Zahnarztrechnungen

Neue Kontrollstelle: Für 20 Franken pro Rechnungsseite kann man eine Zahnarztrechnung prüfen lassen. © Deposithotos

Mit unseriöser Statistik die Zahnärzte angeschwärzt

Urs P. Gasche /  Tamedia-Zeitungen von Basel, Biel, Bern bis ins Berner Oberland sassen unglaubwürdiger Statistik auf. Hauptsache eine Schlagzeile.

Die Zeitungen hielten die Information offensichtlich für derart brisant, dass «Der Bund» und die «Berner Zeitung» sie am 24. Juni sogar auf ihren Frontseiten ankündigten mit dem Titel:

«Zu hohe Rechnung vom Zahnarzt».

Ein neuer Prüfservice von drei Zahnärzten aus Langenthal habe gezeigt:

«Bei der Hälfte der Rechnungen sind die Kosten unzulässig.»

Im Innern der Zeitungen lautete der Titel: «Zahnärzte decken auf, wie Kollegen schummeln. Bei der Hälfte der Rechnungen werden unzulässige Kosten verrechnet.» 

260625 Der Bund Zahnärzte
«Der Bund»: «Bei der Hälfte der Rechnungen werden unzulässige Kosten verrechnet.»

Die drei Langenthaler Zahnärzte wollten wohl Werbung für ihre neue Prüfstelle mit Namen «Invoice-Check» machen (Kosten 20 Franken pro Rechnungsseite).

Dafür brauchte es eine Schlagzeile.

Die Tamedia-Zeitungen im Kanton Bern fielen darauf herein und liessen sich instrumentalisieren. Redaktor Cyrill Pürro verbreitete – bereits auf der Titelseite der Zeitungen –, dass jede zweite Rechnung «unzulässige Kosten enthalte». Das hätten die Kontrollen der Prüfstelle bisher ergeben.

Allerdings stützte sich diese Schlagzeile auf eine unbrauchbare Statistik, wie aufmerksame Leserinnen und Leser feststellen konnten. Die Zeitungen zitierten die Statistik wie folgt: «Von den bisher zwischen 50 und 100 kontrollierten Rechnungen sei etwa die Hälfte fehlerhaft gewesen.» 

Schwammige Angaben wie «zwischen 50 und 100» sowie «etwa» sind wenig dazu geeignet, um Zahnärzte anzuschwärzen.

An die neue Prüfstelle in Langenthal wendet sich nur, wer den Verdacht hat, dass eine Zahnarztpraxis zu viel verrechnet hat. Nur unter dieser kleinen Auswahl von Verdachtsfällen wurden Fehler entdeckt. Allerdings ging es «meist um Kleinstbeträge», die unzulässig verrechnet wurden. «Mal würden 20, mal 40 Franken für Arbeiten in Rechnung gestellt, die nach den Tarifen der Zahnärzte-Gesellschaft unzulässig seien.» Das erfuhr nur, wer den ganzen Artikel durchlas.

Infosperber fragte bei den drei Zahnärzten von «Invoice-Check» in Langenthal direkt nach:

«Von wie vielen Rechnungen waren denn wie viele fehlerhaft?»

Die Antwort von Zahnarzt Abbas Hussein:

«Ihre Frage können wir leider nicht beantworten, da wir keine Auswertungen im Sinne von Statistiken machen, wir sammeln auch keine Daten und legen auch keine Datenbank an.
Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass wir viele, eigentlich zu viele Rechnungen sehen, die Tarifpositionen enthalten, die fraglich sind oder gemäss Tarif nicht zulässig sind.»

Allerdings ging es «meist um Kleinstbeträge», wie «Invoice-Check» selber angibt.

Das alles ergab in Tamedia-Zeitungen den fetten Titel: «Zahnärzte decken auf, wie Kollegen schummeln.»

Zahnärztliche Ombudsstellen

Wer den Eindruck hat, eine Zahnarztpraxis habe zu viel verrechnet, kann sich auch an die Ombudsstellen der kantonalen Zahnärztlichen Begutachtungskommissionen wenden – kostenlos. Die kantonalen Adressen findet man hier).


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Keine
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