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Die Pressefreiheit dient dazu, den Mächtigen auf die Finger zu schauen © Krossbow/Flickr/CC

Medienunternehmen machen den Journalismus kaputt

Red. /  Heribert Prantl von der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» liest Journalisten und Verlegern die Leviten. TEIL 2

upg. In einem ersten Teil hat Heribert Prantl aufgezeigt, warum Qualitätsjournalismus und Qualitätsmedien noch systemrelevanter sind als Banken. Im zweiten Teil analysiert Prantl, wer den Qualitätsjournalismus heute am meisten bedroht: Nicht das Internet, sondern Medienunternehmen und der Journalismus selber.

Ist die systemrelevante Pressefreiheit womöglich stärker von der Presse selber gefährdet als vom Gesetzgeber? Ich glaube: Ja! Larifari statt Leidenschaft und Haltung. Die Verleger und der Journalismus selber bringen den Journalismus in Gefahr – ein Journalismus, der den Journalismus und seine Kernaufgaben verachtet; der Larifari an die Stelle von Leidenschaft und Haltung setzt. Und Verleger, die den Journalismus aus echten und vermeintlichen Sparzwängen kaputt machen; Die Gefahr geht von Medienunternehmern aus, die den Journalismus auf den Altar des Anzeigen- und des Werbemarkts legen.

Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu verdummen

Vielleicht liegt es an meiner Vergangenheit in Regensburg, wo ich das Recht studiert habe und Richter war, dass mir an dieser Stelle ein Spruch des verstorbenen Regensburger Fürsten Johannes von Thurn und Taxis einfällt. Der hat einmal über das fürstliche Vermögen gesagt: Es sei so gross, dass man es nicht versaufen, verfressen oder verhuren könne – man könne es nur verdummen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass es mit dem geistigen und ökonomischen Vermögen, das in Zeitungsunternehmen steckt, auch so ist. Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Redaktionen durch Zeitarbeitsbüros zu ersetzen. Pressefreiheit ist nicht Freiheit zum Outsourcen von Redaktionsarbeit. Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Qualitätsjournalismus durch Billigstjournalismus zu ersetzen.

Pressefreiheit gibt es, weil die Medien eine Aufgabe haben

Pressefreiheit gibt es, weil die Presse eine Aufgabe hat. Wenn sie diese Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, wird die Pressefreiheit hohl. Die Gefahr ist gross, dass der Journalismus verflacht und verdummt, wenn und weil der Renditedruck steigt; wenn und weil an die Stelle von sach- und fachkundigen Journalisten Produktionsassistenten für Multimedia gesetzt werden, wieselflinke Generalisten, die von allem wenig und von nichts richtig etwas verstehen.

Aus dem Beruf, der heute Journalist heisst, wird dann ein multifunktionaler Füller von Zeitungs- und Webseiten. Solche Füllungstechnik ist allerdings nicht die demokratische Kulturleistung, zu deren Schutz es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt.

Ein Blick nach Irak, China, Iran oder Algerien genügt

Das sind die wahren Gefahren für die Presse – nicht der Staat und auch nicht das Internet. Das Internet ist keine Gefahr, sondern eine Chance für den Journalismus. Dazu später.
Von der Pressefreiheit wird zwar in den Ländern der EU viel geredet, sie interessiert aber eigentlich nicht mehr besonders. Im Irak, in China, in Iran oder Algerien ist das anders. Dort leben Journalisten gefährlich. Dort ist die Pressefreiheit oft nur zwei mal drei Meter gross, so gross wie eine Gefängniszelle. Dort, in diesen Ländern, wird darum gerungen, dass das eigentlich Selbstverständliche selbstverständlich wird: dass Journalisten einigermassen frei arbeiten können. Dort, in diesen Ländern, wissen die Menschen noch, was diese Pressefreiheit wert ist. Die Pressefreiheit ist ein Leuchtturm-Grundrecht – sie muss es sein und bleiben.
Es gibt viele Länder, die diesen Leuchtturm vergammeln lassen. Und es gibt Länder, die ihn abgeschaltet haben. Es gibt Länder, in denen Journalisten damit rechnen müssen, dass nachts die Geheimpolizei bei ihnen klopft oder gleich die Tür eintritt. An die dreihundert Berichterstatter sitzen weltweit hinter Gittern – warum? Weil sie die Menschen informiert haben und weil sie weiterhin informieren wollten. Das weltweit grösste Gefängnis für Journalisten ist China, gefolgt von Eritrea, Kuba und der Türkei.

