Majestätsbeleidigung: Die Türkei bestraft einen Schweden
Seit über einem Monat sitzt der Schwede Joakim Medin in einem türkischen Gefängnis. Die Behörden werfen ihm vor, Präsident Erdogan beleidigt zu haben und Terrorist zu sein.
Doch Medin ist Journalist. Die Anschuldigungen seien «falsch, absurd und aus der Luft gegriffen», sagt Andreas Gustavsson, Chefredaktor der Zeitung «Dagens ETC» und Medins Vorgesetzter.
Bei der Einreise verhaftet
Medin reiste am 27. März im Auftrag des Mediums nach Istanbul, um über die wachsenden Proteste gegen die Verhaftung des Präsidentschaftskandidaten Ekrem Imamoglu zu berichten. Doch der Schwede wurde bereits am Flughafen verhaftet.
Die Anklage verweist gemäss «Dagens ETC» auf Bücher, Artikel und auf Social-Media-Posts Medins. Darin berichtete er etwa über die Lage der kurdischen Bevölkerung in Syrien und der Türkei, Schwedens neues Terrorgesetz, das während der Nato-Beitrittsverhandlungen ausgearbeitet wurde, oder die Überwachung kurdischer PKK-Aktivisten in Schweden.
In seinen Büchern und Artikeln erscheinen Vertreter der kurdischen Partei PKK, die etwa in der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft ist. Gemäss türkischen Behörden handle es sich dabei um Propaganda, die zum Zweck habe, den Anschein zu erwecken, die Organisation habe eine legale Struktur. Medin berichtete auch über eine Demonstration in Stockholm im Jahr 2023, an der eine Erdogan-Puppe verbrannt wurde.
«Dagens-ETC»-Chef Andreas Gustavsson sagte dazu, die Anklage kriminalisiere offensichtlich normale journalistische Arbeit kriminalisieren. «Joakim Medin hat während vieler Jahre die politische Entwicklung in der Türkei geschildert. Unter anderem hat er sich die Voraussetzungen der Opposition angeschaut und die Situation der Kurden. Offensichtlich hat dies provoziert. Es geht um juristische Kriegsführung gegen Journalismus.» Nur weil er mit PKK-Mitgliedern spreche, sei Medin noch lange kein Terrorist.
Am Dienstag nun wurde Medin in einem ersten Prozess tatsächlich wegen Beleidigung Erdogans zu elf Jahren Haft verurteilt. Es handelt sich allerdings um ein bedingtes Urteil. Eine Haftstrafe müsste Medin nur antreten, falls er sich in den kommenden fünf Jahren etwas zu Schulden kommen liesse.
Zahlreiche Unterstützende Medins waren vor Ort in Ankara, darunter schwedische Medienschaffende und Parlamentsmitglieder. Viele zeigten sich erstaunt bis empört über das Urteil.
«Die einzigen Beweise gegen ihn liefert sein Journalismus. Das ist Journalismus, für den er in Schweden für Preise nominiert wurde. In der Türkei wird er dafür verurteilt. Das ist absurd und unglaublich ernst», sagte Ulrika Hyllert, Präsidentin des schwedischen Verbands der JournalistInnen in einer Stellungnahme.
Nach der Urteilsverkündung wurde Medin wieder in ein Hochsicherheitsgefängnis ausserhalb Istanbuls verlegt, wo zahlreiche Journalisten und Oppositionelle inhaftiert sind.
Risikoreiche Recherchen aus Konfliktgebieten
Der 40-jährige Medin sass bereits 2015 für kurze Zeit in einem syrischen Gefängnis. Er ist ausgebildeter Gymnasiallehrer, wurde aber 2009 Journalist. Damals lebte er in Honduras und berichtete über den Staatsstreich. Seither arbeitete er immer wieder als freischaffender Journalist für schwedische Medien in Konfliktgebieten. Er berichtete über Rechtsextremismus, Migration und Menschenrechte. Er hat bisher sechs Bücher veröffentlicht, etwa über Viktor Orbáns autoritäre Wende in Ungarn oder schwedische Sextouristen in Thailand.
Für zwei weitere Bücher interviewte Medin Mitglieder der kurdischen Organisationen PKK, PYD und YPG, die in der Türkei allesamt als militante Terrorverbände eingestuft werden. Zudem reiste er durch Syrien, teilweise mit Gruppen kurdischer Widerstandskämpfer. Es war denn auch die syrische PYD, welche ihn 2015 bei einem Gefangenenaustausch freibekam, nachdem ihn das Assad-Regime verhaftet hatte.
Terror-Propaganda oder Journalismus?
Nach Einschätzung eines schwedischen Kulturjournalisten handelt es sich bei den Büchern um gewöhnlichen Journalismus. Dieser sei jedoch kritisch gegenüber Erdogan. Insbesondere im Buch «Kurdspåret» (2023) behandle Medin die zunehmend autoritäre Entwicklung der Türkei unter Erdogan. Dabei schreibe er über Verhaftung und Folter politischer Gegner Erdogans und die Unterdrückung von Minderheiten. Um PKK-Propaganda handle es sich aber keineswegs. So berichte Medin auch über Selbstmordanschläge der PKK, Morde an Aussteigern oder Kindersoldaten.
Um diese Punkte dürfte sich der zweite Prozess des türkischen Staats gegen Medin drehen. Darin ist der Journalist wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terror-Organisation sowie wegen der Verbreitung von Terror-Propaganda angeklagt. Wann dieser Prozess stattfinden wird, ist noch nicht bekannt. Gemäss der schwedischen Aussenministerin Maria Malmer Stenergard setzt sich das Land intensiv für Medins Freilassung ein.
Dies tut auch ein türkischer Anwaltsverbund, der seinerseits den türkischen Staat wegen der Behandlung Medins verklagt hat. In der Klage geht es auch darum, dass Medins Frau im achten Monat schwanger ist und ihm mit der Haft das Recht auf ein Privat- und Familienleben verwehrt wird.
Medin gibt sich derweil zuversichtlich. Über seinen Anwalt liess er nach der Urteilsverkündung am Mittwoch verlauten: «Ich bin hoffnungsvoll, dass ich bald zuhause sein werde, um meine Arbeit da fortzusetzen, wo ich aufgehört habe.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
„Mäjestätsbeleidigung“! Eine blödsinnigere Anschuldigung gibts wohl nicht. Ich halte Erdogan nicht für so blöd wie die meisten Leute im Westen. Die Verhaftung Imamoglus kann für Erdogan aber gefährlich werden. Seit Atatürk schwelt das Problem mit den Kurden. Weder Erdogans Partei noch die CHP konnte es je lösen.
Autonomie könnte eine Lösung sein, so wie sie die Basken in Spanien haben, oder so wie es sich auch die Katalanen schon lange wünschen und am Partido Popular und VOX scheitern.