Bischof Robert Francis Prevost

Im Jahr 2014 wurde Robert Francis Prevost zum Bischof von Chiclayo in Peru ernannt. Nun ist er Papst. © SRF

Leo XIV. und J.D. Vance haben die gleichen Vorbilder

Michael Meier /  Papst Leo XIV. wird bereits als «Anti-Trump» gefeiert und geschmäht. Dabei verbindet ihn einiges mit dem Neokatholiken J.D. Vance.

Kaum im Amt hat der erste amerikanische Papst schon das Etikett des Anti-Trumps. Zumeist als Gütesiegel, wenn etwa Vatikan-Experte Nino Galetti ihn als «Gegenentwurf zu Trump» bezeichnet oder Martin Meier vom Hilfswerk Adveniat als «Gegenteil von Donald Trump». Aber auch Kritiker von rechts sehen ihn so. Für Trumps früheren Chefberater Steve Bannon zum Beispiel ist Papst Leo «die schlimmste Wahl für MAGA-Katholiken». 

In der Tat hat Robert Francis Prevost immer wieder Trumps unbarmherzige Migrationspolitik kritisiert. Kurz vor seiner Wahl zum Papst etwa stellte er sich hinter den Washingtoner Weihbischof Evelio Menjivar, der das Leiden der Geflüchteten unter der aktuellen US-Regierung mit der Passion Christi verglich. Am meisten zitiert wird aktuell Prevosts Kritik an der Aussage von J.D. Vance von Mitte Februar, wonach die von Kirchenvater Augustin definierte Ordnung der Liebe (Ordo amoris) festlegt, dass sich die Liebe eines Christen zunächst an die Familie, dann die Gemeinde, dann die eigene Nation und erst danach an alle übrigen Menschen in der Welt zu richten habe: Prevost entgegnete im «National Catholic Reporter» scharf: «J. D. Vance liegt falsch: Jesus hat uns nicht dazu angehalten, unsere Liebe zu anderen zu hierarchisieren.»

Beide bekennen sich zu Augustinus, dem Vater rigider Moral

Und doch lässt sich gerade am Namen des Heiligen Augustin festmachen, dass es zwischen dem neuen Papst und der Regierung Trump respektive Vance mehr Schnittmengen gibt, als das auf den ersten Blick ersichtlich wird. «Ich bin ein Sohn des Heiligen Augustinus», sagte der neue Papst bei seinem ersten Auftritt auf der Loggia des Petersdoms. Prevost gehört dem weltweiten Orden der Augustiner an und hat diesen zeitweise auch geleitet. Vizepräsident Vance wiederum nennt Augustinus den Patron seiner 2019 erfolgten Konversion zum Katholizismus. Dessen Werke «Vom Gottesstaat» und die «Bekenntnisse» seien für ihn prägend gewesen, wie er wiederholt betonte. Augustinus, der im Jahr 387 vom Manichäismus zum katholischen Glauben konvertierte und sich vom laxen Lebemann und Freigeist zum Bischof und Hypermoralisten wandelte, gilt gemeinhin als der Vater christlicher Lustfeindlichkeit und rigider Moral. Für Vance wie für Prevost ist er zum moralischen Kompass geworden. Die Abneigung des Republikaners gegen Abtreibung und LGBTQ-Anliegen ist bekannt. 

Auch Prevost hat sich für die Anti-Abtreibung-Bewegung stark gemacht und 2015 etwa Bilder vom Marsch fürs Leben im peruanischen Chiclayo mit dem Kommentar gepostet: «Lasst uns das Leben zu allen Zeiten verteidigen!» Bei der Weltbischofssynode von 2023 hat er sich gegen das Diakonat der Frau ausgesprochen, das nur zu ihrer Klerikalisierung führe. Auch kritisierte er den homosexuellen Lebensstil und alternative Familienmodelle. Dem von Franziskus erlaubten Instant-Segen für homosexuelle Paare steht er zurückhaltend gegenüber.