Pflicht zur Aufklärung

Vor einiger Zeit habe ich für das «Medium Magazin» eine Kollegin auszeichnen dürfen, die im Irak Journalistinnen und Journalisten ausgebildet hat. Susanne Fischer hat fünf Jahre lang, von 2003 bis 2008, Journalisten im Irak unterrichtet, seit 2008 tut sie das in Syrien. Sie arbeitet unter Bedingungen, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man in Deutschland, Österreich oder der Schweiz als Dozent an Journalistenschulen oder Presseakademien arbeitet. Susanne Fischer hat mit ihrem «Institute for War and Peace Reporting» 300 junge Journalisten ausgebildet. Vier ihrer Schüler sind getötet worden, Dutzende haben Drohungen erhalten. Einige mussten untertauchen oder sich in den Nachbarländern in Sicherheit bringen.
Susanne Fischer hat sich nicht einschüchtern lassen, ihre Schüler auch nicht. Susanne Fischer und ihre jungen Kolleginnen und Kollegen im Irak und in Syrien lehren uns wieder etwas über die Ursprünge unseres Berufs: Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu bequemer Berufsausübung; sie ist vor allem die Pflicht zur Aufklärung.

Pressefreiheit heisst, sich nicht einschüchtern lassen

Wer im Irak oder in Syrien Journalistenausbildung betreibt, der lehrt nicht einfach schreiben – der lehrt Pressefreiheit, der lehrt Haltung, der lehrt und lebt das, was die Kernkompetenz des Journalismus ist: sich nicht einschüchtern lassen; nicht von Politik, nicht von der Wirtschaft, nicht von sogenannten Sach- und Sparzwängen, auch nicht – ja, das gibt es auch – von Kolleginnen und Kollegen. Ich habe damals bei der Preisverleihung Susanne Fischer gefragt: «Sie arbeiten in einem Land, in dem der Tod allgegenwärtig ist in Gestalt von Autobomben, Selbstmordattentätern und Killerschwadronen – was können denn Journalisten in einem solchen Klima der Gewalt überhaupt noch ausrichten?»
Die Antwort: «Es ist in diesem Klima eine Leistung, wenn es dank vieler gut ausgebildeter Journalisten vermieden werden kann, dass Medien dazu aufrufen, Schiiten oder Sunniten abzuschlachten. Journalisten können so dazu beitragen, dass es nicht noch schlimmer kommt.»
Wenn man von der Journalistenausbildung in Ländern wie Irak hört, dann bekommt das Wort «Entwicklungshilfe» neuen Glanz. Journalisten sind in diesen Ländern Entwicklungshelfer der Demokratie.

