Corina_Eichenberger_Nuklearforum

Corina Eichenberger, Präsidentin des Nuklearforums Schweiz und Aargauer FDP-Nationalrätin © Nuklearforum Schweiz/Thai Christen

Atomlobby propagiert «feine» Mini-AKW

Kurt Marti /  Grosse Atomkraftwerke kosten Milliarden. Deshalb hausiert das Nuklearforum Schweiz neuerdings mit «kleinen, aber feinen» Reaktoren.

Im kalten Winter 1984/85 rannten die Medien dem damaligen Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR) – heute Paul Scherrer Institut (PSI) – die Türen ein. «Small ist beautiful» lautete damals das Motto und das EIR-Paradepferd hiess Schweizer Heizreaktor (SHR); ein Mini-AKW zur Stromversorgung und Beheizung von Dörfern und Quartieren. Dieses energiepolitische Ei des Kolumbus hatte laut Atombranche nur Vorteile: Weniger radioaktive Abfälle, kostengünstiger Bau und Unterhalt, bombensicherer Betrieb. Dann kam die Atomkatastrophe von Tschernobyl und der Wunderreaktor wurde begraben. Doch die millionenschwere Forschung am PSI lief weiter.

Lieferung und Abtransport der Mini-AKW per Lastwagen

Neuerdings bereitet das Nuklearforum Schweiz eine Renaissance dieser Mini-AKW vor. Die Mini-Atomreaktoren heissen inzwischen «Small Modular Reactors» (kleine, modulare Reaktoren). Auf seiner Internetseite und in einem Werbeinserat in einer «Tagesanzeiger»-Beilage lobt das Nuklearforum die Vorteile der Mini-AKW in hohen Töne: Bombensicherer Betrieb, kostengünstiger Bau und Unterhalt, weniger radioaktive Abfälle. Wie bereits vor fast 30 Jahren. Laut Nuklearforum können die Mini-AKW «wegen ihrer geringen Grösse unterirdisch gebaut werden». Die Mini-AKW werden fixfertig ab Fabrik «per Lastwagen an den Einsatzort gebracht und allenfalls nach Ende der Betriebszeit wieder zurückgebracht». Fazit des Nuklearforums: «Klein, aber fein».

Mini-AKW haben eine Leistung von 20 bis 300 MW (AKW Leibstadt: 1190 MW; AKW Mühleberg 373 MW). Laut Nuklearforum ideal für den dezentralen Einsatz in den Regionen; das Atomkraftwerk für das Dorf, das Quartier oder die Fabrik. An der letzten Jahresversammlung des Nuklearforums hat dessen Präsidentin und Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger das Credo abgegeben: «Wir sind von den Stärken der Kernenergie überzeugt und halten einen Verzicht auf sie, insbesondere einen rein politisch motivierten Verzicht, für den falschen Weg.» Die neuste Werbung des Nuklearforums macht klar, was sie damit genau meinte.

Zweckoptimismus: Ein Mini-AKW wird in Sibirien gebaut

Trotz Euphorie sieht das Nuklearforum noch einen «langen Weg» für die «feinen» Mini-AKW. Sie sollen erst mittelfristig zum Einsatz kommen, offenbar wenn die bestehenden Atomkraftwerke abgestellt werden. Das Nuklearforum macht im Moment auf Zweckoptimismus: Bereits ist ein Mini-AKW an der Nordküste Sibiriens im Bau und in China steht eines kurz vor Baubeginn. Ein «weit fortgeschrittenes Projekt» in Südafrika ist wegen Geldmangel abgebrochen worden. Generell aber müssten «die SMR ihre Wirtschaftlichkeit noch belegen.» So tönte es schon Mitte der 80er Jahre.

Auch Kleinvieh macht Mist, auch Mini-AKW produzieren radioaktive Abfälle; je höher die Anzahl der Reaktoren, desto grösser die radioaktive Menge. Und was aus Mini-Reaktoren werden kann, wenn sie ausser Betrieb gehen, zeigt sich auf der Kola-Halbinsel bei Murmansk. Dort liegen Dutzende von sowjetischen Atom-U-Booten und müssen vom Westen für Milliardenbeträge entsorgt werden.

