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Bafu-Direktor Bruno Oberle in der SRF-Tagesschau vom 10. April 2014: Zaubertricks © srf

Folgenschwerer Paradigmenwechsel beim Bafu

Kurt Marti /  Das Zauberwort von Bruno Oberle, Direktor des Bundesamtes für Umwelt, heisst «Ressourcen-Management» - mit gravierenden Folgen.

«Umweltpolitik ist Ressourcenpolitik, deshalb ist sie Wirtschafts- und Sozialpolitik», erklärte Bafu-Direktor Bruno Oberle, Direktor des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) anlässlich des Swisscanto Management Forums 2007. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2006 verspricht Oberle nichts weniger als einen «Paradigmenwechsel» und predigt vollmundig den Abschied von der «eindimensionalen Umweltschutzphilosophie» hin zur «volkswirtschaftlichen Gesamtsicht». Neben der ökologischen Nachhaltigkeit will er die ökonomische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit ins Zentrum rücken. «Ressourcen-Management» heisst das Zauberwort des früheren ETH-Professors.

Mit Zaubertrick vom Misserfolg abgelenkt

Was er damit genau meint, zeigte Oberle anlässlich einer Medienkonferenz im April, als er behauptete, die Schweiz habe das im Kyoto-Protokoll festgelegte Ziel erfüllt, und zwar «mehrheitlich dank Reduktionsmassnahmen im Inland». Die Fakten hingegen belegten das Gegenteil: Um nämlich das Kyoto-Ziel zu erfüllen, hätte die Schweiz die Treibhausgase von 52,8 Millionen Tonnen um 4,2 Millionen Tonnen auf 48,6 Millionen Tonnen senken müssen. Tatsächlich aber wurden die Treibhausgase bloss um 0,5 Millionen Tonnen reduziert. Um das Kyoto-Ziel von 4,2 Millionen Tonnen dennoch zu erfüllen, kaufte die Schweiz Emissionszertifikate im Ausland und erreichte damit eine Senkung um 2,5 Millionen Tonnen, was 60 Prozent des Kyoto-Ziels entspricht. Dieses wurde folglich mehrheitlich im Ausland erfüllt und nicht im Inland, wie Oberle behauptete.

Wie kam aber Oberle zu seiner kühnen Behauptung? Getreu seinem «Paradigmenwechsel» hat er die ökonomische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit in seine Berechnungen einbezogen – konkret das Wachstum der Wirtschaft und der Bevölkerung. Damit erhöhte er den Ausstoss der Treibhausgase künstlich von 52,8 auf 56,9 Millionen Tonnen. Daraus resultierte eine fiktive Differenz von 4,1 Millionen Tonnen, die er kurzerhand der Inlandreduktion zurechnete, was die «mehrheitliche Reduktion im Inland» bewirkte. Mit diesem Zaubertrick mogelte sich das Bafu über den faktischen Misserfolg der Schweizer Klimapolitik hinweg, insbesondere über die stets steigenden CO2-Emissionen des Privatverkehrs, die in der Bafu-Medienmitteilung gar nicht erst erwähnt wurden.

Interner und externer Widerstand

Oberles famoser «Paradigmenwechsel» traf amtsintern und extern auf steinigen Boden. Die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) hielt im Jahr 2010 fest, die Strategie der Direktion, das Bafu als «Ressourcenamt» statt als «Schutzamt» zu positionieren, habe sich amtsintern nicht durchgesetzt. Die unteren Führungsebenen und Mitarbeitenden wüssten nicht, was dies konkret bedeute. Gegenwind gab es auch von den Ostschweizer Kantonen, die anlässlich eines Treffens mit dem Bafu dessen fehlende Themenführerschaft in der Klima-Kommunikation bemängelten. Deshalb lud das Bafu anfangs Mai die Kommunikationsfachleute von Bund, Kantonen und Städten zu einer Krisentagung «Umweltkommunikation» nach Frauenfeld ein und wurde mit teilweise harscher Kritik eingedeckt.

In einem Protokollpapier des Bafu zum «Workshop Klima» steht lapidar: «Die heutige Kommunikation greift nicht.» Energie und Verkehr seien «eminent wichtige Umweltthemen», aber leider sehe das Bafu «Energie und Verkehr nicht als Umweltbereiche», was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung als «absurd» bezeichneten. Erwünscht ist laut den Kantonsvertretern «eine klare Federführung des Bafu».

