Boykott_SBB

Die SBB geben Konsumentenmagazinen seit Monaten keine Auskünfte mehr © Montage IS

SBB boykottieren Konsumentenmagazine

Matthias Strasser /  Seit Herbst beantworten die SBB keine Fragen des K-Tipp mehr. Dieser hat die Volksinitiative «Pro Service Public» eingereicht.

Bereits während der Unterschriftensammlung reagierten die SBB empfindlich. Die SBB beantworten seit vergangenem Herbst keinerlei Anfragen mehr der «K-Tipp»-Redaktion. Das bestätigt «K-Tipp»-Verleger René Schuhmacher gegenüber Infosperber. Auch die Zeitschriften «Saldo» und «Bon à Savoir» des gleichen Verlags sind vom Informationsboykott betroffen. Diese Konsumentenschutz-Magazine haben gemeinsam mit dem Tessiner Magazin «Spendere Meglio» die Volksinitiative «Pro Service Public» lanciert und diese am Donnerstag im Bundeshaus mit 106’000 beglaubigten Unterschriften deponiert. Über das erfolgreiche Zustandekommen hatte Infosperber informiert.
Kein Steuerabschöpfung mehr auf dem Service public
Die Initiative verlangt vom Bund, seine Unternehmen nicht für verdeckte Steuereinnahmen zu missbrauchen und deren Gewinne nicht mehr abzuschöpfen. Zudem sollen die Löhne dieser Betriebe jene der Bundesverwaltung nicht übersteigen dürfen. Von der Initiative betroffen wären Betriebe, die «vom Bund durch Mehrheitsbeteiligung direkt oder indirekt kontrolliert werden», sowie Unternehmen, die im Bereich der Grundversorgung einen öffentlichen Auftrag wahrnehmen. Das betrifft insbesondere die Post, die Swisscom oder die Schweizerischen Bundesbahnen SBB.
SBB: «Nicht für redaktionelle Zwecke»
Die SBB begründen die Informations-Verweigerung mit der «Pro Service Public»-Initiative. Die SBB habe feststellen müssen, dass die von «K-Tipp» recherchierten Informationen «nicht für redaktionelle Zwecke, sondern auf einer Werbeseite für ein Initiativkomitee abgedruckt wurden». Das sei «Unsinn», heisst es beim K-Tipp. Die Zeitschrift habe diese redaktionellen Texte ganz normal im redaktionellen Teil veröffentlicht, als Serie unter dem Logo «Pro Service Public». Die SBB konnten zur jeweiligen Kritik stets Stellung nehmen – so lange sie Stellung nahmen. Die Artikel gingen auf Beschwerden von SBB-, Swisscom- und Postkunden ein und setzten sich wie die meisten Beiträge in diesen Konsumentenmagazinen für die Anliegen der Konsumentinnen und Konsumenten ein.
Nach Meinung der SBB hätten diese Texte jedoch den «journalistischen Grundsätzen der Unvoreingenommenheit und Ausgewogenheit» nicht genügt. «Aus logistischen Gründen» würde die SBB-Medienstelle nur Medienschaffenden mit redaktionellem Hintergrund zur Verfügung stehen.
Keine Probleme mit dem Beantworten von Fragen des K-Tipp oder von Saldo haben andere Unternehmen des Service public wie die Post oder die Swisscom: Keines dieser Unternehmen habe eine Informationssperre verhängt, obwohl auch sie sich mit kritischen Artikeln konfrontiert sahen, erklärt Herausgeber René Schuhmacher.

Laut Schuhmacher boykottieren die SBB die Konsumentenzeitschriften sogar dann, wenn der K-Tipp allgemeine Fragen etwa zu Jahresrechnung und Bilanz stellt. Schuhmacher kann die Ursache dafür nur erahnen: «Die SBB-Chefs haben keine Freude an der Initiative.» Das sei der Redaktion aus verschiedenen Quellen in Bundesbern mitgeteilt worden. Die SBB-Medienstelle dementiert eine Einflussnahme von oben. Das Team der Medienstelle habe den Boykottentscheid in Eigenverantwortung gefällt, weil die Anfragen die «Antwortzeit für andere Medienschaffende strapaziert» habe.
Kritik müssen die SBB von Peter Studer einstecken. Der frühere Präsident des Presserats und Ex-Chefredaktor des Schweizer Fernsehens hält die generelle Informationsverweigerung der SBB für «rechts- und verfassungswidrig», wie er gegenüber «Saldo» erklärte. Studer erinnert an einen Bundesgerichtsentscheid vom letzten Jahr: Die SBB als Bundesbetrieb seien an die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit gebunden und müssten Informationen aus frei zugänglichen Quellen zur Verfügung stellen.

