02_2020-10-03-120930_hillelplplz_1080px-704x469

Teenager nutzen einen «Homework Hub» in New York City. © Street Lab/democracyjournal.org

Millionen US-Amerikaner könnten bald ohne Internet dastehen

Daniela Gschweng /  Ein Subventionsprogramm für Internet und Handy aus der Covid-Zeit läuft aus. Jeder fünfte US-Haushalt könnte betroffen sein.

Wer in den USA arm ist, bekam bisher Zuschüsse für Internetanschluss und Handyrechnung. Für viele US-Amerikaner:innen bedeutete das, erstmals einen Netzanschluss zu haben. Die Finanzierung des 2021 beschlossenen Subventions-Programms ist nun ausgelaufen. Eine Anschlusslösung steckt in Diskussionen über Nebensächlichkeiten fest, obwohl das Programm grosse Zustimmung geniesst.

Bereits im Mai droht 23 Millionen US-Haushalten der Rauswurf aus ihren Internet- und Handyverträgen. Insgesamt könnte jeder fünfte US-Haushalt oder 60 Millionen Personen vom Auslaufen des Affordable Connectivity Programs (ACP) betroffen sein, wenn man von Bevölkerungsschätzungen des U.S.-Census Bureaus ausgehe, schreibt die CNN.

Betroffene drohen den digitalen Anschluss zu verlieren

Bedürftige bekamen seit Ende 2021 bis zu 30 Dollar Zuschuss zur Internet- oder Handyrechnung. Für Menschen, die auf dem Territorium indigener Völker leben, waren es sogar 75 Dollar. Für ein Tablet oder einen PC gab es 100 Dollar Zuschuss.

45 Prozent der Bedürftigen bekommen seit Anfang Mai nur noch einen Teil davon, danach voraussichtlich gar keine Zuschüsse mehr. Was das für den Einzelnen bedeutet, verdeutlicht CNN am Beispiel der 71-jährigen Cyntia George. Die Rentnerin hat nicht viel Geld und bekommt Lebensmittelgutscheine. Online sucht sie nach Aktionsangeboten, liest Nachrichten und bleibt mit ihren Kindern und Enkeln in Kontakt. Jetzt stehe sie vor der Wahl, ob sie lieber gut und genügend essen oder ihren Internet-Anschluss behalten will.

Der alleinerziehende Vater Alfredo Camacho aus Kalifornien fährt mit seinen Töchtern zum Parkplatz ihrer High School, damit sie dort über den kostenlosen WLAN-Anschluss ihre Hausaufgaben machen können. 30 Dollar seien in seiner Situation viel Geld, sagt er zum Tech-Medium «The Markup».

Viele andere befürchten grosse Nachteile oder gar den Verlust ihrer Arbeitsstelle. Die USA sind ein grosses Land, und Internet braucht man für alles: Hausaufgaben, Jobsuche, Online-Sprechstunden beim Arzt, Zugang zu Online-Schaltern öffentlicher Institutionen, Fortbildungen und manchmal auch für die tägliche Arbeit.

Zwei Drittel hätten ohne Zuschuss gar kein Internet

Dass es so weit kam, ist einer der Geburtsfehler des ACP. Das Programm wurde 2021 mit Unterstützung beider grosser US-Parteien begonnen. Für viele war das Internet wegen der Corona-Pandemie zu dieser Zeit die einzige Verbindung zur Aussenwelt. Der US-Kongress sprach einmalig 14 Milliarden Dollar. Einen Plan für eine Anschlussfinanzierung gab es nicht. Benötigt werden laut CNN etwa 6 Milliarden Dollar, die aber bisher nicht bewilligt wurden.

Seit Februar werden keine neuen Anträge mehr angenommen

Etwa 18 Prozent der US-Haushalte bekommen Subventionen. Der Anteil der Haushalte mit Internetverträgen ist zwischen 2019 und 2021 deutlich gewachsen.

Auf Betreiben der US-Regierung boten 20 Internetanbieter ACP-berechtigten Haushalten  2022 eine Verbindung von mindestens 100 Megabit pro Sekunde für nur 30 Dollar an. Zusammen mit den ACP-Zuschüssen wurden sie damit praktisch kostenlos.

Bereits im Januar 2024 teilte die Federal Communications Commission (FCC) den teilnehmenden Haushalten mit, dass ihre Subventionen auslaufen könnten. Zwei Drittel dieser Haushalte hatten vor der ACP-Einschreibung eine «uneinheitliche oder gar keine Verbindung», ergab eine Umfrage. Internetprovider müssen den Betroffenen immerhin erlauben, ihren Vertrag ohne zusätzliche Kosten zu beenden. Ab Februar nahm die FCC keine neuen Anträge mehr an.

Einige Haushalte könnten über ein anders Programm namens «Lifeline» noch 10 beziehungsweise 35 Dollar im Monat bekommen. Dessen Zugangsvoraussetzungen sind jedoch strenger. Eine Internetverbindung kostet US-Haushalte etwa 90 Dollar im Monat.  

Strukturschwache Gegenden besonders betroffen

Betroffen sind jetzt vor allem Menschen, die es ohnehin schwerer haben. Aus finanziellen Gründen, wegen einer Behinderung oder wegen beruflicher oder örtlicher Umstände.

