Limetten-Party

Mit einer Cocktailbar vor dem Kanzleramt wiesen Greenpeace-Aktivisten auf die Pestizidbelastung von Limetten hin. © Verena Brüning/Greenpeace

Verbotene Pestizide kommen auf Import-Obst zurück zu uns

Susanne Aigner /  Auf Limetten fand Greenpeace zahlreiche Pestizide. Einige davon dürfen hier zwar produziert, aber nicht verkauft werden.

Brasilianische Limetten sind mit einem giftigen Chemiecockteil angereichert. Greenpeace hat zu Jahresbeginn brasilianische Limetten in Supermärkten in Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Spanien und Schweden gekauft und auf Pestizidbelastungen untersuchen lassen. Das beunruhigende Resultat: Es fanden sich Rückstände von einem Desinfektionsmittel, drei Herbiziden, zehn Fungiziden und dreizehn Insektiziden. Alle Mittel wurden in Europa hergestellt.

Die wichtigsten Ergebnisse veröffentlichte die Umweltorganisation in einer Studie:

  • Alle bis auf eine der 52 Proben enthielten Pestizidrückstände.
  • Insgesamt fanden sich 27 verschiedene Wirkstoffe, sechs davon sind in der EU nicht zugelassen.
  • Mehr als 90 Prozent der Proben mit Rückständen wiesen einen Giftcocktail aus bis zu sieben verschiedenen Pestiziden auf.
  • In einem Drittel der Proben fand sich das vermutlich krebserregende Herbizid Glyphosat.
  • Ein Drittel der nachgewiesenen Wirkstoffe findet sich in Pestiziden, die von BASF und Bayer in Brasilien verkauft werden. Das geht aus einer brasilianischen Datenbank hervor.

Das Verbot eines Stoffes sage nichts über dessen Sicherheit aus, behaupten Pestizid-Hersteller sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung. Im Fall der importierten Limetten lägen alle gefundenen Stoffe noch unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Solange diese bei den Produkten eingehalten würden, bestehe für deutsche Verbraucher keine Gefahr, heisst es auch vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Ganz anders verhält es sich jedoch in Brasilien, wo in Deutschland hergestellte Ackergifte aktiv auf Felder gespritzt werden. Als Folge davon treten im Land vermehrt Krankheiten auf, wie Greenpeace vor Ort dokumentierte. Einer der gefundenen und in der EU verbotenen Wirkstoffe ist zum Beispiel Alpha-Cypermethrin, das sich negativ auf das menschliche Hormonsystem und die DNA auswirkt.

In Europa dürfen Stoffe, die als Gefahr für Umwelt und Gesundheit eingestuft wurden, weiter produziert und dann exportiert werden. Insgesamt 28 in der EU verbotene Stoffe wurden vergangenes Jahr aus Deutschland zum Export angemeldet. Von 2021 zu 2022 hat sich der Export sogar verdoppelt.

Doch die Gifte kehren wieder in die EU zurück in Nahrungsmitteln wie Limetten, Mais, Soja und Mangos, erklärt Lis Cunha, Expertin für Handel bei Greenpeace Deutschland. Insgesamt 28 in der EU verbotene Stoffe wurden vergangenes Jahr aus Deutschland zum Export angemeldet. Von 2021 zu 2022 hat sich der Export sogar verdoppelt.

Auch in der EU werden nicht zugelassene Pestizide eingesetzt: So erteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Januar 2023 ein Urteil zu Ausnahmeregelungen für Pestizide. Demnach dürfen Notfallzulassungen zur Verwendung verbotener Pestizide nur «sehr eingeschränkt, unter ganz besonderen Umständen» erteilt werden. Diese vorgesehene Ausnahmeregelung würde bedeuten, dass die Pflanzenproduktion Vorrang vor der menschlichen Gesundheit und der Umwelt habe, erklärte der EuGH. Dies sei nach EU-Recht nicht zulässig.