«Nur Registerschwindler, Inkassofirmen und Call-Center-Betreiber geben keine Auskünfte»
Diese Form eines Boykotts sei in der Geschichte des «K-Tipp» einzigartig, so René Schuhmacher. Es gebe nur vereinzelte Kleinunternehmen, die auf Anfragen des Konsumentenmagazins keine Stellung nehmen würden. Dabei handle es sich um «Registerschwindler, dubiose Anlageberater, Krankenkassenvermittler, Inkassofirmen und Call-Center-Betreiber».
Die Initiative aus dem eigenen Haus kann einer objektiven Berichterstattung des K-Tipp sicher abträglich sein. Allerdings, so K-Tipp-Verleger Schuhmacher, könnten die betroffenen SBB sicherlich auch nicht über die Objektivität der Berichterstattung urteilen. Im Übrigen würden die K-Tipp-Mitarbeiter nach dem Grundsatz arbeiten, Betroffene mit ihren besten Argumenten zu Wort kommen zu lassen. «Wenn die SBB auf die Möglichkeit einer Stellungnahme verzichten, deutet dies darauf hin, dass ihnen die Argumente fehlen».

Weiterführende Informationen


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3 Meinungen

  • am 3.06.2013 um 14:41 Uhr
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    Schade, dass ich diesen Artikel erst heute zu Gesicht bekam. Am 28. Mai hat Jeannine Pilloud, Chefin Personenverkehr der SBB, die Zürcher Journaille anlässlich der Verleihung des Journalistenpreises mit einem weichgespülten Referat betreffend gegenseitiges Verständnis etc. zugetextet. Ich hätte sie gerne unterbrochen.

    Kollege René Schumacher kennt sicher das etwa 20 Jahre zurückliegende Bundesgerichtsurteil im Falle Volksrecht gegen Kantonspolizei Zürich. Es besagt, dass eine öffentliche Stelle alle interessierten Medien gleich behandeln bzw. informieren MUSS. Es wäre interessant zu wissen, ob dies auch für Betriebe des Bundes gilt.

    Karl Lüönd

  • am 5.06.2013 um 11:13 Uhr
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    Seit Wochen brannte es mir unter den Fingern, dieses Verhalten meines ehemaligen Arbeitgebers mit einem Artikel in meinem Blog (markseger.com) anzuprangern. Ich habe es nicht getan, weil ich dachte, dass die SBB schon noch von selber zur Vernunft kommen würde.
    Wenn ich jetzt aber lese, wie die SBB auf die Anfragen des Infosperbers reagiert, kommt mir die Galle gleich nochmals hoch.
    Die Bundesbahn gehört zu 100% dem Bund und erlaubt sie sich, Medienschaffende für deren Ausübung von verfassungsmässigen Rechten abzustrafen. Das ist skandalös. Wenn man uns dann noch weis machen will, » Das Team der Medienstelle habe den Boykottentscheid in Eigenverantwortung gefällt, weil die Anfragen die Antwortzeit für andere Medienschaffende strapaziert habe", dann müsste doch eigentlich die Frage erlaubt sein, weshalb dies der Verwaltungsrat der SBB, als Vertreter des Eigners diesem selbstherrlichen Gebaren nicht sofort den Riegel schiebt.

  • am 5.06.2013 um 11:26 Uhr
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    Man möge mir die redundanten Formulierungen im dritten Abschnitt meines obigen Kommentars bitte verzeihen. Diese Geschichte hat mich wohl tatsächlich ziemlich durcheinander gebracht.

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