Weitere Forschungsmillionen für das atomare Utopia

Wie auf der PSI-Internetseite zu lesen ist, hat sich die Schweiz mit neun anderen Ländern (Argentinien, Brasilien, Kanada, Frankreich, Japan, Südkorea, Südafrika, Grossbritannien, USA) zum «Generation IV International Forum» (GIF) zusammengeschlossen und mit ihnen ein Abkommen zur Erforschung von Mini-Reaktoren der 4. Generation unterzeichnet, welche im Jahr 2030 zur Verfügungen stehen sollen. Die Atomforscher des PSI und der ETH Zürich und Lausanne dürfen also weitere 20 Jahre mit Bundessubventionen an ihrem atomaren Utopia basteln. Als hätte es keinen Ausstiegs-Beschluss des Bundesrates gegeben. Einer dieser Mini-Reaktoren der 4. Generation ist übrigens der gasgekühlte Hochtemperatur-Reaktor, dessen Vorläufer bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends gross angepriesen und anschliessend kläglich begraben wurde.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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7 Meinungen

  • am 21.09.2012 um 21:46 Uhr
    Permalink

    Dazu passt folgendes Gedicht aus Büchlein «Öko-Balance":

    Atomkraft

    Gar mancher denkt beim Lösung suchen:
    „Man soll die Kernkraft nicht verfluchen.“

    Doch die Atomkraft muss man sehn,
    Bringt grosses Sicherheitsproblem.
    Zudem muss man sich ehrlich fragen:
    „Wer will denn Langzeitlager haben?“

    Bei der Gewinnung von Uran
    Fällt viel aktiver Abfall an.
    Die Umwelt muss dort wirklich leiden
    Und wer dort wohnt – nicht zu beneiden.

    Erreicht man s’ Ökogleichgewicht,
    So braucht es die Atomkraft nicht. *

    * Z.B. in der Schweiz würde man im Ökogleichgewicht 4 mal weniger Energie brauchen.

  • am 23.09.2012 um 14:28 Uhr
    Permalink

    klein und fein….. fein verteilt auf die Landschaft, für den einfachen Zugriff Unbefugter.
    Auch das ist doch völlig verantwortungslos! – dass sich überhaupt menschliche Wesen für solches einsetzen können.
    Es müsste das Kernenergiehaftpflichtgestzt abgeschafft werden, damit die Betreiber endlich voll haften müssten. (die FDP will doch überflüssige Gesetze abschaffen??)
    Damit wäre der Albtraum der Kerntechnik endlich vorbei und 2,5% des Endenergieverbrauchs müssten substituiert werden.

  • am 24.09.2012 um 15:40 Uhr
    Permalink

    Der Berich von Kurt Marti ist soweit richtig.

    Nur: Ich bin ganz froh, dass die schlauen Köpfe vom PSI und andere Forschungs-Institute trotz des voreiligen Bundesratsbeschlusses weiterforschen.
    Das Jahr 2030 wird kommen, und wir werden froh sein, dass wir «wenigstens» noch Atomstrom haben. Bisher hat mir noch kein Mensch glaubwürdig eine Alternative zum Atomstrom hervorgezaubert. Wind- und Sonnenenergie sind offensichtliche Rohrkrepierer!
    Wer anders behauptet, hat einen guten (kommerziellen) Grund dazu. Die Öko-Branche ist ganz geil auf die Subventionen. So, wie sich Fukuschima abkühlt, werden sich auch die Politiker abkühlen. Die Wahlen sind schliesslich vorbei.

    Wie grün kann man sein, ohne rot zu werden.

    Frankreich macht mit seinen über fünfzig Atomkraftwerken in Zukunft kräftig Kasse. Da wir in der Schweiz vorwiegend Westwindlage haben, nützt es natürlich viel, unsere AKW’s abzuschalten…

    Und zur Vertiefung: Auch wenn man ein Kernkraftwerk abschaltet, ist es noch über Jahrzehnte verseucht. Also muss weitergeforscht werden. Nur so kann man die Sicherheit gewährleisten! Seit Tschernobyl ist sicherheitstechnisch eine Menge gelaufen. Fukuschima war, wie wir heute wissen, ein relativ kleiner Unfall. Die Japaner haben daraus gelernt.

    Die Naivität des Stimmbürgers wird von findigen Öko-Lobbyisten missbraucht. Eine Studie hier, eine Tabelle dort; und schon ist die Angst perfekt bewirtschaftet. Nein ehrlich, liebe Mitschweizer: Think outside the box!

    Klassenbester zu sein mag für Sekundarschüler erstrebenswert zu sein. Im richtigen Leben sind es aber selten diese, welche die Wirtschaft am Leben halten oder Nobelpreise gewinnen. OK, vielleicht schaffen sie es. Politiker zu werden…

    Als Alternative zu AKW’s sehe ich nur die Gaskraftwerke. Öl wird es noch für tausende von Legislaturperioden haben. Wenn Mitt Romney gewählt wird, bohrt die USA zuhause nach Öl. Nordamerika sitzt auf mehr Öl, als die OPEC noch zu fördern hat. Und diese Information habe ich von einem Ölscheich persönlich erhalten. Übrigens wird im Nahen Osten noch für weit mehr als 80 Jahre Öl gefördert werden können. «Mein Scheich» hat noch für 160 Jahre Öl; bei aktueller Fördermenge.