Trotzdem wurden nach Recherchen von PAN Germany von 14 EU-Mitgliedstaaten seit Beginn des Jahres 2023 bis Anfang August 29 Notfallzulassungen für verbotene Pestizide erteilt. Konkret betrifft dies für die menschliche Gesundheit hochgiftige Substanzen wie Diquat oder 1,3-Dichlorpropen sowie um die bienengefährlichen Neonicotinoide Thiamethoxam und Clothianidin.

Verbotene Chemikalien vergiften Millionen von Menschen

Dem Toxikologen Peter Clausing zu Folge ist Chlorpyrifos das «krasseste Beispiel», weil es die Gehirnentwicklung von Kindern nachweislich schädigt. Doch in der EU verboten wurde der Stoff erst 2018, als die Gefahren nicht mehr bestritten werden konnten. In den Ländern des globalen Südens allerdings wird es als Insektizid weiter massiv eingesetzt – mit verheerenden Folgen.

Neben den langfristigen Folgen kommt es auch zu akuten Pestizidvergiftungen, wie eine in «PMC Public Health» veröffentlichten Studie von 2020 dokumentiert. Demnach treten jährlich weltweit etwa 385 Millionen Fälle akuter Vergiftungen auf, darunter etwa 11’000 Todesfälle. Bei einer weltweiten landwirtschaftlichen Bevölkerung von etwa 860 Millionen bedeutet dies, dass fast die Hälfte der Landwirte bzw. Landarbeiter jedes Jahr durch Pestizide vergiftet werden.

Ziel der Studie war es, die Prävalenz unbeabsichtigter, akuter Pestizidvergiftungen (engl. abgekürzt: UAPP) systematisch zu überprüfen und deren weltweite Anzahl jährlich zu schätzen. Für die Auswertung wurden Daten aus 141 Ländern erfasst. Die meisten Fälle ereignen sich in Südasien, gefolgt von Südostasien und Ostafrika. Bereits 1990 hatte eine Arbeitsgruppe der WHO die Zahl jährlicher unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen auf etwa eine Million geschätzt, mit 20’000 Todesfällen in Folge. Obwohl die Pestizideinsätze seitdem weltweit deutlich gestiegen sind, gab es dreissig Jahre lang keine aktuelle Übersicht der weltweiten Pestizidvergiftungen.

Aus diesem Grund liess PAN Germany gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der Heinrich-Böll-Stiftung, des INKOTA-Netzwerk und der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Rechtsgutachten zur Umsetzung eines Ausfuhrverbots für gefährliche Pestizide aus Deutschland erstellen.

Auch Partnerorganisationen von Misereor dokumentierten weltweit Fälle eklatanter Häufungen von schweren Erkrankungen und Todesfällen in Gegenden mit hohem Pestizideinsatz, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika. «Wir können nicht länger zulassen, dass sich nachweislich jedes Jahr 385 Millionen Menschen an Pestiziden vergiften und 11’000 sogar daran sterben», erklärte Sarah Schneider, Referentin für Welternährung bei Misereor.

Greenpeace gegen geplantes Handelsabkommen «Mercosur»

Die Ergebnisse der oben genannten Limetten-Studie sind ein weiterer Beweis dafür, dass giftige Substanzen, von denen einige in der EU nicht zugelassen sind, nach Brasilien exportiert und in Form von Rückständen auf Lebensmitteln zurück nach Europa gelangen. Dass verbotene Pestizide als Rückstände in Importprodukten in die Supermärkte zurückkehren, zeigte auch ein Test des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) an Zierpflanzen, die mit gefährlichen Pestiziden ohne EU-Zulassung belastet waren. Diese Doppelstandards dürfen nicht weiter toleriert werden, forderte BUND-Pestizidexpertin Corinna Hölzel.

