Küchenpapier nicht für Lebensmittel verwenden
Schnell eingreifen, wenn ein Glas umkippt, Fettspritzer vom Herd wischen, ein kleines Malheur beseitigen – gängige Küchenpapiermarken leisten das mühelos, fand «Öko-Test». Alle 21 vor Ort oder im Onlinehandel gekauften Küchenrollen zeigten sich im Test stabil und saugfähig.
Kritik übte die Redaktion des Konsumentenmagazins aber an der Herkunft: Nur 12 von 21 Rollen bestünden vollständig aus Recyclingpapier – eine ungeheure Ressourcenverschwendung. Von den Herstellern, die Frischfasern verwenden, beziehe jeder zweite Zellstoff aus Risikoländern wie Brasilien, China und Russland, wo illegal abgeholzt wird.
Chemikalien im Recyclingpapier
Wer ausschliesslich Recycling-Küchenpapier verwendet, geht je nach Verwendung aber ein anderes Risiko ein: In allen Küchenpapieren mit Recyclinganteil und den meisten aus Frischfasern stellten die Testenden aber die hormon- und immunstörenden Chemikalien Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS) fest. Beide können zum Beispiel über Kassenzettel aus Thermopapier ins Altpapier gelangen. Nur die drei Marken «Dick und Durstig», «Kokett 3-lagig» von Essity (bei Aldi Nord und Aldi Süd) sowie «Zewa Wisch & Weg» (auch von Essity) enthielten kein BPA. BPS fand sich in allen Produkten. «Öko-Test» rät davon ab, Küchenpapier mit Lebensmitteln in Berührung zu bringen. Immerhin aber fanden sich diesmal keine potenziell krebserregenden Chemikalien aus der Papierproduktion, was Öko-Test noch 2021 bemängelt hatte.
Kleines Umweltchemie-Lexikon: Bisphenol A (BPA), Bisphenol S, Bisphenol F
Bisphenol A (BPA) ist ein endokriner Disruptor. Das heisst, die Chemikalie kann im Körper agieren wie ein natürliches Hormon. Erfunden wurde BPA in den 1930er-Jahren als Ersatz für natürliches Östrogen, heute wird es in Kunststoffen verwendet. In höheren Dosen kann BPA die Fortpflanzung und die fötale Entwicklung stören, die Spermienqualität reduzieren und Krebs verursachen. BPA ist als reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgiftig) eingestuft und steht im Verdacht, Brustkrebs, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern zu befördern. BPA kann ausserdem das Immunsystem stören. BPA kann durch Wärme aus Kunststoffen freigesetzt werden und durch die Haut in den Körper gelangen. Besonders vorsichtig mit Bisphenol A sollten Kinder, Schwangere und Übergewichtige sein. Bisphenol A steckt in vielen Kunststoffen, Flammschutzmitteln, Baustoffen und Epoxidharzen.
In der Schweiz und der EU wurde Bisphenol A ab 2011 in immer mehr Produkten verboten. Die Chemikalie wurde teilweise durch andere Bisphenole wie Bisphenol S (BPS) und Bisphenol F (BPF) ersetzt, von denen sich herausgestellt hat, dass sie ebenfalls schädlich sind.
In Thermopapier wie Kassenzetteln und Parktickets der EU ist BPA seit 2020 nicht mehr erlaubt, in der Schweiz gilt das auch für Bisphenol S. Lebensmittelkontaktmaterialien dürfen in der EU seit Januar 2025 keine Bisphenole mehr enthalten, Papier ist davon jedoch ausgenommen. In der Schweiz darf aus einer Beschichtung nicht mehr als ein Mikrogramm BPA in ein Kilogramm Lebensmittel übergehen.
Tagesdosis für BPS und BPA überschritten
«Öko-Test» überprüfte auch, wie viel Bisphenol nach einem Tag im Kühlschrank aus einem halben Bogen Küchenpapier in ein fettiges Lebensmittel übergeht. Fettig deshalb, weil dann besonders viel Bisphenol ins Essen übergeht. Den Übergang simulierte das Labor durch Einlegen in verdünnten Alkohol. Alle untersuchten Papiere mit Recyclinganteil überschritten dabei die zulässige BPA-Tageshöchstdosis für eine 60 Kilogramm schwere Person.
Die Tageshöchstdosis (Tolerable Daily Intake, TDI) ist eine von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegte Maximaldosis, die in Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht ausgedrückt wird. Für Bisphenol S (BPS) gibt es noch keine Höchstwerte der EFSA. Öko-Test wandte deshalb den Grenzwert für BPA an. Auch dieser wurde bei allen Küchenrollen mit Recyclinganteil und zwei Küchenrollen aus Frischfasern überschritten.
Bisphenol-Verbot geht nicht weit genug
Es kommt aber sehr darauf an, wie Konsumentinnen und Konsumenten Küchenpapier verwenden. Kommt es nicht in Berührung mit Lebensmitteln, die verzehrt werden, besteht kein Gesundheitsrisiko.
Die EU verbietet seit dem 20. Januar alle Bisphenole in Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. Das Verbot schliesst Papier allerdings nicht ein, was «Öko-Test» bereits bei Pizzaboxen bemängelte (Infosperber berichtete).
Nicht nachhaltig und nichts für den Biomüll
Weil Bisphenole in Thermopapier bereits verboten sind, wird deren Anteil im EU-Altpapier zunehmend geringer, die Belastung dürfte auf längere Sicht also sinken. Einmalpapier bleibt dennoch eine grosse Umweltbelastung, Recycling oder nicht. Nach einem Wisch ist das praktische Papierchen Abfall, was jedem Nachhaltigkeitsgedanken widerspricht. «Öko-Test» regt an, waschbare und wiederverwendbare Tücher zu verwenden.
Vorsicht übrigens mit Küchenpapier im Biomüll – auf der Verpackung stünde zwar «zu 100 Prozent biologisch abbaubar» in den Biomüll gelangen dürfe Küchenpapier aber nur in kleinem Umfang, warnt «Öko-Test». Was vom Hersteller nicht immer eindeutig deklariert sei. Ob vollständig oder teilweise Frischfaser im Papier steckt, muss aber angegeben sein.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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