Bildschirmzeit

Welche Handynutzung ist noch gesund? Ein Jugendlicher präsentiert die Erhebung seiner Bildschirmzeit. © SRF Puls

«Grösseres Problem»: Swisscom krallt sich Experten

Pascal Sigg /  Die Firma bezahlt für die James-Studie. Dafür müssen Forschende der ZHAW als Experten auftreten. Ein Staatsrechtler übt Kritik.

Wie schädlich sind Smartphones? Ab welchem Alter ist es vertretbar, einem Kind ein Gerät in die Hand zu drücken? Und welche Nutzung ist normal?

Eltern und Schulen sind zur Beurteilung dieser Fragen auf Expertinnen und Experten angewiesen. Auch Medien greifen zur Einordnung von Studienresultaten auf Fachleute zurück (Infosperber berichtete). Doch nun zeigt eine Recherche des Magazins «Saldo»: Mehrere Fachpersonen befinden sich in erheblichen Interessenkonflikten.

Konkret geht es um die Fachgruppe Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Diese untersucht seit 2010 laufend die Mediennutzung der Schweizer Jugend im Rahmen der sogenannten James-Studie. Damit erhebt die Gruppe auch, welcher Umgang mit Medien «normal» ist, welche Gefahren im Netz lauern und wie Jugendliche damit umgehen.

«Kooperationspartner» der Studie ist die Swisscom. Das Unternehmen gibt die Studie in Auftrag und finanziert sie. Doch wie die «Saldo»-Recherche zeigt, geht die Zusammenarbeit über die blosse Finanzierung hinaus. Das Magazin erhielt Einblick in den Vertrag zwischen der Swisscom und der ZHAW. Demnach hat die Swisscom der ZHAW in den letzten sechs Jahren 400’000 Franken bezahlt.

Einfluss auf Fragebogen

Dafür erhielt das Unternehmen jedoch nicht nur Studien und dazugehörige Berichte, sondern auch Einfluss auf das Studiendesign. Im Vertrag steht gemäss «Saldo» nämlich: «Die ZHAW legt den definitiven Fragebogen vorab der Swisscom zur Einsicht vor. Sie behält sich vor, bestimmte Aspekte zu ergänzen.»

Die ZHAW sagte dazu gegenüber «Saldo»: «Finanzierende Partner können Anregungen einbringen oder Fragestellungen mitentwickeln, die Projekthoheit liegt aber bei der ZHAW.» Die Swisscom liess mitteilen, sie habe den Fragebogen nicht abgeändert. Der Wunsch, ihn zu sehen, sei zu Beginn wichtig gewesen. Man habe abschätzen wollen, zu welchen Themen sich der Bericht äussere.

Gegenüber Infosperber versichert die Swisscom: «Es gibt keine inhaltliche Mitarbeit der Swisscom an der Forschung oder Berichterstellung. Die Swisscom hat keinen Einfluss auf die Ergebnisse, die Schlussfolgerungen, die Interpretationen der Gründe oder das Fazit.»

Obligatorische Auftritte als unabhängige Fachpersonen

Die Vereinbarung verlangt gemäss «Saldo» aber noch mehr: Angehörige der Hochschule müssen an bis zu zehn internen und externen Anlässen und Präsentationen der Swisscom teilnehmen. Mit anderen Worten: Die von ihr indirekt bezahlten Fachpersonen treten für die Swisscom als vertrauenswürdige Expertinnen und Experten auf. Das Unternehmen nutzt solche Anlässe auch in seiner Kommunikation.

So veranstaltete die Swisscom im November 2023 auch einen beliebten «Online-Elternabend» zum Thema «Das erste Smartphone für mein Kind» mit einer Mit-Autorin der James-Studie. Sie tritt darin als unabhängige Expertin auf. Dass die Swisscom die Studie finanziert und gar Einfluss aufs Design nehmen kann, blieb dabei unerwähnt.

Aufzeichnung des Online-Elternabends zum «ersten Smartphone» (Swisscom)

Expertinnen und Experten der ZHAW treten auch an anderen Orten in der Swisscom-Kommunikation auf. In einem «Elternratgeber» zum ersten Handy, worin Swisscom auch eigene Handy-Abos für Kinder bewirbt, steht: «Im Alter von 7 bis 10 Jahren sind die Kinder empfänglicher für die Lenkung durch die Eltern, das Zeitfenster ist besonders günstig für Medienerziehung. Danach beginnen sich Kinder von den Eltern zu lösen und Freund*innen werden wichtiger.»