Dies alles geschieht bereits ohne das Freihandelsabkommen. Mit Inkrafttreten des EU-Mercosur-Abkommens mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay werde sich der Giftkreislauf wesentlich verschärfen, warnen die Greenpeace-Autoren. Das geplante Handelsabkommen könnte den Import gefährlicher Chemikalien vervielfachen, warnt Greenpeace. Denn im Rahmen des geplanten Freihandelsabkommens sollen zunächst Zölle auf Pestizide wegfallen.

Dies werde nicht nur den Handel und die Menge der eingesetzten Pestizide erhöhen, sondern auch die Menge der in der EU verkauften pestizidbelasteten Produkte. Zudem werde es den Handel mit Rindfleisch, Autos usw. ankurbeln, was die Klima- und Umweltkrise weiter verschärfe, warnt Greenpeace.

Das 1999 entworfene Abkommen sei veraltet, denn es halte ein Wirtschaftsmodell aufrecht, das unseren Planeten zerstört und globale soziale Ungerechtigkeiten verschärft. Handelspolitik dürfe die Länder des Globalen Südens nicht benachteiligen. Vor diesem Hintergrund fordert Greenpeace das EU-Mercosur-Abkommen zu stoppen.

Bereits vor einem Jahr versprach der Bundeslandwirtschaftsminister, einen Entwurf über ein Exportverbot für gesundheitsschädliche Pestizide auf den Weg zu bringen. «Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind», heisst es im Koalitionsvertrag. Dieser Satz ist wohl kaum mehr als ein Papiertiger, denn die Umsetzung lässt auf sich warten. In der Zwischenzeit machen Pestizid-Hersteller wie Bayer und BASF gigantische Profite auf Kosten von Mensch und Umwelt.

Zum Freihandels-Abkommen EFTA – Mercosur

Die Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein sind Mitgliedsländer der EFTA. Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay sind im Mercosur vereint. 2019 schlossen diese Regionen miteinander ein Freihandels-Abkommen ab. Es ist fertig verhandelt, doch noch nicht ratifiziert.

Für die Schweiz würde der Export von Käse, Röstkaffee und Schokolade erleichtert. Für den Mercosur würde sich ein neues Tor öffnen für den Export von Rind-, Schweine- und Hühnerfleisch, aber auch für Soja, Weizen und Öl. Das sei eine «einmalige Chance für Schweizer Exporteure», glaubt Bundespräsident Guy Parmelin.

Die Öffentlichkeit wurde über den genauen Inhalt bisher noch nicht informiert. In der Schweiz wird das Freihandels-Abkommen vermutlich einem Referendum unterworfen.

Bedenken kommen von Schweizer Bauern und Umweltorganisationen:

  • Das Abkommen könnte den Ausstoss von umweltschädlichen Gasen durch den Agrarhandel zwischen EFTA und Mercosur um 15 Prozent erhöhen.
  • Wegen der höhere Qualitätsstandards und teuren Arbeitsbedingungen könnten Schweizer Produkte nicht mit südamerikanischem Fleisch konkurrieren.

Kritik kommt auch aus Südamerika:

  • In Brasilien sind 80 Prozent der Farmen Kleinbauernbetriebe, die jedoch nur 24 Prozent des verfügbaren Ackerlandes besitzen, während ein Prozent der Grossbauern die Hälfte der Anbauflächen haben. Das Abkommen werde diese Kluft vergrössern und den Neokolonialismus stärken, befürchtet Silvio Porto, Professor an der Universität von Reconcavo da Bahia.
  • Die lokalen und indigenen Communities Brasiliens wurden bei den Verhandlungen nie einbezogen.
  • Sowohl in Argentinien wie auch in Brasilien und Paraguay leiden bereits heute indigene Völker unter der Expansion von Fleischwirtschaft, Soja und anderen Gütern und unter Landkonzentration. Die Landnahmen und Enteignungen könnten sich mit dem Handelsabkommen weiter verschärfen. Zu diesem Schluss kommt eine 2020 veröffentlichte Studie von Caroline Dommen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Schadstoffe in Lebensmitteln

Essen und trinken können krank machen, wenn Nahrungsmittel zu stark belastet sind.

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