Dirk Schütz Buch

Dirk Schütz, Chefredaktor der «Bilanz» mit seinem neuen Buch © zvg

«Bei einem solchen Crash war die Schweiz schlicht überfordert»

Urs Schnell /  Bilanz-Chefredaktor Dirk Schütz leuchtet tief hinein in den Ablauf, der zur Übernahme der CS durch UBS führte.

Just ein paar Tage vor der UBS-Medienkonferenz zu den Quartalszahlen 2/23 veröffentlichte Dirk Schütz sein Buch: «Zu hart am Wind – Warum die Credit Suisse untergehen musste.» 170 Seiten lang ist sein Insider-Bericht. Und jetzt ist es schwarz auf weiss. Dank dem Schnäppchen CS weist die neue UBS mit 29 Milliarden Dollar einen Rekord-Quartalsgewinn vor. Der Aktienkurs steigt. Ende gut, alles gut? 

Nein, sagen Exponenten von SVP und SP. Aber auch namhafte Ökonomen warnen. Die neue UBS sei wesentlich zu gross für die Schweiz. «Das Risiko ist unhaltbar.» (Aymo Brunetti auf Radio SRF1).

Dirk Schütz’ Schilderung der Abläufe, in welche drei Behörden und zwei «systemrelevante» Grossbanken involviert waren, untermauert diese Aussage. Alle Akteure hätten vor allem auf die eigenen Interessen und Spielräume geschaut: «Silodenken allerorten» so Schütz. Das sei der Preis, den die kleine Schweiz für ihre beiden globalen Bankriesen gezahlt habe: «Bei einem Crash dieser Grössenordnung war sie schlicht überfordert.»

Ueli Maurer, Jordan und die Finma: zu passiv, zu wenig Expertise

Es ist bekannt, dass der Tweet eines australischen Journalisten am 1. Oktober 2022 die Ereignisse fatal beschleunigte. Bisher war nicht bekannt, wie die Finma reagierte. Dazu Schütz: «Bei der Finma blinkten die Alarmglocken tiefrot.» Die Aufsichtsbehörde habe sofort in den Krisenmodus geschaltet. Bis zu einem Dutzend Mitarbeiter hätten täglich Analysen vorgenommen. Entscheidende Kenngrösse: die Liquidität der CS.

Aktiviert wurde im Oktober auch der gesetzlich vorgesehene Ausschuss für Finanzkrisen und das übergeordnete Lenkungsgremium mit Finanzminister Ueli Maurer, Nationalbankpräsident Thomas Jordan und Finma-Präsident Marlene Amstad. Die drei begannen sich wöchentlich auszutauschen. Alles unter grösster Geheimhaltung. 

Jordan soll bereits im Herbst 2022 signalisiert haben, dass für ihn die Too-big-to-fail-Regeln nicht praktikabel seien. Ganz im Gegensatz zur Finma.

Drei Lösungsszenarien schälten sich schliesslich heraus: Beide Grossbanken am Leben erhalten (bevorzugt von Maurer), im Notfall eine Verstaatlichung (Maurer als Mitglied der staatskritischen Partei SVP eher zögernd) oder aber ein Notverkauf an die UBS. Auch diese Lösung klang nicht verlockend. Schütz’ Fazit: «Und so galt erst mal: es bloss nicht so weit kommen lassen […] Es regierte das Prinzip Hoffnung.»

Doch der Laden brannte. Am 1. November 2022 sprach Jordan beim Gesamtbundesrat vor. Simonetta Sommaruga und Guy Parmelin waren als Mitglieder des bundesrätlichen Finanzausschusses vorinformiert, «doch nur rudimentär». Schütz beschreibt, wie Jordans schlechte Nachrichten die Gesamtregierung konsterniert habe: «Es war ein Schock.» Nach dem Treffen habe sich der Gesamtbundesrat ins Bundesratszimmer zurückgezogen.

Schütz weiter: «Die Sitzung wurde hitzig: Warum er die Situation so lange verschwiegen habe, wurde Maurer gefragt. Bisher hätten die verantwortlichen Behörden alles im Griff gehabt, so der Tenor seiner Antworten, aber jetzt handle es sich eben um eine Notsituation.» An der nächsten Bundesratssitzung gab sich Maurer bereits wieder optimistischer. Die Lage habe sich stabilisiert, die angekündigte Kapitalerhöhung würde die Finanzkraft der CS stärken. «Maurer bekam den schriftlichen Auftrag, den Bundesrat über das CS-Dossier zu informieren, das wurde sogar protokolliert», schreibt Schütz, doch in der Folge seien Maurers Informationen ausgeblieben.