Pressefreiheit als Weihnachtsschmuck

Hier bei uns vergessen wir im Alltagstrott oft: Journalismus ist nicht nur ein Job, nicht nur Beruf; sondern auch Berufung.
In Deutschland, Österreich, Italien, wie gesagt, wird von der Pressefreiheit zwar viel geredet – aber sie interessiert eigentlich nicht so brennend, am wenigsten den Gesetzgeber. Der geht mit der Pressefreiheit um wie die Durchschnittsfamilie mit dem Weihnachtsschmuck: Den packt man aus, hängt ihn an den Baum, sagt Ah und Oh, und dann hängt man ihn wieder weg.
Die Pressefreiheit gilt Politikern als schmückender Tand. Sie gehört zum glänzenden Schmuck, den man sich zu besonderen Tagen, zum Beispiel beim Verfassungsjubiläum, aufhängt.
Manchmal kommt mir heute die Pressefreiheit vor wie ein ausgestopftes Tier, wie ein einbalsamiertes Grundrecht, prächtig präpariert von Verfassungsrichtern, so dass es fast ausschaut wie lebendig. Aber nur fast. Es ist wie in der Schule im Biologieunterricht: Von Zeit zu Zeit wird das Tier abgestaubt, der Biologielehrer stellt es vor der Klasse auf und erzählt dann, was das Tier gemacht hat, als es noch gelebt, gejagt und gefressen hat.

Qualitätsjournalismus braucht langen Atem

Manchmal geschieht ein Wunder – dann wird die Pressefreiheit gefährlich lebendig. Wenn so ein Wunder geschieht, wenn die Pressefreiheit also den Mächtigen naherückt (einem ehemaligen Regierungschef in einem Spenden- oder Steuerskandal, einem Finanz- oder Innenminister, dem man bei höchst dubiosen Geschäften auf die Finger schaut), wenn die Pressefreiheit also einen wirklichen Grossskandal entdeckt, dann ist das eine Sternstunde des Journalismus. Aber so ein Skandal hält leider meist nur für gewisse Zeit, denn alsbald wird schon wieder, wie es im Jargon heisst, eine andere Sau durchs Dorf getrieben.
Es fehlt – in der Politik wie in den Medien – der lange Atem. Qualitätsjournalismus braucht langen Atem. Qualitätsjournalismus ist mehr als eine moderne Litfasssäule.

In einem dritten Teil legt Heribert Prantl dar, warum das Internet und die Social Media die Qualitätsmedien nicht gefährden.

Zum ersten Teil: «Qualitätsmedien sind so systemrelevant wie Banken»
Zum dritten Teil: «Bezahlte Information hat Zukunft – gedruckt oder online»
Zum vierten Teil: «Rendite-Einheitsbrei braucht keine Pressefreiheit»
Zum fünften Teil: «Guter Journalismus macht die Welt überschaubar»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heribert Prantl (59) ist Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» und leitet das Ressort Innenpolitik.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 29.07.2013 um 17:12 Uhr
    Permalink

    Ich kann dieser Kritik nur zustimmen. Als der TA kürzlich die Idee der Mediensubventionierung besprochen hat, bin ich auf ähnliche Gedanken und Schlussfolgerungen gekommen. Ich habe darauf einen Leserbrief verfasst, der nicht abgedruckt wurde und den ich stattdessen hier publiziere:

    «Ich werde immer mehr zu einem Anhänger der staatlichen Medienfinanzierung, seit die Eliten die Qualitätszeitungen gegroundet haben. Jeder, der schon vor 20 Jahren dieselben Zeitungen gelesen hat, kann dies sehen. Politik und Wirtschaft dient nur noch der Selbstdarstellung, Kultur wird durch Schwachsinn ersetzt und Allrounder-Journalisten belehren uns Experten, die wir alle in bestimmten Fachbereichen sind, weil die Fachjournalisten entlassen wurden. Diese Allrounder fürchten jetzt natürlich um ihre Pfründe. Klicks und Quoten dienen dazu, dass Mehrheiten noch mehr erhalten und Minderheiten das Nachsehen haben. Die Vielfalt der Berichterstattung zu erhalten, lohnt sich nicht. Die Kommentarforen sind von bezahlten Studenten der Economiesuisse unterwandert, um die Staatsbürger zu beeinflussen. Dieses Treiben wird von uns via Inserate über das Geld quersubventioniert, das wir den Firmen unfreiwillig ans Werbebudget zahlen. Dann ist eine staatliche Subventionierung ehrlicher.»

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