen Klärschlamm aus Kläranlagen auf ihren Feldern ausgebracht. Auch in Deutschland und Österreich wurde damals in erheblichem Umfang Klärschlamm als Dünger verwendet.


«Der grosse Hit der Zukunft»

Martin K. Meyer, bis 2008 Vorsteher des Amts für Gewässerschutz und Abfallwirtschaft im Kanton Bern, hatte im Jahr 1990 in der Zeitschrift «Kulturtechnik» euphorisch geschrieben, getrockneter Klärschlamm werde «vielleicht der grosse Hit der Zukunft». Die Aufarbeitung des Berner Klärschlamms würde von den Abwasserverbänden finanziert – tatsächlich waren es Hauseigentümer und Mieter mit Abwassergebühren.

Jahrelang haben Behörden und Abwasserverbände das Düngen mit Klärschlamm mit Informationen, Wanderausstellungen und finanziellen Zuschüssen stark gefördert. Es wurde nachgewiesen, dass der den Bauern meist kostenlos angebotene Klärschlamm die Böden ebenso wirksam düngt wie Gülle oder Mineraldünger. Dass Klärschlamm die Böden aber auch verseucht, verschwiegen die Fachexperten.

Bauern, die aus Vorsicht oder wegen Überdüngung auf den meist kostenlosen Klärschlamm verzichteten, wurden belächelt.

In einer Rückschau schrieb die Abteilung Landwirtschaft des Kantons Aargau im Jahr 2007: «Dank der hohen Akzeptanz der Berater in der Landwirtschaft konnte die einzelbetriebliche Düngeberatung innert kurzer Zeit umgesetzt werden. […] Die Kläranlagen und die Verwertungsunternehmen nahmen ihre Verantwortung wahr und schufen mit grossem Engagement günstige Rahmenbedingungen für eine umweltgerechte Düngung mit Klärschlamm.»

Vergeblich hatten kritische Medien wie der «Beobachter», «K-Tipp» oder «Saldo» vor der toxischen Belastung der Böden gewarnt.


Rinderkrankheit BSE

BSE ist eine tödliche Gehirnerkrankung bei Rindern. Im März 2001 gelangten BSE-Prionen aus Schlachthöfen in Kläranlagen und dort in den Klärschlamm. Das Bundesamt für Umwelt Buwal stufte die Gefahr zwar als «sehr gering» ein, informierte jedoch trotzdem die Kantone.

Am 9. Mai 2001 informierte «Saldo»: «Klärschlamm gerät als Düngemittel nicht nur in Verbindung mit BSE in Verruf. Immer mehr unerforschte Stoffe gelangen via Abwasser auf die Felder: Schwermetalle, Hormone, Reinigungsmittel, Antibiotika oder Sonnenschutzfilter. Von vielen Stoffen weiss man – auch wenn ihre Wirkung noch nicht bekannt ist –, dass sie sehr langlebig sind und sich in der Umwelt anreichern.»

Aud diesen Gründen hatte die biologische Landwirtschaft den Einsatz von Klärschlamm 1998 verboten. Ab Oktober 2001 verbot die Migros den Einsatz von Klärschlamm, falls Bauern für ein besonderes Fleisch-Label der Migros produzieren.

Klärschlamm .m lehner
Erst spät setzte die Klärschamm-Kritik ein. Die meisten Medien hatten den Einsatz von Klärschlamm lange unbedarft hochgejubelt.

Ebenfalls im Jahr 2001 forderte der Schweizerische Milchproduzentenverband ein Klärschlammverbot für den Futteranbau. Ein Jahr später empfahl endlich auch der Bauernverband einen generellen Verzicht auf Klärschlamm.

Doch das Bundesamt für Landwirtschaft handelte äusserst zögerlich. Erst spät ordnete das Bundesamt einen Ausstieg aus der Klärschlammverwertung auf Ende September 2006 an. Allerdings durften die Kantone den Bauern noch eine zweijährige Übergangsfrist bis September 2008 gewähren.

Heute räumt das Bundesamt für Umwelt Bafu ein: «Klärschlamm enthält Pflanzennährstoffe wie Phosphor und Stickstoff, jedoch auch Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Kupfer und Zink. Zudem können sich im Klärschlamm schwer abbaubare organische Verbindungen anreichen – von Reinigungsmitteln, Körperpflegeprodukten oder Arzneimitteln. Auch potentielle Krankheitserreger wie Bakterien, Viren und Parasiten können im Klärschlamm auftauchen.» 

Deshalb gelte «Klärschlamm als Abfall» und müsse «gemäss der Technischen Verordnung über Abfälle (TVA) entsorgt oder verwertet werden». 

Für die flächendeckende Verseuchung der Böden halten sich weder Behörden noch Fachstellen noch landwirtschaftliche Forschungsanstalten verantwortlich, noch die Lobby der Abwasserverbände und schon gar nicht die Bauern, die ihre sonst so gepriesene unternehmerische Eigenverantwortung nicht wahrnahmen.

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NACHTRAG

Auf Ihrer Webseite schreibt das Bundesamt für Umwelt: «Es ist in der Schweiz seit dem 1. Oktober 2006 untersagt, Klärschlamm als Dünger in der Landwirtschaft auszubringen.»
Infosperber machte das Bafu darauf aufmerksam, dass diese Aussage nicht korrekt sei, weil das Bafu den Kantonen erlaubt hatte, während einer Übergangsfrist den Bauern das Austragen von Klärschlamm noch bis Ende September 2008 zu erlauben.

Hier die Antwort des Bafu vom 17.9.2025:
«Der Bundesrat hat 2003 die revidierte Stoffverordnung (heute ChemRRV) in Kraft gesetzt. Die Anpassung sah vor, dass Klärschlamm nicht mehr als Dünger verwendet werden durfte, sondern umweltverträglich verbrannt werden musste. Das Verbot wurde stufenweise eingeführt: Im Futter- und Gemüsebau durfte Klärschlamm schon ab Mai 2003 nicht mehr verwendet werden. Für die übrigen düngbaren Flächen galt eine Übergangsfrist bis spätestens 2006; diese war im Einzelfall von den Kantonen – nicht vom BAFU – verlängerbar bis 2008. Wir werde diesen Punkt auf die BAFU-Webseite noch präzisieren.»


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Keine
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