Befürworter der katholischen Soziallehre

Neben Augustin ist Leo der Name, der für beide Kontrahenten programmatische Bedeutung hat. Kardinal Prevost hat sich den Papstnamen Leo XIV. gegeben – in Rekurs auf Leo XIII. (1878-1903), der als grosser Sozialpapst des 19. Jahrhunderts gilt und mit der Sozialenzyklika «Rerum novarum» (Über die Arbeiterfrage) von 1891 die katholische Soziallehre begründete. Mit Blick auf das Massenelend des Arbeiterproletariats während der Frühindustrialisierung forderte er etwa Lohngerechtigkeit oder Koalitionsrecht, insgesamt einen Mittelweg zwischen Liberalismus und Sozialismus. Leo XIV. hat schon deutlich gemacht, dass er den Frieden und die soziale Gerechtigkeit fördern will. 

Auch Vance und die wachsende Zahl von (Neo-)Katholiken, die sich um ihn scharen, berufen sich auf die katholische Soziallehre als Fundament für ihre Vision einer gesellschaftlichen religiösen Renaissance. Gegenüber der liberalen Elite, die sich an den uneingeschränkten Rechten des Individuums orientiert, betont Vance den auf das Gemeinwohl gerichteten Kommunitarismus. Er möchte die «postliberale Gesellschaft» den moralischen Werten der katholischen Kirche und ihrer Soziallehre unterstellt sehen und zielt letztlich auf einen christlich-nationalistischen Staat. Auch dabei kann sich Vance auf Leo XIII. berufen. Der war nämlich nicht nur ein grosser Sozialreformer und internationaler Vermittler, sondern auch ein Gegner der europäischen Revolutionen und der Demokratie. Sein restauratives Programm orientierte sich an der hochmittelalterlichen Ordnung von Kirche und Staat und liess die christliche Verfassung des Staates unangetastet. 

Klug, kultiviert und polyglott

Wie sich der neue Papst zu diesem Konzept stellt, müsste man ihn selber fragen. Er, der als Missionar in Peru tätig war und sich eine missionarische Kirche wünscht, versucht sicher, die Gesellschaft zu verchristlichen. In seiner ersten Messe als Papst am Freitag in der Sixtinischen Kapelle vor den versammelten Kardinälen umriss er programmatisch seine Vision einer missionarischen Kirche in einem säkularen Zeitalter. Womit er an Franziskus anknüpfte, der immer wieder betont hatte, das säkulare Europa sei dabei, seine Seele zu verlieren.

Ob aber das Kardinalskollegium den Amerikaner aus politischem Kalkül gewählt hat und ihn gar als Anti-Trump aufbauen will, wird sich erst in Distanz zur Wahl zeigen. Prevost, ein Mann der Mitte, wird es kaum auf laute Kontroversen mit der Trump-Regierung anlegen. Dazu ist er zu klug, zu kultiviert. Er wird mit feiner Klinge argumentieren, sicher mit feinerer Klinge als Trump, der allerdings die Wahl eines Amerikaners zum Papst als Ehre für die Vereinigten Staaten bezeichnet hat.

Möglicherweise will das Kardinalskollegium mit der Wahl die antiamerikanische Haltung des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio korrigieren und über den amerikanischen Papst und dessen Diplomaten die generell beschädigte transatlantische Achse wieder dialogfähig machen. Gewiss haben die Kardinäle nicht nur einen polyglotten, gebildeten und frommen Mann an die Spitze der Kirche gewählt, sondern auch einen Kurienkardinal mit Führungserfahrung, der dem Kirchenstaat aus seiner prekären Finanzlage heraushelfen soll. Auch da sind intakte Beziehungen zu den USA und ihren spendefreudigen Gläubigen von grossem Vorteil.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Michael Meier ist römisch-katholischer Theologe und seit 1987 Journalist. Letztes Jahr erschien von ihm das Buch «Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist.»
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Auf Papst Benedikt XVI. folgt Papst Franziskus I. Wird er die katholische Kirche reformieren oder konservieren?

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