Am 15. November schoss der CS-Kurs in den Keller. Maurer habe Jordan zum Eingreifen gedrängt, so Schütz. Dieser sei dagegen gewesen. Allein die Ankündigung einer Liquiditätshilfe ohne überzeugenden Rettungsplan würde als Signal für den Notfall angesehen, habe er Maurer mitgeteilt. 

Auch bei der Finma verlor man die Geduld. Es brauche einen Plan B, kolportiert Schütz die Finanzmarktaufsichtsbehörde, und meint: «Die Aufseher wiesen (CS-Präsident) Lehmann unmissverständlich an: Finde einen Käufer.»

Das war von der Finma blauäugig. Ein Verkauf wäre in einer solchen Notsituation gar nicht regulär abzuwickeln gewesen, weder an eine ausländische Grossbank noch regulär an die UBS. Wegen der juristischen Komplexität und der nötigen Zustimmung der Aktionariate, aber auch der Wettbewerbsbehörde wäre alles viel zu lang gegangen. Die CS habe die US-Anwaltskanzlei Sullivan&Cromwell engagiert, eine auf Konkurse spezialisierte Firma. Das Ergebnis, so Schütz: Entweder schafft die CS den Turnaround, oder es kommt «zu einem Wochenende der langen Messer». Maurer, Jordan und die CS-Spitze seien damit «Gefangene eines schwachen Plans» geworden: Notverkauf oder Verstaatlichung.

Axel Lehmann, zögerlicher CS-Präsident

Lehmann war lange Jahre ein UBS-Mann gewesen. Am 17. Januar 2022 jedoch stieg er plötzlich zum Präsidenten der CS auf. Der Hauruck-Abgang von Vorgänger António Horta-Osório hatte es möglich gemacht. Autor Dirk Schütz schätzt Lehmann ähnlich ein wie andere Journalisten: hochanständig, stets korrekt, aber weder gross bewandert im Investmentbanking noch im Fällen harter Entscheide. Schütz hält ihm zugut: «Er stand vor dem schwierigsten Sanierungsfall der Bankenwelt.» Lehmann bewährte sich nicht, ebenso wenig wie der «Zufalls-CEO» Ulrich Körner. Die CS-Chefs hätten vielmehr auf das bekannte Schönreden gesetzt, vermerkt Schütz. 

Bundesrätin Karin Keller-Suter, die Anfang 2023 von Ueli Maurer das Finanzdepartement übernommen hatte (ohne dass ihr Vorgänger ihr ein Dossier zur Krisenbank hinterlassen hätte, wie Schütz spitz bemerkt), muss gegenüber dem zögerlichen Lehmann grossen Unmut entwickelt haben. Eine geladene Stimmung gegenüber dem CS-Präsidenten soll auch bei der Finma geherrscht haben. Am 21. Februar wird öffentlich, dass die Aufsichtsbehörde gegen Lehmann eine Untersuchung startete, wegen dessen zu positiven Aussagen zu Geldabflüssen im Dezember 2022. Schütz lässt durchblicken, dass die betreffende Information «auf wundersame Weise» an die Agentur Reuters gelangt sei. Solches sei bei Finma-Untersuchungen «sehr ungewöhnlich». Umso mehr, wenn eine Bank um ihr Überleben kämpfe. 

Colm Kelleher: perfekter Poker des Wallstreet-Profis bei der UBS

Die UBS hatte die Notsituation von Konkurrent CS im Herbst 2022 ebenso mitbekommen wie die Finma und die Schweizerische Nationalbank SNB. Schliesslich floss ihr ein Teil der abfliessenden CS-Gelder zu. Der Amtsantritt Kellehers als UBS-Präsidenten ein halbes Jahr zuvor war für die UBS ein Glücksfall. Dirk Schütz hält sich mit seiner Bewunderung für den langjährigen ex Morgan-Stanley-Topmanager nicht zurück.

Kelleher – der Mann der Stunde. Der gebürtige Ire wusste, dass im Jahr 2020 bereits einmal Fusionsverhandlungen zwischen UBS und CS angesagt gewesen waren (von Bundesseite waren damals Ueli Maurer und Thomas Jordan involviert). Die strategische Logik eines Zusammengehens von UBS und CS war für Kelleher unbestritten. Schütz: «Kein europäisches Land leistet sich noch zwei globale Grossbanken».

