« … die Probleme der Welt nur gemeinsam lösen»

Andreas Zumach /  Die 11. Ministerkonferenz der Welt-Handels-Organisation WTO in Buenos Aires diskutiert einmal mehr zweitrangige Handelsprobleme.

Die HandelsministerInnen aus den 164 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) beraten seit Sonntag in Buenos Aires über globale Liberalisierungsregeln für Einkäufe per Internet, für den Handel mit Dienstleistungen sowie für den Warenverkehr mit Umweltgütern. Zudem geht es bei der viertägigen Konferenz um den Abbau handelsverzerrender und umweltschädlicher Subventionen für Fischereiflotten. Mit abschliessenen Vereinbarungen ist allerdings nicht zu rechnen. Denn bei allen vier Themen hatten sich die ständigen BotschafterInnen der 164 Staaten in der Genfer WTO-Zentrale in über zweijährigen Verhandlungen nicht auf gemeinsame Beschlussvorlagen für die MinisterInnen einigen können.

Diese 11. Ministerkonferenz seit Gründung der WTO im Jahre 1994 steht im Schatten der «America First»-Politik der Trump-Administration in Washington. Zudem wird sie erneut begleitet von Demonstationen und scharfer Kritik globalisierungskritischer Nichtregierungsorganisationen (NGO). Einigen Dutzend von der WTO bereits akkreditierten VertreterInnen von NGO und Gewerkschaften verweigerte die Regierung Argentiniena unter Verstoss gegen ein Abkommen mit der WTO die Einreise – ein bislang einmaliger Vorgang in der WTO-Geschichte.

Kritik an der wesentlich von der EU und den übrigen Mitgliedern der «Organisation wirtschaftlich entwickelter Staaten (OECD)» bestimmten Agenda der WTO-Konferenz übte der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerk Misereor, Pirmin Spiegel: «Statt Themen wie weitere Deregulierungen im Internet-Handel und im Dienstleistungssektor ganz oben auf die Agenda der Konferenz zu setzen, sollte die EU für Handelsregeln eintreten, die besonders Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich mehr Spielraum für eigene Entwicklung gibt.»e Ärmere Länder müssten beispielsweise ihre Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung schützen können. Von den OECD-Ländern erwarte Misereor «klare Zusagen zur Abschaffung aller Subventionen, die landwirtschaftliche Dumpingexporte oder die Überfischung der Meere begünstigen.» Nur dann könne die angestrebte Wiederbelebung multilateraler Handelspolitik öffentliche Unterstützung gewinnen. Die Agrar- und Handelsexpertin von Oxfam, Maria Wiggerthale, kritisierte, «dass die Zusagen der WTO-Ministerkonferenz von Doha im Jahre 2001, faire Welthandelsregeln für ärmere Länder zu schaffen «bis heute nicht umgesetzt wurden».

«America First» liegt quer in der WTO-Landschaft

Tatsächlich ist die WTO seit Doha fast völlig blockiert. Denn seit dem Beitritt Chinas im Jahr 2000 formierte sich eine von Peking geführte Gruppe von Schwellenländern, gegen die die ehemals dominanten Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada anders als in den Jahrzehnten davor ihre Interessen selbst dann nicht mehr durchsetzen konnten, wenn sie in der WTO gemeinsam auftraten. Seitdem konzentrierten sich diese Wirtschaftsmächte sowie Australien auf bilaterale und multilaterale Freihandelsabkommen (z.B. TTIP, CETA, TPP, JEFTA und TISA). Doch seit Antritt der Trump-Administration vollzieht Washington wiederum eine weitgehende Abkehr von derartigen Abkommen, wenn diese «nicht den Interessen der USA dienen». Zugleich richtet sich die Trump-Administration aber auch immer stärker gegen einst unter aktiver Mitwirkung der USA geschaffene globale Handelsvereinbarungen im Rahmen der WTO und errichtet – zum Teil unter klarem Verstoss gegen diese Vereinbarungen – zahlreiche neue protektionistische Hürden zum «Schutz» der US-Wirtschaft. Unter Trump hätten «die USA ihre seit 70 Jahren währende Führungsrolle bei der Entwicklung des Welthandelssystems aufgegeben», erklärte der deutsche Vizedirektor der WTO Karl Brauner zum Auftakt der Konferenz in Buenos Aires. Für die Europäische Union sei das aber eine Chance, die sie zunehmend wahrnehme. «Die EU ergreift viele Initiativen und schmiedet neue, interessante Allianzen, das ist zu begrüssen», sagte Brauner. Er nannte etwa einen gemeinsamen Vorstoss mit Brasilien, um weltweit inländische Agrarsubventionen zu begrenzen.

