USA: Mehr Transparenz für Pharmainvestoren und Öffentlichkeit
Eine Spritze allmonatlich für 16’158 Franken – für diesen stolzen Preis kann man vom Hersteller höchste Qualität verlangen. Doch als die US-Arzneimittelbehörde vor der Zulassung dieses neuen Medikaments namens Garadacimab den Produktionsort inspizierte, kam heraus: «Der Herstellungsprozess […] ist nicht so angelegt, dass potenzielle Verunreinigungen […] minimiert werden.» Das beanstandete die FDA in einem sieben Seiten langen Schreiben an die Firma CSL Behring im deutschen Marburg, in dem sie weitere Kritikpunkte auflistete. Unter anderem hegte die FDA Zweifel, ob der Herstellungsprozess zu einer «konsistenten Produktqualität» führen werde.
Kürzlich veröffentlichte die FDA ihr Schreiben an CSL Behring vom Juli 2024, in dem sie den Pharmahersteller aufforderte, die beanstandeten Punkte zu beheben. Zeitgleich stellte die FDA rund 200 weitere sogenannte «complete response letters» (CRL) an diverse Pharmafirmen frei zugänglich ins Netz. In solchen CRLs legt die Behörde dar, warum sie einen Zulassungsantrag in der eingereichten Form (noch) nicht gutheissen kann, und verlangt vom Hersteller eine Kurskorrektur.
Vollständige Informationen für die Investoren
Manche CRLs waren bereits bekannt, 89 Schreiben jüngeren Datums aber hat die Behörde neu publik gemacht. Die FDA kündigte an, ihre CRLs künftig jeweils publik zu machen, sobald sie diese der betroffenen Firma übermittelt habe. Dies solle den Pharmaherstellern helfen, «häufige Fehltritte» zu vermeiden, und sicherstellen, dass Investoren und Aktionäre vollständige Informationen erhalten.
Das Vorgehen der FDA sei Teil ihrer Bemühungen um mehr Transparenz. Auch CRLs zu Zulassungsanträgen, die von den Firmen wieder zurückgezogen wurden, werde die US-Behörde von jetzt an offenlegen. Was die FDA als Geschäftsgeheimnis oder persönliche, private Mitteilung erachtet, bleibt jedoch geschwärzt.
Höchstwahrscheinlich hat CSL Behring die Probleme bei Garadacimab inzwischen behoben, denn das war die Auflage der FDA für die Zulassung des Medikaments. Mittlerweile ist das Medikament gegen eine seltene Erkrankung namens «hereditäres Angioödem» sowohl in den USA als auch in der Schweiz zugelassen. Dennoch erstaunt es, dass der Hersteller die Zulassung beantragte, obschon die FDA solche Mängel feststellte.
Minimale Wirkung
Die Korrespondenz der FDA wirft ein Licht auf die Praktiken der Pharmaindustrie. Sie zeigt, wie die Firmen versuchen, Medikamenten-Zulassungen durchzubringen und welche Argumente sie benutzen – und dass es kritische und durchsetzungsfähige Arzneimittelbehörden braucht, die dem Einhalt gebieten. Das gelingt selbst der FDA nicht immer, wie der Fall der US-Pharmafirma Sarepta zeigt.
Die Korrespondenz mit dieser Firma erweckt den Eindruck, dass sich Sarepta um die Auflagen der FDA zu foutieren schien. Allein in den USA wurden für die erste Gentherapie von Sarepta namens Eteplirsen von 2016 bis 2022 schätzungsweise 2,6 Milliarden Dollar aufgewendet. In einem FDA-Gutachten steht zu diesem Mittel, das gegen erblichen Muskelschwund (Duchenne-Muskeldystrophie) helfen soll: «Kein klarer Beweis für die Wirksamkeit.» (Infosperber berichtete.)
Ende 2018 reichte Sarepta einen Zulassungsantrag für eine zweite Substanz (Golodirsen genannt) mit marginaler Wirkung gegen dieselbe Erkrankung ein. Die FDA erwähnt in ihrem Schreiben eine Studie, die gezeigt habe, dass sich die Muskelfunktion bei praktisch allen Behandelten verschlechtert habe – kein Leistungsausweis für ein Medikament, das die Krankheit aufhalten soll.
Pharmafirma kam den Forderungen der FDA nicht nach
In ihrem Golodirsen-Zulassungsantrag erwähnte die Firma zudem nicht, dass es bei ihrer ersten, sehr ähnlich wirkenden Substanz laut der FDA bei mindestens 2 von 100 behandelten Kindern zu schweren Infektionen gekommen war. Die FDA ging davon aus, dass dies auch bei Golodirsen passieren werde.
