Kommentar

Grossspekulant kauft «Massenvernichtungswaffen»

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsErnst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen ©

Ernst Wolff /  Ex-Goldman-Sachs-Manager Richard Perry kauft 1 Mrd Dollar Kreditausfallversicherungen. Er wettet auf Pleiten von Grossunternehmen.

Wie die Website «Business Insider» vergangene Woche meldete, hat der Hedgefonds Perry Capital im Februar Kreditausfallversicherungen auf Unternehmensanleihen im Wert von insgesamt einer Milliarde Dollar erworben. Der Fonds geht also davon aus, dass die betroffenen Unternehmen trotz ihrer derzeit soliden Bewertung durch Rating-Agenturen in absehbarer Zeit in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Wenn Perry Capital auf eine derartige Entwicklung setzt, sollte man aufhorchen: Ex-Goldman-Sachs-Manager Richard Perry, der den Fonds führt, gehört zu den wenigen Wallstreet-Bankern, die bereits Ende 2006 auf den Absturz des US-Häusermarktes gewettet hatten. Er lag damit richtig und strich auf diese Weise allein im Jahr 2007 einen Gewinn von mehr als einer Milliarde US-Dollar ein. (Siehe auch der Film «The Big Short», in dem diese Wetten thematisiert werden.)

Dass Perry jetzt erneut handelt, erhellt zwei vollkommen unterschiedliche Sachverhalte: Zum einen, dass Insider aus der Finanzbranche die gegenwärtige Marktlage im Gegensatz zu Politik und Medien als überaus instabil einschätzen. Zum anderen, dass es trotz aller Beteuerungen seitens der Politik sieben Jahre nach der Krise von 2008 immer noch möglich ist, mit Wetten vom Niedergang einzelner Unternehmen zu profitieren und so zur Destabilisierung des globalen Finanzgefüges beizutragen. Hierzu einige Erläuterungen:

Wie funktionieren Kreditausfallversicherungen?

Kreditausfallversicherungen (englisch: credit default swaps oder CDS) zählen zu den Derivaten. Hierbei handelt es sich um Finanzprodukte, die von der Realwirtschaft abgekoppelt sind, keinen wirtschaftlichen Nutzen haben und nur der Spekulation dienen. Kreditausfallversicherungen in ihrer gegenwärtigen Form wurden 1994 von der JP-Morgan-Bankerin Blythe Masters erfunden und haben sich seitdem weltweit rasant verbreitet.

Ihr Prinzip lässt sich am Beispiel von Unternehmensanleihen erklären: Stellt ein Investor einem Unternehmen Kapital in Form einer Anleihe zur Verfügung, so erhält er von ihm im Gegenzug die Zusage, das geliehene Geld plus Zinsen zu einem vereinbarten Zeitpunkt zurückzuzahlen. Zur Absicherung der Anleihe gegen einen möglichen Zahlungsausfall des Unternehmens kann der Investor zusätzlich bei einem Finanzinstitut eine Kreditausfallversicherung abschliessen. Das Institut versichert ihm dann gegen Zahlung einer Summe, die in der Regel von der Bewertung des Unternehmens durch Rating-Agenturen abhängt, im Fall eines Zahlungsausfalls für das Unternehmen einzuspringen. Die Folge ist, dass der Investor sich zurücklehnen und ruhig schlafen kann.

An sich wäre an dieser Vereinbarung auf Gegenseitigkeit nichts auszusetzen, bestünde nicht zusätzlich folgende Möglichkeit: Auch solche Marktteilnehmer, die nicht an einem Deal beteiligt sind, können Kreditausfallversicherungen abschliessen. Das heisst: Jeder, der über genug Geld verfügt, kann zu einem Finanzinstitut gehen und nicht nur auf Unternehmensanleihen, sondern Kreditausfallversicherungen auch auf diverse andere «Marktereignisse» wie zum Beispiel Zinsschwankungen, Wechselkursänderungen oder Staatspleiten abschliessen. Ihr Preis hängt davon ab, wie die Rating-Agenturen die «Bonität» des jeweiligen Versicherten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einschätzen.