    Vor diesem Hintergrund ist der technologische Stillstand bei Wind- und Sonnenenergie einfacher zu verstehen.

    Ich würde mir wünschen, dass der durchschnittlich begabte Mainstream-Journalist auch mal die andere Seite des Spektrums besucht. Aber studieren schmerzt eben. Auch ich hatte viele Jahre Vertrauen in die ECO-Industrie. Heute bin ich weiter. Vor allem weiss ich, dass es der Welt bedeutend besser geht, als es die grün scheinenden Apokalyptiker uns gebetsmühlenartig vortragen. Vom CO2 mag ich gar nicht reden.

    Ich schweife ab; natürlich sind diese Kleinkraftwerke nicht die Lösung. Man muss aber wenigstens weiterforschen dürfen. Dass es was kostet, ist klar. Ich bin auf jeden Fall bereit, dafür zu zahlen! Bevor uns Frankreich vorschreibt, wie viel Strom wir brauchen dürfen…

    Mit strahlenden Grüssen aus Japan.

  • am 24.09.2012 um 22:14 Uhr
    Permalink

    Herr Stiefenhofer
    Haben Sie sich auch schon überlegt, warum die AKWs nicht versichert werden können?
    Mit realistischen Grüssen
    Markus Zimmermann

  • am 25.09.2012 um 04:25 Uhr
    Permalink

    Ja, Herr Zimmermann.
    Ich bin ja nicht der Meinung, dass AKWs eine gute Sache sind. Bestimmt nicht. Aber leider ist es zurzeit die einzige Technologie, welche brauchbar ist. Auch in naher Zukunft.
    Ich vertraue auf den Erfindungsgeist des Menschen. Dieser wird auch Lösungen hervorbringen, wenn man ihn denn auch finanziell unterstützt. Wind und Sonne sind meines Erachtens nicht die Lösung. Wenn man das einsieht, werden plötzlich neue Wege offen. Das Rad muss neu erfunden werden. Mit heutigen Politikern fast unmöglich.
    Es werden private Investoren und vor allem reiche Philanthropen sein, welche uns helfen müssen. Auch wenn das uns nicht passt. Die Bill Gates der Zukunft (Asiaten?) werden damit auch Geld verdienen und Macht erlangen.
    Kein schönes Szenario, aber eben ein menschliches.

    Übrigens kann und soll man nicht alles versichern. Auch AKWs nicht. Man kann auch keinen Jumbo Jet mit 600 Menschen darin versichern. Dazu braucht es umsichtige Betreiber, welche Verantwortung übernehmen. Dieses Vertrauen habe ich in die AKW Leute.

    Gruss aus Korea

  • am 25.09.2012 um 08:58 Uhr
    Permalink

    @Renato Stiefenhofer
    "Dazu braucht es umsichtige Betreiber, welche Verantwortung übernehmen."
    … und wie genau könnte jemand diese Verantwortung tragen? Das würde doch heissen, den Schaden gut zu machen!
    Die Obermanager behaupten Verantwortung zu tragen, und wenn es passiert, dann zahlt der Staat, ausgenommen Realersatz für die vielen verlorenen Liegenschaften etc. was gar nicht «bezahlt» werden kann.
    Das stimmt, die Ölindustrie ist mächtiger als die Atomindustrie. 85% des Endenergieverbrauchs weltweit ist fossil begründet. Die AKW decken öppe 2,5%.
    2,5% also fast zu vernachlässigen….
    Wie bin ich froh, dass auch Sie finden, AKW seien KEINE gute Sache.

  • am 25.09.2012 um 14:33 Uhr
    Permalink

    Eine schreckliche Vision ! Der «Mini-Müll» kann dann leichter verteilt werden, sogar in der Region begraben werden (mit der Begründung: Es war ja euer Wunsch das Ding in der nähe zu haben…), sich nachträglich wehren unmöglich.
    Das ausrangierte Gerät muss / darf dann auch «behalten» werden, denn wohin sonst damit !
    Also wenn schon sind mir die «grossen» lieber da viel besser kontrollierbar … obwohl auch die nur nötig sind weil wir nicht in der Lage sind unsere Komfort Ansprüche zurückzunehmen … Aber auch dieser Wunsch bleibt Utopie da der Bevölkerungswachstum allem einen Strich durch die Rechnung macht !

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