Kelleher war in einer Top-Position. Er musste nur zuwarten, wie die CS dem Abgrund entgegentaumelte. Eine Übernahme durch eine ausländische Bank war zwar für die UBS während Jahren immer eine Gefahr gewesen, jetzt aber fehlte Interessenten aus dem Ausland schlicht die nötige Zeit. Kelleher seinerseits bereitete sich mithilfe eines alten Morgan-Stanley-Spitzenmannes vor, dem dort zuständigen Investmentbanking-Chef für Europa. Das Szenario: eine Notveräusserung der CS an die UBS als bester Deal. 

Am 11. Januar traf die neue Finanzministerin Karin Keller-Sutter in Bern beim Spitzentreffen mit der Schweizer Finanzindustrie auch Kelleher. Doch der gab sich mit einem formalen Treffen nicht zufrieden. Kurz darauf sprach er bei Keller-Sutter persönlich vor. Laut Schütz informierte er die Bundesrätin vom Beschluss, den der UBS-Verwaltungsrat bereits im Dezember gefällt hatte: Die UBS «habe kein Interesse an einer Übernahme. Aber natürlich, im Notfall stünde man bereit. Man müsste aber gebeten werden.»

Karin Keller-Sutter – der Freisinn im grossen Dilemma

Am 11. Januar war einiges los. Keller-Sutter hatte sich nicht nur mit den Spitzen der Finanzindustrie zum Smalltalk getroffen, sie traf sich auch mit dem behördlichen Lenkungsgremium Finanzkrisen. Sie stieg damit, so Schütz, «mit voller Wucht» ins CS-Dossier ein. Am 1. Februar präsentierte sie dem Gesamtbundesrat vier mögliche Lösungen: Sanierung der CS, Verstaatlichung, Liquidation, Zwangsverkauf. Eine Verstaatlichung war für die durch und durch freisinnige Finanzministerin «ein absolutes No-Go». Denn die Aufrechterhaltung der CS hätte quasi zu einer Übernahme durch den Staat geführt, für die Freisinnige ein noch grösseres Übel als für SVP-Maurer.

Jordan hingegen sei für diese Lösung offener gewesen, schreibt Schütz, «denn eine Übernahme hätte das Nationalbank-Exposure» minimiert. Keller-Sutter soll im Bundesrat auch gesagt haben, dass die von der SNB ins Spiel gebrachten 50 Milliarden Liquiditätshilfe nicht reichen würden. Und, diesmal auf der Linie Jordans, eine Rettung müsste wegen der Börsen über ein Wochenende erfolgen. 

Am 9. Februar war es mit der Ruhe endgültig vorbei. CS präsentierte die Jahresergebnisse 2022, der Kurs, der sich leicht erholt hatte, gab erneut massiv ab. Am 15. März war das Spiel aus. 

Um 16 Uhr, wie Schütz präzisiert, traf Kelleher am Zürcher Sitz der Finma die Bundesrätin, den Nationalbankchef und die Finma-Präsidentin. Situationsbeschrieb von Schütz: «Die UBS-Oberen legten einen Einseiter auf den Tisch, der genau elf Forderungen enthielt.» Vier Tage später, am ominösen Sonntag, 19. März, hatte der Bundesrat sie alle akzeptiert. «Das sind keine Pestalozzis», soll Karin Keller-Sutter später im engsten Kreis berichtet haben.

Interessant, was Schütz nun erwähnt. Der «Troika», also der Finanzministerin, dem Nationalbankpräsident und der Finma-Präsidentin, sei es nach dem Treffen vom 15. März mit Colm Kelleher unwohl gewesen. Konnten die Behörden wirklich nur auf eine Übernahme durch die UBS setzen? Was, wenn dieser Deal nicht klappte? Dann müsste – trotz allem Widerwillen von Karin Keller-Sutter – doch verstaatlicht werden. Aber wer sollte von einem Tag auf den anderen eine verstaatlichte CS führen? Das Gremium kam auf einen alten Bekannten. Just call Ermotti. 

Tatsächlich, ex UBS-CEO Sergio Ermotti bekam am Samstag, 18. März, dem Tag vor dem berühmt gewordenen Sonntag, einen Anruf. Von Finma-Chefin Amstad, wie Schütz schreibt, und: Keller-Sutter, die als Leiterin des Lenkungsgremium für den Anruf eigentlich zuständig gewesen wäre, habe sich bei einer solchen Staatslösung «in keiner Form exponieren» wollen.

Gemäss Schütz sagte Ermotti Amstad zu. Ironie des Schicksals: Auch Kelleher wollte Ermotti. Am Tag nach dem Deal, am Montag, 20. März, soll der UBS-Präsident den Tessiner angerufen haben, am Dienstag hätten sie zusammen diniert, am Donnerstag habe Ermotti zugesagt. Der amtierende CEO Ralph Hamers spielte mit und trat ab. 