Kommt es nun zu einer Krise und wird die Bonität eines betroffenen Unternehmens oder Staats tatsächlich herabgestuft, schlägt die Stunde von Hedgefonds wie Perry Capital: Sie können jetzt die in ruhigen Zeiten zu einem niedrigen Preis erworbenen Kreditausfallversicherungen gewinnbringend auf den Markt werfen. Noch lohnender ist das Geschäft, wenn ein Unternehmen oder ein Staat tatsächlich zahlungsunfähig wird. Dann muss das Finanzinstitut, bei dem die Kreditausfallversicherung abgeschlossen wurde, den vollen Betrag auszahlen – in den meisten Fällen ein Vielfaches der Versicherungsprämie.

Aber nicht nur aus der Sicht der Investoren, sondern auch aus der Sicht der Finanzinstitute haben Kreditausfallversicherungen etwas Verführerisches an sich: So lange die Weltwirtschaft trotz aller Turbulenzen einigermassen rund läuft und keine oder nur geringe Ausfallzahlungen fällig werden, sind sie eine schier unerschöpfliche Einnahmequelle. Deshalb beteiligen sich seit zwei Jahrzehnten alle grossen Marktteilnehmer an diesem höchst lukrativen Geschäft. Weltweit führend sind der Marktführer Deutsche Bank (Derivatvolumen 2015: 75 Billionen Dollar), JPMorgan, Goldman Sachs und die Schweizer Grossbank Crédit Suisse.

«Too big to fail» hat die Risiken exponentiell erhöht

Was aber geschieht, wenn es zu einer ernsthaften Krise oder einem Crash kommt? Die Antwort gibt die Geschichte, denn dieser Fall ist bereits zweimal eingetreten:

1998 geriet der Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) im Gefolge der russischen Währungskrise in Zahlungsschwierigkeiten. Bei einem Verlust von zwei Milliarden Dollar wurden plötzlich Kreditausfallversicherungen im Werte von über einer Billion Dollar fällig. Damals schlossen sich die grössten Banken der Wallstreet unter der Führung der Federal Reserve of New York zusammen und retteten den Fonds, indem sie ihn für fehlende zwei Milliarden Dollar übernahmen. Das war nicht etwa eine Überlebensstrategie: Hätten die Banken LTCM nicht gerettet, wären sie – und mit ihnen wahrscheinlich das gesamte globale Finanzsystem – untergegangen.

Zehn Jahre später, im Rahmen der Krise von 2008, mussten unter anderen AIG, der grösste Versicherer der Welt, und die US-Hypothekenbanken Fannie May und Freddy Mac gerettet werden. Wegen ihrer Insolvenz wären Kreditausfallversicherungen in einer Höhe fällig geworden wären, die die Wallstreet und damit das globale Finanzsystem finanziell überfordert hätten. Wegen der enormen Summen sprangen diesmal Regierungen ein und retteten die Unternehmen mit Hilfe von Steuergeldern.

Beide Ereignisse bestätigen eindrucksvoll die Sicht des US-Grossinvestors Warren Buffett, der Kreditausfallversicherungen bereits in den Neunziger Jahren als «finanzielle Massenvernichtungswaffen» bezeichnet hatte. Sie zeigen auch, wie falsch die oft gestreute Behauptung ist, bei Kreditausfallversicherungen handle es sich um ein «Nullsummen-Geschäft», da die Risiken sich gegenseitig aufheben würden. Hätten sich die Risiken 1998 und 2008 tatsächlich gegenseitig neutralisiert, wären der Welt beide Krisen erspart geblieben.
Keine Konsequenzen gezogen
Doch was ist seitdem geschehen? Ist nach derartig gravierenden Vorfällen etwas gegen deren Ursachen unternommen worden? Haben die Verantwortlichen irgendwelche Konsequenzen gezogen?

Nein. Trotz aller Beteuerungen, die Finanzmärkte in die Schranken weisen und das Geschäft mit Derivaten stärker regulieren zu wollen, ist in keinem einzigen Land etwas in dieser Richtung passiert. Im Gegenteil: Zusammen mit der gestiegenen Verschuldung ist auch der Derivate-Sektor weiter gewachsen und bedroht das globale Finanzsystem heute in noch grösserem Mass als zuvor.