Ein Co-Leiter der ZHAW-Fachgruppe liess sich folgendermassen bestätigend zitieren: «Wenn Eltern warten, bis der Nachwuchs 13 oder 14 ist, dann haben sie eine wichtige Zeit für die Weichenstellung verpasst.» (Infosperber berichtete)

Nachdem Infosperber über eine Recherche des K-Tipp zur Broschüre berichtet hatte, betonte die Swisscom gegenüber Infosperber: «Das ist keine Aussage der Swisscom. Selbstverständlich ist es in der Verantwortung der Eltern zu entscheiden, wann für ihr Kind das richtige Alter ist und wie viel Medienzeit dem eigenen Kind gut tut.»

«Saldo» schreibt: «Die Swisscom profitiert davon, wenn angeblich unabhängige Wissenschafter ein Smartphone für Kinder als normal bezeichnen.»

Gegenüber Infosperber lässt das Unternehmen verlauten: «Die Swisscom hat ein gewisses Kontingent an Auftritten vertraglich zugesichert. In der Vergangenheit waren dies aber jeweils einige wenige pro Berichtsjahr.» Darunter waren gemäss Swisscom neben dem Online-Elternabend auch eine politisch relevante Tagung zum Jugendmedienschutz beim Bundesamt für Sozialversicherungen, Weiterbildungen in Medienpädagogik oder ein Podcast. Gemäss Swisscom ermögliche die Klausel im Vertrag, dass die Experten der Studie die Resultate einem breiten Gremium vorstellen.

Bundesrat: Swisscom ist «ethischen Grundsätzen» verpflichtet

Mehrheitsaktionärin der Swisscom ist die Eidgenossenschaft. Der Bundesrat gibt dem Unternehmen jeweils für Vierjahresperioden auch Ziele vor. So hielt er im November 2021 unter anderem fest: «Die Swisscom verfolgt im Rahmen ihrer betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten eine nachhaltige und ethischen Grundsätzen verpflichtete Unternehmensstrategie.»

Entsprechend setzt sich die Swisscom eigene Richtlinien und schreibt auf ihrer Website, sie setze auf «eine ethisch verantwortungsvolle Unternehmensführung». Die Richtlinien umfassen auch Kommunikationsgrundsätze. Gemäss diesen will die Swisscom «mit all ihren Anspruchsgruppen respektvoll, verständlich und ehrlich kommunizieren, um so ein
Vertrauensverhältnis aufzubauen».

Dies sieht das Unternehmen im vorliegenden Fall gegeben: «Die Swisscom nimmt keinen Einfluss auf die Auftritte der ZHAW und aller anderen Experten, die sich am Online-Elternabend jeweils äussern. Hier sind alle frei, ihre Meinung, Sichtweise und Expertise einzubringen. Wir sehen hier alle Grundsätze eingehalten. Für die Auftritte werden grundsätzlich keine Gagen bezahlt und es wird transparent eingeblendet, dass die Sendung von der Swisscom finanziert wird.»

ZHAW: «Wissenschaftliche Integrität, Transparenz und Objektivität gewahrt»

Und was meint die ZHAW? Gegenüber Infosperber zündet die Hochschule ein Feuerwerk der Beteuerungen: «Die Auftritte der ZHAW-Expert:innen im Rahmen der James-Studie sind Teil des Wissenstransfers und vertraglich geregelt.» Die Hochschule verpflichte sich zur Wahrung höchster wissenschaftlicher Standards in all ihren Aktivitäten – unabhängig von der Finanzierung.

«Die Zusammenarbeit mit Drittmittelgebenden darf zu keiner Zeit die Unabhängigkeit und Freiheit der Forschung gefährden. Die ZHAW stellt durch vertragliche Regelungen sicher, dass wissenschaftliche Integrität, Transparenz und Objektivität gewahrt bleiben.»

Staatsrechtler sieht «grösseres Problem»

Markus Müller ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Bern. Er ist Erstunterzeichner des «Internationalen Appells für die Wahrung wissenschaftlicher Unabhängigkeit». Und er ist entschieden anderer Meinung als Swisscom und ZHAW.

Gegenüber Infosperber sagt Müller: «Es ist grundsätzlich möglich, dass fremdfinanzierte Forschung unabhängig ist. Hier erweckt der Vertrag aber einen anderen Anschein. Denn die Swisscom hat offensichtlich eigene Interessen an der Forschung. Dies birgt ein grösseres Problem, weil die Forschung dadurch gekauft wirkt und Glaubwürdigkeit verliert. Und dieser Glaubwürdigkeitsverlust betrifft meist nicht nur die konkrete Studie, sondern kann langfristig das Vertrauen in die Wissenschaft insgesamt untergraben.»

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

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