Darunter auch ein Personenkreis, den die USA sonst bei jeder Gelegenheit loben: Die Hälfte der ACP-Beziehenden sind Familien von Militärangehörigen. Dazu kommen die Bewohner ländlicher Gegenden der USA, die etwa ein Viertel der Bedürftigen ausmachen. Zwei Fünftel der beteiligten Haushalte befinden sich in den ländlichen Südstaaten.

In einer Umfrage gaben 65 Prozent der Teilnehmenden an, sie hätten Angst, ohne Internet ihre Arbeit zu verlieren, 80 Prozent machten sich Sorgen um die schulischen Leistungen ihrer Kinder.

Für die USA hat sich die Internet-Bezuschussung gelohnt

Die 14 Milliarden Dollar Anschubfinanzierung für das ACP waren für die USA eine gute Investition, darauf weisen Studien hin. Jeder Dollar, der in die Internetsubvention floss, generierte fast die vierfache Summe an Bruttoinlandsprodukt (BIP). Durch verstärkte Nutzung von Telemedizin sparte ACP ausserdem erheblich Gesundheitskosten.

Auch auf anderem Wege nützte die Unterstützung allen. Das ACP verbesserte die Breibandinfrastruktur im ganzen Land. Subventionen, die von Internetprovidern für den Netzausbau in strukturschwachen Gegenden abgerufen wurden, sanken laut «The Markup» mit ACP um ein Viertel, weil sich mehr Haushalte anmeldeten.

Ohne ACP werden alle leiden

Wenn sich keine Finanzierung findet, könnte die Verbindung also für alle schlechter werden. Einige Landstriche in den Vereinigten Staaten sind so abgelegen, dass es sich für die Betreiber nicht lohnt, für nur wenige Kunden Glasfaserkabel zu verlegen. Je mehr Kunden sie haben, desto besser ist die Verbindung, weil sich die Kosten über alle Anschlüsse verteilen.

«Wir haben teilweise Leitungen unter Flüssen verlegt, um zwei Kunden anzuschliessen», sagte Gary Johnson, CEO eines Telekommunikationsunternehmens in Minnesota zu CNN. Pro Kopf sei das natürlich extrem teuer.

Trotz aller Versuche bisher keine Anschlussfinanzierung

Es gibt klare Hinweise darauf, dass die digitale Kluft ohne das ACP wachsen wird. Die Bezuschussung des Grundbedürfnisses auf Online-Teilnahme stösst auf Zustimmung im gesamten politischen Spektrum. Quasi alle registrierten Wähler, die den Demokraten nahestehen, und zwei Drittel der Republikaner sind nach einer Umfrage dafür.

Auch mehrere Nichtregierungsorganisationen setzen sich für eine Fortführung des ACP ein. Eine Gruppe aus 230 gemeinnützigen Organisationen und Stadtverwaltungen schrieb einen offenen Brief, in dem sie die Abgeordneten um eine Verlängerung des Programms baten.

 «The Markup» und CNN listen die Versuche der US-Abgeordneten, eine Lösung zu finden, ausführlich auf.

Ein Grund dafür, dass Gesetzesanträge noch immer feststecken: Die FCC fand in einem Bericht auch Missbrauch. In einem Fall bekamen mehr als 1000 Haushalte in Oklahoma Zuschüsse, die alle auf eine einzige Person zurückgingen – ein vierjähriges Kind. Republikanische Abgeordnete nutzten diesen Vorfall, um das Programm anzugreifen. Die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, ist eines der erklärten Ziele der Partei. Ted Cruz (Republikaner, Texas) beispielsweise forderte strenge Kontrollen. In Texas sind 1,7 Millionen Haushalte ACP-berechtigt.

Ein Flickenteppich aus Einzellösungen, bei dem wenige gewinnen

Es gibt mehrere lokale Initiativen in den US-Gliedstaaten, die versuchen, das ACP oder eine ähnliche Unterstützung wenigstens für einige weitere Monate zu erhalten. Das Resultat dürfte ein Flickenteppich an Massnahmen sein, bei dem wenige Glückliche gewönnen, sagt Angela Siefer, Geschäftsführerin der National Digital Inclusion Alliance, die sich für den Internetzugang einsetzt.

Anderen Betroffenen bleibt nur, auf öffentlich verfügbares Gratis-WLAN auszuweichen. US-Bibliotheken bieten meist einen Gratis-Internetzugang an, ein Drittel verleiht internetfähige Geräte. Dazu kommen alle Fast-Food-Ketten und die Parkplätze von Schulen.

Vielen nützt das aber wenig. Die 49-jährige Michelle McDonough aus Maine, von der CNN berichtet, muss derzeit einen Onlinekurs zur beruflichen Qualifizierung beenden und hat Online-Termine beim Psychiater. Die einzige Möglichkeit, beidem nachzukommen, ist die fünf Meilen entfernte öffentliche Bibliothek, die bei schlechtem Wetter oft nicht einmal öffnet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber. entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20180909um13_36_58

Reich, arm, ungleich

Grösser werdende soziale Kluften gefährden demokratische Rechtsstaaten.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.