Weshalb? Aus einem sehr einfachen Grund: Weil die Finanzindustrie 2008 die Parole «too big to fail» herausgab und die Zentralbanken seitdem durch den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen alles tun, um keine Grossbank, keinen Hedgefonds, kein bedeutendes multinationales Unternehmen und vor allem keinen Staat mehr in die systemgefährdende Zahlungsunfähigkeit rutschen zu lassen.
Nicht nur das: Zinssenkungen bis in den Negativbereich und unablässiges Schaffen von neuem Geld stellen der Finanzindustrie immer neues, ultrabilliges Geld zur Verfügung, was diese nicht etwa der Realwirtschaft zur Verfügung stellt, sondern meist sofort wieder in den Spekulationskreislauf, also in erster Linie in das Geschäft mit den Derivaten hineinpumpt – ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der nicht mehr aufzuhalten ist.

Gezielte Täuschung der Öffentlichkeit

Durch die seit den Neunziger Jahren mit Nachdruck betriebene Deregulierung des Finanzsektors werden längst nicht alle Derivate bilanziert, sondern als OTC-Geschäfte (Over the Counter = über den Tresen) in den Bilanzen der Banken nicht ausgewiesen. Daher kann trotz ihrer enormen Bedeutung niemand genau sagen, wie gross ihr Umfang weltweit derzeit ist. Die in ihren Schätzungen eher zurückhaltende Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) beziffert ihn derzeit auf über 700 Billionen Dollar und damit das Zehnfache der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Dass damit der wichtigste und gefährlichste Bereich des Finanzsektors ganz bewusst vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt wird, hat seinen Grund: Auf diese Weise wird verschleiert, dass die Derivat-Wetten eine historisch einmalige Höhe erreicht haben, und dass sich die Finanzwirtschaft, die früher der Industrie das zu ihrer Entwicklung notwendige Kapital zur Verfügung gestellt hatte, in den vergangenen Jahren in ihr Gegenteil verwandelt hat. Sie ist zu einem riesigen, parasitären, in seiner Bedeutung von der Öffentlichkeit kaum verstandenen Suchtkranken verkommen, der nach immer grösserer Geldzufuhr verlangt und auf diese Weise der Realwirtschaft die lebensnotwendigen Grundlagen entzieht.

Die «finanziellen Massenvernichtungswaffen» in Gestalt der Kreditausfallversicherungen spielen hierbei die Rolle der Spritzen, die sich der Suchtkranke setzt: Sie verhelfen zu einem kurz anhaltenden Rausch, gefährden aber langfristig seine Existenz.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen im Tectum-Verlag, Marburg, 26.90 CHF.

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2 Meinungen

  • am 24.03.2016 um 05:17 Uhr
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    Total pervers! – Ich wette auf die Beklopptheit der Gesellschaft, den Dreck weiterhin zu fressen — bis ihr der Kragen platzen mag. Das bezeichnet man in der Folge auch als Revolution; siehe in die Vergangenheit der Menschheitsgeschichte. Die Frage ist bloss, wann, wo, in welcher Form und wie stark diese sozialen Verwerfungen eintreten werden – und wer alles auf der Strecke und was alles übrig bleiben wird. Semper idem: immer dasselbe in Variationen! (P.S.: Ich lese die Artikel von Ernst Wolff stets mit besonderem Interesse: Kompliment.)

  • am 30.05.2016 um 14:55 Uhr
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    Völlig falscher Schluss, Herr Wolff! Das Problem sind doch nicht die Derivate und deren Handelbarkeit (das erhöht den Nutzen), sondern einmal mehr die Staaten (die heilige Staatengemeinschaft), die mit Too Big to Fail und Geldschwemme die Funktionsfähigkeit der Märke untergräbt. Wenn die Staaten in diesem Zusammenhang etwas Nützliches tun möchten, dann müssten sie die Transparenz in diesen Märkten erhöhen, wo es z.T. tatsächlich hapert!

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