Grosse Vollzugsdefizite beim Landschaftsschutz

Auch beim Artenschutz führt der «Paradigmenwechsel» mit seiner höheren Gewichtung wirtschaftlicher Interessen zu negativen Folgen. So etwa beim streng geschützten Luchs: Indem das Bafu der Jägerschaft ein Anrecht auf Beute eingeräumt hat, gibt es den Luchs zum Abschuss frei, wenn sich durch seine Präsenz die Wildbestände verringern sollten.

Besonders gross sind die Vollzugsdefizite beim Schutz der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN-Gebiete). Bereits 2003 hat die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates in einem Bericht den ungenügenden Schutz der BLN-Gebiete festgestellt. Über zehn Jahre hat es dann gedauert, bis der Bundesrat unter der Federführung des Bafu im vergangenen Januar endlich eine Totalrevision der BLN-Verordnung vorgelegt hat.

Zwar wird durch die Revision die Rechtssicherheit erhöht, aber Verbesserungsvorschläge für die beeinträchtigten BLN-Gebiete sucht man darin «vergeblich», wie Pro Natura in einer Medienmitteilung festhält. Solche Verbesserungen werden nicht nur im Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) gefordert, sondern sind bitter notwendig. Dies zeigt unter anderem der Disput um die Windkraftnutzung im BLN-Gebiet «Vallée de Joux» oder das Trauerspiel um den Grenzfluss Doubs, dessen Zustand sich trotz mehrfachem rechtlichen Schutz dauernd verschlimmert.

«Konfliktscheuer Umgang mit den Kantonen»

Doch in den Kantonen ist man über die lasche Haltung des Bafu nicht nur glücklich: Laut einer Befragung des Luzerner Büros Interface im Auftrag des Bafu verlangen die kantonalen Umweltschutzbeamten, «dass das Bafu die Interessen des Landschaftsschutzes mehr und besser auf Stufe des Bundes einbringt». Und die Verfasser der Interface-Studie doppeln nach: Die Vollzugsdefizite beim Landschaftsschutz kämen durch den «Mangel an Ressourcen und fehlendem politischen Willen» der Kantone zustande. Deshalb müsse der Bund unter der Federführung des Bafu «die Leitungsfunktion im Bereich Landschaftsschutz übernehmen».
Weitere Kritik am Bafu äussern umweltpolitische Kreise: Die Bündner SP-Nationalrätin und Pro Natura-Präsidentin Silva Semadeni empfindet das Bafu als «sehr defensiv». Im Bereich der Biodiversität habe die Schweiz «einen grossen Nachholbedarf». Gleichzeitig spüre sie beim Bafu «einen zu konfliktscheuen Umgang mit den Kantonen, die den Natur- und Landschaftsschutz generell oder in einzelnen Bereichen vernachlässigen». Beispielsweise der Moorschutz ist laut Semadeni «trotz einer seit über 25 Jahren existierenden klaren Verfassungsgrundlage noch immer nicht genügend umgesetzt». Dasselbe gelte für die Restwasserbestimmungen «trotz einer über 20-jährigen Übergangsfrist».

Oberle blieb von rechtsbürgerlichen Attacken verschont

Der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri, Vorstandsmitglied von Pro Natura Solothurn, rügt in einer Interpellation vom März 2013, das Bafu warte mit Aktivitäten zur Biodiversität bis zur Fertigstellung des Aktionsplanes zu, obwohl in diesem Bereich aufgrund der Abnahme der biologischen Vielfalt «durchaus ein Nachholbedarf» bestehe. Auch das Rollenverständnis des Bafu bemängelt Fluri. Im Vergleich zum Bundesamt für Energie (BFE) agiere «das Bafu oft sehr zurückhaltend» und sei «sehr früh kompromissbereit». Das BFE hingegen handle «proaktiver» und setze «klare Aufgaben».

