Geldanlage: Vorsicht ist die Mutter der Zertifikate-Kiste
«Strukturierte Finanzprodukte sind eine attraktive Ergänzung zu direkten Finanzanlagen wie Aktien, Obligationen, Währungen und anderen traditionellen Anlageformen», behaupten Banken und andere Anbieter. Solche Produkte böten Anlegern die Möglichkeit, auch in anspruchsvollen Marktumfeldern neue Perspektiven und passende Anlagelösungen zu finden, werben sie.
Tatsächlich scheinen sie bei den Schweizer Anlegern anzukommen. Denn wie die Statistik zeigt, hat die Finanzbranche im vergangenen Jahr allein in der Schweiz knapp 200 Milliarden Franken mit ihnen umgesetzt. Sie würde dies wohl kaum tun, wenn sie dabei nicht gutes Geld verdienen würde. Auf Seiten der Anleger sieht das anders aus: Der Blick auf die Webseite der Börse Six zeigt, dass täglich hunderte von strukturierten Finanzprodukten wertlos verfallen, weil kritische Kursbarrieren berührt oder überschritten wurden.
Täglich verfallen viele strukturierten Finanzprodukte
So etwas kommt also nicht nur in extremen Phasen wie etwa während der Finanzkrise mit der Lehman-Pleite vor gut zehn Jahren vor, sondern praktisch regelmässig. Gerade erst berichtete Inside Paradeplatz darüber, wie Privatkunden der UBS sehr viel Geld mit Währungsderivaten verloren haben. In ähnlichen Fällen verklagten amerikanische Behörden Bankinstitute wegen der Verschleierung von massiven Verlustrisiken in komplexen Optionsstrategien. In der Schweiz scheinen Anbieter wie die UBS nichts befürchten zu müssen, weil die Aufsicht zu zahm ist.

Die UBS wirbt zwar mit «den besten Anlageideen» und mit «mehr Möglichkeiten, das Kapital zu vermehren». Aber angesichts der kolportierten Verluste stellt sich schon Frage, wie sinnvoll diese Produkte für die Kunden gewesen sein mögen.
Investoren, die solche Anlageformen im Glauben gekauft haben, attraktive Renditen erzielen und wegen «Risikopuffern» und «Kapitalschutz-Mechanismen» selbst bei Turbulenzen kein Geld verlieren zu können, müssen sich im Verlustfall eines Besseren belehren lassen. Dazu kommt, dass strukturierte Produkte keine privilegierten Sondervermögen sind, sondern den Banken vor allem zur günstigen Refinanzierung, zur Abwälzung von Risiken sowie zur Umsatz- und Gebührenbolzerei dienen.
Auf dem Markt für verbriefte Derivate (Zertifikate) stehen ein paar wenige Emittenten einer grossen Mehrheit vorwiegend privater Anleger gegenüber. Die Finanzunternehmen arbeiten wie am Fliessband, überschwemmen den Markt mit einer immer unübersichtlicheren Produktpalette und bestimmen als so genannte Marketmaker im Sekundärmarkt wie auch im ausserbörslichen Handel die Preise für die von ihnen ausgegebenen Titel. Empirische Untersuchungen zeigen, wie die Preise strukturierter Produkte systematisch von jenen «fairen Werten» abweichen, die sich modelltheoretisch errechnen liessen.

Zielkonflikt zwischen der Anlageberatung und dem Produktverkauf
«Im Laufe der Zeit sind zu viele Instrumente auf den Markt gekommen, die oft auch zu komplex sind,» erklärte Derivate-Experte Heinz Zimmermann schon vor Jahren. Vielfach sei nicht zu erkennen, wie ein strukturiertes Finanzprodukt funktioniere, wie es konstruiert worden sei und mit wie viel Kapital es unterlegt sei. Die Verkaufsprospekte seien oft so komplex, dass Anleger diese oftmals gar nicht verstehen könnten.
Objektive Fachleute staunen immer wieder, welche undurchsichtigen Finanzprodukte unbedarften Anlegern angeboten werden. Ein Anleger, der schon ein recht einfach komponiertes Konstrukt kaum verstehe, werde beispielsweise den Nutzen von Double-Barrier-Reverse-Convertibles wohl schwerlich auf Anhieb begreifen. Er müsste sich blind auf seinen Anlageberater verlassen.
Das führt zu einem weiteren Problem: dem Zielkonflikte zwischen der Anlageberatung und dem Produktverkauf. Eigentlich sollten Banker nicht wie Verkäufer daherkommen, sondern idealerweise nur ihre Kunden nach bestem Wissen und Gewissen beraten oder ihre Portefeuilles verwalten. In der Praxis ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die Anlageberater funktionieren wie die Mitglieder einer Drückerkolonne und müssen bestimmte Verkaufsziele erreichen, falls sie die Aussicht auf ihre Boni nicht verlieren wollen.
Strukturierte Produkte sind für Privatanleger in der Schweiz problematisch wegen:
Komplexität und Intransparenz
Viele strukturierte Produkte sind sehr komplex aufgebaut, sodass selbst erfahrene Anleger oft Mühe haben, die Funktionsweise vollständig zu verstehen. Die Vielzahl an Produktvarianten und fantasievollen Namen erschwert die Orientierung zusätzlich.
Die Kostenstruktur ist meist intransparent. Gebühren sind oft im Produktpreis versteckt und nicht klar ausgewiesen, was einen Kostenvergleich erschwert.
Risiken
Es besteht ein hohes Marktrisiko, da der Wert des Produkts stark von der Entwicklung des Basiswerts (zum Beispiel einer Aktie, einem Index, einem Rohstoff oder anderem) abhängt. Bei ungünstiger Marktentwicklung ist ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals möglich.
Strukturierte Produkte sind rechtlich gesehen Schuldverschreibungen. Das bedeutet, dass bei einer Insolvenz des Emittenten, also zum Beispiel einer Bank, das investierte Geld verloren gehen kann. Dies wurde beim Konkurs von Lehman Brothers 2008 vielen Anlegern schmerzlich bewusst.
Fehlende Beratung und Schutz
Privatanleger erhalten häufig unzureichende oder unverständliche Beratung und werden oft zum Kauf gedrängt, ohne die Risiken und die Funktionsweise wirklich zu kennen. Im Gegensatz zu klassischen Fonds gibt es keinen besonderen Anlegerschutz nach dem Kollektivanlagengesetz (KAG).
Fazit
Strukturierte Produkte bieten zwar Zugang zu neuen Märkten und Anlagestrategien, sind aber für Privatanleger wegen ihrer Komplexität, Intransparenz, hohen Risiken und dem fehlenden Schutz oft ungeeignet. Wer die Produkte nicht vollständig versteht, sollte sie meiden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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