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Viele Ältere erhalten Medikamente, die sich gegenseitig stören © Doctortipster

Fürchtet weniger die Grippe, sondern Medikamente

Urs P. Gasche /  Eine neue Schweizer Studie zeigt: Fast jedes dritte Arzneimittel, das über 65-Jährige erhalten, kann ihnen zum Verhängnis werden.

Nicht nur die Grippe gefährdet über 65-Jährige, sondern noch stärker potenziell gefährliche Medikamente. Bei fast jedem dritten Arzt- oder Apothekenbesuch erhalten über 65-Jährige ein Medikament, das auf Listen in Deutschland und den USA als potenziell ungeeignet aufgeführt ist. Das zeigt eine Schweizer Studie, die kürzlich in der «Dove Medical Press» erschien. Die meisten unerwünschten Nebenwirkungen der unzweckmässigen Medikation seien «leicht bis moderat», doch komme es auch zu «schwereren Zwischenfällen, die zur Einweisung in ein Spital oder im schlimmsten Fall zum Tod führen können».
Aus einer Hochrechnung der Statistiken der grössten Schweizer Krankenkassen ging bereits früher hervor, dass ausserhalb von Spitälern über 150’000 vorwiegend über 65-Jährige im Laufe eines Jahres mehr als zwanzig verschiedene Wirkstoffe

verschrieben erhalten, über 20’000 von ihnen sogar mehr als dreissig. Über vier Prozent aller Spitaleinweisungen erfolgen ausschliesslich wegen unerwünschter Wirkungen von Arzneimitteln. Eine entsprechende Untersuchung veröffentlichte die Schweizerische medizinische Wochenschrift im Jahr 1999. Die Hospitalisierten waren durchschnittlich 73 Jahre alt.
Heikle Psychopharmaka, Schlaf- und Schmerzmittel

Aus der neusten Studie geht hervor, welche potenziell unzweckmässigen Arzneimittel in den Jahren 2012 und 2013 am häufigsten abgegeben wurden. Es waren die

  • Beruhigungs- und Schlafmittel Zolpidem, Seresta, Anxiolit, Lexotanil und Surmontil/Trimipramin;
  • Rheumamittel wie Tilur, Arthrotec/Diclofenac sowie Acroxia;
  • ibuprofenhaltige Schmerzmittel und das
  • narkotische Schmerzmittel Pethidin;
  • Paspertin/Primperan gegen Bauchschmerzen,
  • Herzmedikamente wie Amiodarone;
  • schliesslich auch Hustenpräparate wie Escotussin, Bexin/Calmerphan/Emedrin und
  • verschiedene Antibiotika.

Leicht höheres Risiko bei selbstdispensierenden Ärzten
Grundlage der Studie waren Abrechnungen von über 50’000 Helsana-Grundversicherten in den Kantonen Aargau und Luzern. Patienten, welche ihre Medikamente mehrheitlich von selbstdispensierenden Ärzten erhielten, bekamen rund 15 Prozent häufiger ein potenziell gefährliches Medikament als Patienten, welche die Medikation mehrheitlich über Apotheken bezogen. Doch über beide Kanäle wurden allen diesen älteren Personen zu viele problematische Medikamente gleichzeitig abgegeben, obwohl deren gefährliche Interaktionen bekannt seien: «Es braucht Massnahmen, um das häufige Verschreiben von potenziell inadäquaten Medikamenten zu reduzieren.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor vertritt noch bis Ende 2015 die Prämienzahlenden und PatientInnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.

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5 Meinungen

  • am 29.09.2015 um 12:32 Uhr
    Permalink

    Schön, dass auch Sie, Herr Gasche, endlich beginnen, das von unserem Bundesrat Alain Berset und unseren ParlamentarierInnen missachtete Z-Kriterium «Zweckmässigkeit» (med. Notwendigkeit, Zusatz- / Langzeitnutzen im Vergleich zum bisherigen Standardpräparat / Standardtherapie) zur gezielten wirtschaftlichen Förderung der Gesundheitsindustrie, jedoch oftmals leider auf Kosten der individuellen Patientensicherheit, zu betonen! Denn nicht alles was wirksam ist und mit dem sich deshalb so einfach Geld verdienen lässt, ist letzten Endes medizinisch individuell notwendig / zweckmässig!

