Kommentar
Eine obskure «Hilfsorganisation» für Gaza
Red. Pia Holenstein Weidmann ist SP-Aussenpolitikerin. Sie war als Menschenrechtsbeobachterin unter anderem längere Zeit im besetzten Westjordanland. Ein Gastbeitrag.
Israel bombardiert die Bevölkerung von Gaza Tag und Nacht, schickt sie von einem Ort zum andern und hält seit über zwei Monaten alle Hilfslieferungen zurück. Hunderte von Lastwagen mit dringend notwendigen Gütern sind blockiert. Das ist eine schwere Verletzung der Souveränität der Länder, die ihre Verpflichtung zur Hilfe für die Opfer wahrnehmen wollen.
Dazu kommen zahlreiche bekannt gewordene oder auch nicht zugegebene Angriffe auf Hilfslieferungen, auf die Hilfs-Flottilla bei Malta, den Konvoi der World Central Kitchen, nicht zu reden von der unablässigen Verleumdung und Behinderung bis zum Verbot der UN-Organisation für palästinensische Flüchtlinge, der UNRWA. Diese ist unabhängig und am besten ausgerüstet für die konkreten Bedürfnisse vor Ort. Es ist ein Muster, dass Israel alle funktionierende Hilfe für den Gazastreifen ebenso blockiert, wie sie diesen militärisch attackiert. Diesen Vernichtungsfeldzug unterstützten zahlreiche westliche Politiker:innen, so auch jene Schweizer Parlamentarier, welche die UNRWA abschaffen und durch eine bessere Organisation ersetzen wollten. Wieviel haben sie bereits letztes Jahr gewusst?
Nun ist eine neu gegründete Organisation in Genf namens «Gaza Humanitarian Foundation» (GHF) aufgetaucht und bietet sich an, als einzige alle internationale Hilfe innerhalb Gazas zu verteilen. Das ist gefährlich, weil die westlichen Staaten das Leid in der Katastrophe zwar lindern wollen, aber alle Wünsche Israels erfüllen. Bundesrat Cassis sagte im Tessiner Fernsehen, es komme nicht darauf an, woher die Hilfe stamme. Die Schweiz prüfe die Beteiligung an der Organisation, berichtet der «Blick». Laut «Le Temps» haben Vertreter der Schweiz am 14. Mai an einem Anlass der Stiftung in Tel Aviv teilgenommen.
Was also ist das Problem? Die amerikanische Stiftung, die von Trump, Steve Witkoff und Mike Huckabee vollmundig als Lösung angepriesen wird, enthalte genau die israelischen Pläne für Gaza, stellen die Kritiker fest. Diese Pläne lauten: Gaza israelisch besiedeln und permanent besetzen, die Hälfte der 2,2 Millionen Palästinenser ins Ausland vertreiben und die übrigen in einem Konzentrationslager im Süden zusammenpferchen.
In einem offenen Brief protestierten englische Hilfsorganisationen, es sei eine Tarnorganisation des israelischen Staates. Sie weisen darauf hin, dass keine einzige palästinensische Vertretung darin sei und dass das Programm die israelischen Pläne spiegle. Der Zutritt zu Gaza dürfe nicht nur jenen Hilfsorganisationen erlaubt sein, die mit dem Belagerer kooperierten. Hilfe brauche kein neues Label, sie müsse nur eingelassen werden.
Auch der Schweizer Experte Manuel Bessler nimmt deutlich Stellung in einem Interview im Radio SRF: «Es ist wichtig, dass humanitäre Hilfe unabhängig von der Seite, auf welcher der Mensch steht, unparteiisch neutral abgegeben wird. Henri Dunant hat in Solferino allen geholfen, den Italienern wie den Franzosen, und er hat nicht gefragt, wer zu welcher Partei gehört, sondern er hat geschaut, wer Hilfe braucht.»
Was über die Stiftung in Erfahrung zu bringen ist: Die Adresse in Genf wirkt unverfänglich. Sie will mit biometrischer Überwachung und amerikanischen privaten Sicherheitsleuten sicherstellen, dass Hamas-Leute keine Hilfe erhalten. Ausserdem sollen die Lieferungen gezielt nur in die von Israel gewünschte Zone gelangen. Statt den über 400 Verteilstellen sind nur eine Handvoll geplant, zu denen Hunderttausende hinpilgern müssten für ein Hilfspaket, das sie nur nach Ausweiskontrolle und auf Gnade der Sicherheitsleute erhalten sollen.
In jeder Hinsicht ist die Stiftung also ein Instrument der israelischen Verfügungsgewalt über Gaza. Nachdem so viele unserer Medien und Politiker:innen auf die israelischen Verleumdungen aller Hilfswerke hereingefallen sind, welche das Ziel hatten, alle funktionierenden ausländischen und propalästinensischen Organisationen auszuschalten, hauptsächlich die UNRWA, droht jetzt vor unseren Augen ein grandioses Täuschungsmanöver die Zukunft der Menschen in Gaza und der Westbank wieder direkt Israel in die Fänge zu geben.
Im Krieg gegen Gaza wurden grundlegende Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füssen getreten. Kein Land darf sich fremdes Territorium aneignen. Menschen dürfen nicht vertrieben werden. Die Zivilbevölkerung ist immer zu schonen. Hilfe muss allen Opfern geleistet werden und darf nicht an Bedingungen geknüpft werden. Gut, dass sich jetzt auch die Schweiz an die humanitären Verpflichtungen erinnert und gegen die israelische Kriegsführung zu protestieren beginnt. Aber höchste Vorsicht und Voraussicht ist geboten, damit die Palästinenser:innen eine Zukunft in Freiheit und Schutz vor Angriffen erhalten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Pia Holenstein Weidmann ist SP-Aussenpolitikerin, Kulturwissenschaftlerin und Publizistin.
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