Kommentar

Sprachlust: Wer Krieg sagt, soll Krieg meinen

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Sprachbilder soll man nicht allzu wörtlich nehmen, ausser wenn sie so krass sind, dass man nicht anders kann. «Krieg» ist so eins.

«Krawalle in Grenoble – Polizisten unter Beschuss». Auf diesen Zeitungstitel bin ich einst hereingefallen, weil ich ihn auf die übliche Art verstand: Da gab’s Krawalle, und jetzt wird die Polizei kritisiert – wahrscheinlich, weil sie zu hart reagiert habe. Aber weit gefehlt: Die übertriebene Härte lag auf Seiten der Krawallmacher; sie schossen mit scharfer Munition aus Feuerwaffen auf Ordnungshüter.
Sie taten also genau das, was «unter Beschuss nehmen» eigentlich bedeutet, aber meistens meint man es anders, bildlich: Jemand wird scharf, aber nur verbal «angeschossen», als Reaktion auf etwas, das er getan oder ebenfalls nur gesagt hat. Nun bereichern Bilder ja die Sprache, und meist ist auf Anhieb klar, ob etwas wörtlich gemeint ist oder nicht. Manche Sprachbilder versteht niemand mehr wörtlich: Selbst wer weiss, was ursprünglich auf keine Kuhhaut ging, denkt bei dieser Redewendung kaum ans Sündenregister, das der Teufel nach mittelalterlicher Vorstellung auf ein Pergament schrieb.
Bei der Verharmlosung hört der Spass auf
Es gibt aber Bilder, bei denen man den ursprünglichen Sinn nicht verdrängen sollte, weil er noch offen zutage liegt und so brutal ist, dass es eine Verharmlosung bedeutet, das Bild für weniger grausige Tatbestände zu verwenden. Missverständnisse wie oben sind zwar selten, weil der Zusammenhang meistens klar ist – aber spätestens beim Krieg hört der Wortspass auf. Ein «Sandkasten-Krieg tobte» angeblich damals auf der Grossen Schanze zu Bern, und auch «’Krieg› im Heilerverband» gab’s zu vermelden.
In beiden Fällen könnten die Titelsetzer mildernde Umstände geltend machen: «Sandkasten-Krieg» sagt ja schon aus, dass es nicht um einen mit Bomben und Kanonen ging; allerdings trotz dem einst militärischen Tatort Grosse Schanze auch nicht um einen, den Strategen im Sandkasten simulierten, sondern um die Konkurrenz zweier Stadtstrand-Betreiber. Und bei den Heilern stand der «Krieg» in Anführungszeichen – überflüssigerweise, denn kaum jemand wird gedacht haben, sie gingen mit tödlichen Waffen aufeinander los. Und doch bleibt in beiden Fällen ein ungutes Gefühl; die Anführungsstriche waren wohl ein Versuch, es zu bannen. Denn mit oder ohne Gänsefüsschen: Solange richtige Kriege toben, verbietet es die Pietät, das Wort auch für solche zu verwenden, die keine sind, sondern eben Krach, Streit, Wortgefecht.
Sprachbilder gewinnen ein Eigenleben
Wortgefecht? Da steckt doch «Gefecht» drin, somit ebenfalls etwas Kriegerisches. Allerdings ursprünglich eher etwas Ritterliches, später in der Form des Feuergefechts auf schlimmere Waffen als Florette ausgeweitet – also kann man es auch wieder auf ein Wortgefecht zurückstufen. Die Wortzusammensetzung lässt etwas Neues entstehen, das ein Eigenleben gewinnt und den Sinn der einzelnen Bestandteile in den Hintergrund drängt. So mag sogar der Rosenkrieg als Bezeichnung eines hässlichen Scheidungsstreits durchgehen, auch wenn bereits die Zusammensetzung ursprünglich für durchaus reale Kriege stand, jene um die englische Thronfolge im 15. Jahrhundert.
Und der Beschuss, der ja meistens nicht in einer Wortzusammensetzung abgefedert ist? Wollte man die bildliche Verwendung ächten, wäre man allzu zart besaitet (und doch kein Musikinstrument). Wo kein Missverständnis droht, wird man immer noch sagen dürfen, der Bundesrat sei wegen ungenügender Krisenfestigkeit unter Beschuss geraten. Und man darf ihn weiterhin ins Visier oder aufs Korn nehmen, ohne gleich als Attentäter verdächtigt zu werden.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Christoph_Pfluger_18
    am 24.04.2016 um 21:47 Uhr
    Permalink

    Sie haben recht, Herr Goldstein: Wer Krieg sagt, soll Krieg meinen. Noch wichtiger wäre aber: Wer Krieg meint, soll Krieg sagen, und nicht Luftschlag, Feldzug oder Errichtung einer Flugverbotszone. Hinter diesen Begriffen wird geschossen, es fallen Bomben und es sterben Menschen. Es stimmt mich nachdenklich, dass immer mehr Journalisten ohne Zwang solche Sprachregelungen übernehmen. Vor kurzem ist sogar der Begriff «Kampagne» für einen Militäreinsatz gebräuchlich geworden. Das einzig Positive daran: Er kann die Nähe zur Werbekampagne nicht verbergen. Aber die Wirkung ist dieselbe: Es herrscht Krieg und niemand merkt es. Das ist vermutlich auch die Absicht.

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