    Darunter leidet die Kosteneffizienz der obligaten Grundversicherung, was sich in den jährlich übermässig steigenden Prämien widerspiegelt und unserer Politiker angeblich stets über eine alternde und medizinbedürftigere Gesellschaft zu rechtfertigen belieben!

  • am 6.12.2015 um 16:28 Uhr
    Permalink

    Ja, Herr Keusch, die Firmen leben vom Umsatz. Daher tut man vieles nur mögliche, um
    die Basis.Prävention – die eben keinen Umsatz bringt – zu bekämpfen. «ach lassen Sie, ich verschreibe Ihnen DANN….» Also die Frage ist ebenm «zweckmässig für wen.

  • am 9.12.2015 um 17:02 Uhr
    Permalink

    Herr Keusch, ich glaube das sagte ich deutlich genug: ich verschreibe DANN, meint, sobald Krankheitssymptome vorhanden sind, DANN verschreibe ich Dir, also dann bringt es Umsatz für den der verschreibt und den der produziert, ist also für diese «zweckmässig». Für den Bürger wäre zweckmässig, alles zu tun, um eben gar nicht zu
    Krankheitsanzeichen zu kommen. Für die WHO könnten das 77 % der NCD’s (=nicht ansteckende Krankheiten) sein und dazu kommen noch ein Teil der ansteckenden Krankheiten, bei Grippe angefangen. Das macht es deutlich, dass «Basisprävention» für den Bürger zweckmässig und BIG FOOD und Pharma nicht zweckmässig ist.
    Die Praxis mit der Unmenge von verschriebenen Medikamenten sollte Thema für
    Gerichte sein. Das könnte man auch als «Körperverletzung» auslegen.

  • am 10.12.2015 um 11:42 Uhr
    Permalink

    Frau Schmidlin, gerade die gesundheitspolitische Definition des WZW-Kriteriums Zweckmässigkeit gemäss KVG Art. 32 Abs. 1 wird leider sehr einseitig im wirtschaftl. Interesse der ‚Gesundheitsindustrie’ zur Wahrung der finanz. Eigeninteressen umgesetzt.

    Sämtliche von der OKP vergüteten Leistungen müssten medizinisch „zweckmässig“, resp. individuell notwendig sein. D.h., sie müssen geeignet sein, ein bestimmtes, näher zu definierendes med. Ziel zu erreichen! Sie dürfen weder überflüssig noch sinnlos sein. Die Zweckmässigkeit hängt davon ab, welchen med. Nutzen eine Massnahme bei Anwendung in einem bestimmten Indikationsgebiet für bestimmte Gruppen von Patienten hat. Insofern ein zusätzlicher Gruss an die fehlende systematische med. Indikations- und Outcomekontrolle, erneut im wirtschaftl. Int. zur Wahrung pekuniärer Eigeninteressen.

    Dies sollte also für alle 3 Säulen der med. Krankenversorgung: Behandlung, Rehabilitation und Pflege, aber auch für Prävention, Gesundheitsförderung und Früherkennung gelten. Nur hat das Parlament zum Schutze pekuniärer Eigeninteressen und zur Förderung von Wohlfahrt und gesamtgesellschaftlichem Nutzen, resultierend aus dem Mehrwert der Firma ‚Gesundheitsindustrie Schweiz AG’ mit dessen BIP von 10.9% anno 2012, das Präventionsgesetz 2012 bachab geschickt.

    Apropos „Körperverletzung“: ohne polit. Einforderung / Beleg der Zweckmässigkeit wissen Sie ‚per se’ gar nicht, ob eine Solche vorliegt! Alles eben sehr raffiniert eingefädelt …

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