Mit Blick auf US-Präsident Donald Trump, aber auch auf andere Kritiker der WTO, erklärte Brauner: «Nationalismus, Separatismus und Populismus sind Irrwege.» Es werde sich «die Einsicht durchsetzen, dass wir die Probleme der Welt nur gemeinsam lösen können».

Was aber wäre wichtiger?

Zum oben stehenden Bericht der Kommentar von Andreas Zumach:

Aus Anlass der Ministerkonferenz der Welthandelskonferenz (WTO) in Buenos Aires werden einmal mehr diverse Kritiker der bisherigen wirtschaftlichen Globalisierung und der WTO von Oxfam, Misereor und Attac über Mexiko und Indien bis hin zu US-Präsident Donald Trump pauschal in einen Topf geworfen und als Populisten, Nationalisten oder Separatisten gebrandmarkt. Zugleich wird die EU hochgelobt als die angeblich bessere, weltoffene Alternative zur protektionistischen USA. Entsprechende Darstellungen – zum Beispiel in den Äusserungen deutscher Wirtschaftsvertreter, den Kommentaren globalisierungsfreundlicher Zeitungen sowie in einem Interview des deutschen Vizedirektors der WTO Karl Brauner zum Auftakt der Konferenz in Buenos Aires – sind höchst undifferenziert und realitätsfern. Oxfam, Misereror, Attac und viele andere Nichtregierungsorganisationen (NGO) engagieren sich seit Jahrzehnten für einen gerechteren Welthandel, der endlich den ärmeren Ländern und den BewohnerInnen dieser Erde zu Gute kommt, sowie gegen die bislang im Rahmen der WTO betriebene ungezügelte Globalisierung der Wirtschaft, bei der Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards auf der Strecke bleiben. Indien und Mexiko sind zwei Beispiele für viele Länder des Südens, die sich an internationalen Verhandlungen beteiligen, aber bestimmte Ausnahmeregeln in den Verträgen fordern. Indien, um auch nach einer Liberalisierung der Agrarmärkte die Nahrungsmittelversorgung der eigenen Bevölkerung weiterhin sicherstellen zu können. Mexiko, um auch nach einer Deregulierung des Handels mit Dienstleistungen seine nationale Handlungsfreiheit zu bewahren, erneuerbare, klimafreundliche Energien mit staatlichen Subventionen zu fördern, statt auf Kohle, Öl oder Atomstrom zu setzen. Trump hingegen ist Präsident einer im relativen Abstieg befindlichen Weltmacht. Er glaubt, er könne mit seiner «America First»-Parole und mit der Absage, Aufkündigung oder Neuverhandlung von Handelsabkommen sowie mit zunehmenden protektionistischen Massnahmen die nationale Wirtschaft seines Landes stärken und ihre seit gut 25 Jahren in fast sämtlichen Bereichen sinkende Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen kapitalistischen Industriestaaten wiederbeleben.

Die zur Alternative hochgepriesenen europäischen Staaten und die EU haben sich bei den in den letzten 40 Jahren im Rahmen der WTO und ihres Vorgängers GATT geführten globalen Verhandlungen aber keineswegs gerechter gegenüber den armen Ländern dieser Welt verhalten als die USA und sich zumeist auch nicht stärker engagiert für die Beachtung von Menschenrechts-, Umwelt- und Sozialstandards. Dasselbe gilt für die bilateralen Verhandlungen und Verträge der EU wie zum Beispiel ihre «Europäischen Partnerschaftsabkommen» mit einer Reihe von west- und nordafrikanischen Ländern, die wenig mit Partnerschaft zu tun haben, aber viel mit Übervorteilung.

WTO-Vizedirektor Brauner «begrüsst», dass die EU jetzt eine gemeinsame Initiative mit Brasilien ergriffen habe zum Abbau inländischer Agrarsubventionen. Das wäre sicherlich ein Fortschritt, nachdem die EU entsprechende Forderungen vieler Länder des Südens in den letzten 40 Jahren immer blockiert hat. Noch viel wichtiger wäre allerdings, dass die EU bei den Verhandlungen im Genfer UNO-Menschenrechtsrat über ein von der grossen Mehrheit der 193 UNO-Mitglieder bereits seit Jahrzehnten gefordertes völkerrechtlich verbindliches Abkommen über Menschenrechtsnormen für Wirtschaftsunternehmen ihre gemeinsam mit den USA betriebene Blockade aufgibt und sich endlich konstruktiv an diesen Verhandlungen beteiligt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die grossen Konzerne gewinnen. Die Risiken gehen oft zulasten der Staaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger.

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