Kein Blatt vor den Mund nimmt der Pionier des Umweltrechts Heribert Rausch. Zwar seien die verfassungsrechtlichen Fundamente in der Schweiz «stark». Das Hauptproblem sei «aber klar der mangelhafte Vollzug der geltenden Vorschriften». (Interview mit Heribert Rausch siehe unten)

Zumindest für Bafu-Direktor Oberle hat das neue Rollenverständnis erfreuliche Auswirkungen: Während unter seinem Vorgänger Philippe Roch dem Bafu von rechtsbürgerlichen Vertretern schon wiederholt mit der Abschaffung oder massiven Budgetkürzungen gedroht wurde, ist Oberle von solchen Attacken bisher verschont geblieben.

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«EMSIGE VOLLZUGSVERWEIGERUNG GEGENÜBER BUNDESBERN»

Interview mit Heribert Rausch, emeritierter Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Zürich.

Infosperber: Wie beurteilen Sie die Qualität der Umwelt-Gesetzgebung in der Schweiz?

Heribert Rausch: Die verfassungsrechtlichen Fundamente sind stark: «Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen andererseits an», heisst es im Artikel 73 der Bundesverfassung. Ebenso soll das Bundesrecht Mensch und Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen schützen (Art. 74). Und die Raumplanung hat der «zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens» zu dienen (Art. 75). Ebenso aussagekräftig sind auch die Verfassungsnormen zum Wasser, zum Wald sowie zum Natur- und Heimatschutz (Art. 76 – 78). An all dem machen die Zweckartikel und grundsätzlichen Bestimmungen der einschlägigen Bundesgesetze keine Abstriche. Ihre operativen Normen dagegen sind nicht durchwegs konsequent. So etwa die Privilegierung des Verkehrs gegenüber andern Lärmquellen im Umweltschutzgesetz oder die Raumplanungsgesetz-Revisionen, mit denen die Landwirtschaftszone für immer mehr nicht-bodenabhängige Nutzungen geöffnet wurde. Das Hauptproblem ist aber klar der mangelhafte Vollzug der geltenden Vorschriften.

In welchen Bereichen ist das Vollzugs-Defizit am grössten?

Grosse Defizite bestehen etwa bezüglich Restwassersanierungen und Revitalisierung von Gewässern, Erhaltung der Fruchtfolgeflächen (Kulturlandverlust), Bewahrung der Biodiversität (gefährdete Tier- und Pflanzenarten), Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene, Verminderung des Feinstaubgehalts der Luft und Reduktion der inländischen CO2-Emissionen.

Wo sehen Sie die Hauptgründe für den mangelhaften Vollzug?

Soweit die Rechtsanwendung einer primär mit anderen Aufgaben befassten kommunalen oder kantonalen Behörde obliegt, fehlt es zuweilen schon an Gesetzeskenntnis. Daneben wirkt sich oft eine persönliche Nähe zu Betroffenen aus, gegen deren individuelle Interessen das Gesetz im Allgemeininteresse anzuwenden wäre. Und mitunter erwecken kantonale Magistraten gar den Anschein, mit emsiger Vollzugsverweigerung ihre Eigenständigkeit gegenüber «Bundesbern» beweisen zu wollen.

Welche Massnahmen zur Verbesserung des Vollzugs schlagen Sie vor?

Die Landesregierung soll sich auf Artikel 49, Absatz 2, der Bundesverfassung besinnen: «Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.» Zudem muss sie auch im eigenen Stall für Ordnung sorgen. Es darf namentlich nicht dabei bleiben, dass das Bundesamt für Raumentwicklung der fortschreitenden Zersiedelung unseres Landes mit gefalteter Stirn und verschränkten Armen zuschaut.
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Artikel und Interview sind erstmals im Pro Natura Magazin/Juli 2014 erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung SES

Zum Infosperber-Dossier:

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

Nur so weit es die Nutzung von Ressourcen, wirtschaftliche Interessen oder Freizeitsport zulassen?

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2 Meinungen

  • am 21.08.2014 um 05:26 Uhr
    Permalink

    Umweltschutz verliert regelmässig bei Nachhaltigkeitsprüfung!

    Die Überprüfung von Projekten an ihrer Nachhaltigkeit (Wirtschaft, Gesellschaft, Ökologie) ist fatal für den Umweltschutz. Regelmässig werden ökologische Nachteile eines Projektes durch seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile übertroffen. Die ökologischen Nachteile von wachstumsfördernden Projekten können damit elegant unter den Tisch gewischt werden.

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