Ausserdem hatte Sarepta eine Studie zum Nutzen der ersten Substanz noch nicht einmal begonnen, obwohl die FDA die Firma dazu fast drei Jahre zuvor verpflichtet hatte. Die FDA lehnte die Zulassung von Golodirsen im August 2019 zunächst ab – und hiess sie im Dezember 2019 plötzlich gut, ohne eine Erklärung für ihren Sinneswandel. Etliche Fachleute konnten sich damals über das Verhalten der FDA nur noch wundern.
Fragen zur «Verlässlichkeit der Daten»
In verschiedenen Fällen hegte die FDA Bedenken zur «Verlässlichkeit von Daten». So beispielsweise gegenüber Eli Lilly, als die Firma 2022 die Zulassung von Lebrikizumab beantragte, einem Wirkstoff gegen Neurodermitis. Und auch gegenüber Samsung Biologics, die einen Wirkstoff namens Cosibelimab gegen Hautkrebs herstellt. 2024 erhielten beide Medikamente die US-Zulassung.
Immer wieder scheinen Pharmafirmen zu testen, ob sie mit ihrer Strategie durchkommen. Diesen Eindruck jedenfalls erwecken manche von der FDA veröffentlichte CRLs. Im Mai 2022 reichte zum Beispiel Eli Lilly einen Zulassungsantrag für ein Mittel gegen Alzheimer namens Donanemab ein. In den Vorbesprechungen hatte die FDA der Firma klargemacht, dass in der Zulassungsstudie wenigstens 100 Patienten mindestens ein Jahr lang damit behandelt werden müssen, um etwas über die längerfristige Sicherheit aussagen zu können. Das geht aus dem CRL hervor. Eli Lilly habe die Zulassung jedoch bereits beantragt, als erst 49 Patienten ein Jahr mit der Substanz behandelt worden waren, monierte die FDA und lehnte die Zulassung damals ab. 2024 registrierte sie das Mittel.*
Zu kurze Studiendauer, mehr Krebserkrankungen
Die Firma Therapeutics MD beantragte 2016 die Zulassung für ein Produkt, das in der Scheide das weibliche Geschlechtshormon Östrogen abgeben soll, um Schmerzen beim Sex zu lindern. Laut der FDA kam es bei manchen Frauen während der dreimonatigen Anwendung zu Veränderungen an der Gebärmutterschleimhaut.
Trotzdem reichte der Hersteller bloss Daten zur Sicherheit über die Dauer von drei Monaten ein. Damit kam er bei der FDA aber nicht durch. Sie verweigerte die Zulassung des Produkts und verlangte zuerst Langzeitdaten zur Sicherheit.
Welche Argumente Firmen herbeiziehen, um ihr Produkt besser aussehen zu lassen, zeigte zum Beispiel Serono. Als diese Firma 2010 die Zulassung ihres Multiple-Sklerose-Medikaments Cladribin beantragte, fiel der FDA auf, dass sich in der Studie, die der Hersteller vorlegte, Krebserkrankungen bei den Behandelten häuften. Pro 1000 Personen, die in US-Studien Cladribin einnahmen, seien 18 an Krebs erkrankt. In der Vergleichsgruppe, die Placebo erhielt, erkrankte niemand an Krebs, rechnete die FDA vor. «Dieses erhöhte Risiko einer Krebserkrankung […] ist nicht akzeptabel», teilte die Behörde dem Hersteller damals mit.
Firma wollte das Risiko herunterspielen
Aus dem Schreiben geht hervor, dass Serono gegenüber der FDA offensichtlich versuchte, das Krebsrisiko herunterzuspielen. Die Firma verwies zum Vergleich auf Studien, die das allgemeine Krebsrisiko bezifferten. Doch die FDA liess das nicht gelten. Denn solche epidemiologischen Studien seien als Vergleich viel ungeeigneter als die direkte Vergleichsgruppe, die Placebo bekam.
Auch das Argument von Serono, viele dieser Krebserkrankungen seien ja Tumore gewesen, die nur selten streuen würden und fast immer heilbar seien, liess die FDA nicht gelten: «Wir bleiben besorgt, weil das erhöhte Krebsrisiko auch bestehen bleibt, wenn man diese Fälle herausnimmt.»
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*Das «New England Journal of Medicine» hatte schon im März 2021 eine von Eli Lilly gesponserte Studie veröffentlicht. Diese erweckt den Eindruck, dass die Forderung der FDA erfüllt wurde. Dennoch schrieb die FDA 2022, dass die verlangten Sicherheitsdaten fehlen würden. Infosperber bat die FDA mehrmals erfolglos darum, diesen scheinbaren Widerspruch zu erklären.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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