Keine Quellen – eine offene grosse Frage

Man erfährt also einiges im Buch von Schütz. Quellen allerdings liefert der Bilanz-Chefredaktor nicht. Das unterscheidet den Text doch stark vom Standardwerk des NYT-Journalisten Andrew Ross Sorkin, der mit «Too Big To Fail» im Jahr 2009 die globale Finanzkrise ebenso schmackhaft aufgearbeitet hatte. 

Auch wenn Schütz vieles liefert, eine der wichtigsten Fragen bleibt weiterhin offen. Warum versuchten die Behörden es nicht mit der vorhandenen Too-Big-To-Fail-Regulierung? War der internationale Druck, vor allem von der mächtigsten Frau der Welt, US-Finanzministerin Janet Yellen, zu gross? Wäre alles zusammengekracht?

Vielleicht wird die Parlamentarische Untersuchungskommission PUK zum Druck von aussen Antworten liefern.

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Dirk Schütz: Zu hart am Wind – Warum die Credit Suisse untergehen musste. Beobachter-Edition/Ringier Axel Springer Schweiz AG, Zürich 2023. 29 CHF
Beschreibung des Verlags:
«Es war ein Hochseilakt, den die Schweizer Behörden in vier schicksalshaften Tagen im März 2023 vollbringen mussten: Der grösste Zusammenschluss in der Bankenwelt seit der Finanzkrise. Was geschah in diesen dramatischen 96 Stunden wirklich? Hätte die Katastrophe vermieden werden können? Und wie konnte Credit Suisse in eine derartig epochale Schieflage geraten – ausgerechnet die Bank, die als eine der wenigen globalen Geldhäuser gestärkt aus der Finanzkrise gekommen war? Gespickt mit vielen bislang unbekannten Informationen, liefert dieses Buch den ersten detaillierten Insider-Bericht über den dramatischen Niedergang des schweizerisch-amerikanischen Geldhauses, das schon immer sehr hart am Wind segelte – und am Ende unterging.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

Banken

Die Macht der Grossbanken

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2 Meinungen

  • am 1.09.2023 um 13:33 Uhr
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    Leider kommen die Rollen und das Versagen unserer Regierung (allen voran unser ehemaliger Tiefstschlaf-Finanzminister Maurer), der Finma und der Nationalbank im Buch viel zuwenig zur Sprache. Neben den diversen unfähigen und Hauptschuldigen aus dem Top-Management der untergegangen CS trifft mindestens ebenso viel Mitschuld die Versager und Nachtwächter aus Regierung und «Regulierungs-Behörde». Aber eben: solange man diese Versager nicht wirklich zur Kasse bitten (oder sogar strafrechtlich belangen) kann, wird sich nichts ändern und mit Sicherheit ein nächster Crash ereignen. Fragt sich nur, ob unsere Volkwirtschaft das dannzumal überleben wird. Die SVP und deren wedelnder Dackelschwanz namens FDP werden alles dafür tun, dass die UBS keinerlei Einschränkungen erfährt. Das ist etwa so wie beim Fussball. Jedes Mal nach einem Hooligan-Vorfall grosse Heuchler-Töne, bis Gras drüber gewachsen ist, dann wieder alles im courant normal. Es braucht wohl zuerst mal einige Leichen…

  • am 1.09.2023 um 18:55 Uhr
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    Danke für die sehr gute Zusammenfassung. Die Abwicklung der CS war nicht möglich, das machten USA und EU dem Bundesrat klar (Domino-Effekt).

    Vorübergehende Verstaatlichung (Island-Modell) oder Treuhand-Übernahme durch SNB (Grübel-Vorschlag) wären bei weitem die besten Lösungen gewesen. Die CS hätte dann in Ruhe stabilisiert, bereinigt und in ein paar Jahren mit Gewinn wieder an den Markt gebracht werden können.

    Nun hat man die CS und die Arbeitsplätze zerstört, die Bank an die UBS verramscht, und eine Monster-UBS geschaffen, die in der nächsten Krise in Schieflage geraten kann.

    Wenn es wirklich so war, dass eine Verstaatlichung oder SNB-Lösung aus reiner praxisferner ideologischer Verblendung von SVP/FDP abgelehnt wurde, dann wäre das wirklich sehr tragisch. Aber vermutlich war es so, ein bessere Erklärung habe ich bisher jedenfalls nicht erhalten.

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