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Harte Arbeit: Eine Beerenpflückerin aus Thailand pflückt in Schwedens Norden wilde Beeren. © DW Documentary

Thailändische Bauern arbeiten in Schweden für Hungerlöhne

Pascal Sigg /  Über 6000 Saisonniers aus Thailand pflücken derzeit Beeren in Schweden. Eine beachtete Recherche zeigt: Viele werden ausgebeutet.

Jeden Sommer fliegen Männer und Frauen aus Thailand nach Schweden, um in den Wäldern von früh bis spät Beeren zu pflücken. Dass das Geschäft mit Schwedens wilden Blaubeeren nicht immer sauber verläuft, ist bekannt seit es existiert. Ein Team der Zeitung Dagens Nyheter reiste kürzlich nach Thailand und sorgte für Aufsehen. Es fand, dass 14 Arbeitsvermittlungen die Jobs anbieten. Und traf 77 ehemalige Arbeiterinnen und Arbeiter, die letztes Jahr nach Schweden flogen.

«Ich habe nichts mehr im Leben», sagte eine Bäuerin den schwedischen Journalisten. Sie hatte gehofft, ihre Schulden in Thailand mit der Arbeit in Schweden abbezahlen zu können. Doch stattdessen sind sie gewachsen.

Aussicht auf einen Zustupf

Die Arbeitskräfte waren Saisonniers aus Thailands ärmeren Regionen. Häufig selber Bauern, hatten sie ihren Reis angepflanzt, wenn in Schweden die wilden Beeren reiften – und deshalb zuhause nichts mehr zu tun. Der Sommerjob in Schweden bot ihnen die Gelegenheit, ihre Haushaltskasse aufzubessern, Renovationen an der Hütte zu finanzieren oder Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen.

Doch als sie unter Zeit- und Konkurrenzdruck in langen Schlangen und erst am Flughafen in Bangkok die Arbeitsverträge unterschrieben oder sich verschuldeten, um den Flug nach Stockholm zu bezahlen, wussten viele von ihnen nicht genau, was sie erwartete.

Einige mussten mindestens 4000 Kilogramm Beeren pflücken, um überhaupt einen Lohn zu erhalten. Und wer Lohn erhielt, wurde nach der gepflückten Menge Beeren bezahlt. Wer krank wurde und deshalb während drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Beeren pflückte, musste auf eigene Rechnung und ohne Lohn nach Hause zurückkehren.

Saisonniers tragen Risiken alleine

Zudem mussten die Pflückerinnen und Pflücker vorgängig im Schnitt 41’000 schwedische Kronen (ca. 3350 Franken) bezahlen, um zweieinhalb Monate in Schweden arbeiten zu können. Das Geld wurde ihnen für Flüge, Administration, Unterkunft und Essen verrechnet.

Ein 40-jähriger Bauer pflückte letztes Jahr sechs Tonnen Beeren und verdiente damit nach allen Abzügen 13’000 Kronen (1000 Franken). Die Pflückerinnen und Pflücker hatten erwartet, in den zweieinhalb Monaten nach allen Abzügen um die 30’000 Kronen (ca. 2500 Franken) einzunehmen. Doch viele arbeiteten bis zu 18 Stunden pro Tag und verdienten einen Bruchteil dessen.

Dagens Nyheter traf 36 Arbeiterinnen und Arbeiter, welche alle bei demselben thailändischen Unternehmen angestellt waren. Ihr Lohn vor der Rückreise: 500 Kronen – knapp 25 Franken. Sie alle haben sich verschuldet.

Doppelte Arbeitsverträge

Der illegale Kniff der thailändischen Vermittlungsfirmen: doppelte Arbeitsverträge. Der eine Vertrag wird den schwedischen Migrationsbehörden vorgelegt. Darin steht ein Garantielohn, Krankenversicherung, legale Arbeitszeiten. Der andere – ein Knebelvertrag – regelt das Arbeitsverhältnis.

Schwedische Beerenhandelsunternehmen kaufen die gepflückten Beeren und verkaufen sie an die Detailhändler weiter. Sie setzen Millionenbeträge um und geben sich unwissend. Der Leiter eines Unternehmens findet zwar, die Pflückerinnen und Pflücker müssten mehr verdienen. Doch er schiebt die Schuld auch dem Detailhandel zu. Dessen Preise seien einfach zu tief.

Untätige Behörden

Diese Zustände sind den schwedischen Behörden eigentlich schon lange bekannt. 2019 hatte ein staatlicher Bericht festgehalten, dass fast die Hälfte der Saisonniers den garantierten Minimallohn nicht erhielt. Und auch die schwedische Botschaft in Bangkok hat bereits Alarm geschlagen.

Doch die Migrationsbehörde kontrolliert die Beerenbranche ungenügend und schiebt die Verantwortung auf die Politik. Diese will nach der Recherche aktiv werden. Für die Gleichstellungsministerin Paulina Brandberg, die selber schon als Strafverfolgerin gearbeitet hat und Voruntersuchungen zum Menschenhandel in der Beerenindustrie geleitet hat, handelt es sich um Sklaverei. Und Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard will das Regelwerk für Arbeitsmigration grundlegend ändern.

Finnland machts besser

Im Vergleich zu ihren schwedischen Kollegen nehmen die finnischen Behörden das Problem ernst. Dies berichtet Dagens Nyheter in einer Folge-Recherche. Auch deshalb werden in Finnland diesen Sommer nur etwa 2000 Saisonniers erwartet. Zudem bietet das finnische Arbeitsamt den Pflückerinnen und Pflückern Unterstützung, die in Schweden fehlt. So gibt es ein Supporttelefon, das von Menschenhandel betroffene Saisonniers anrufen können. Zudem inspiziert das finnische Arbeitsamt Unternehmen und kontrolliert, ob der Mindestlohn eingehalten wird. Es hat ein eigens auf die Beerenbranche spezialisiertes Team. Auch deshalb kommen in Finnland viel mehr Missbrauchsfälle zur Anzeige. Gegenwärtig läuft eine grosse polizeiliche Untersuchung wegen Menschenhandel.

Eine Doku von Deutsche Welle Documentary (Englisch) begleitete thailändische Saisonniers nach Schweden.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 18.07.2023 um 16:28 Uhr
    Permalink

    Es ist unerträglich, wie schamlos Menschen und Erde immer wieder ausgebeutet werden. Sklaverei ist hier sicherlich kein überzogener Begriff. Als Konsumenten sind wir immer mitverantwortlich.
    Danke deshalb für den Hinweis auf die Situation!

    Ich frage mich schon länger, wie die Beeren hierzulande um diese Preise verkauft werden können. Nun, die Löhne in der Ukraine zB., woher vermarktete Heidelbeeren zB auch stammen, sind ja bekanntlich marginal. Wir hatten vor einigen Jahren in den Karpatenhochlagen Ukrainer beim (kistenweise) Beerensammeln getroffen, in dieser Konstellation waren die Preise für mich möglicherweise nachvollziehbar. Aber aus Skandinavien?

    Auch ein Ökoanbauverband bietet hierzulande ökozertifizierte Beeren aus Wildsammlung (!) an. Sie sind etwas teurer als nicht zertifizierte. Meine Wahl fiel bisher auf diese. Ich hoffe zwar, aber bin nicht wirklich sicher, ob die Ökozertifizierung vor ausbeuterischen Arbeitsbedingungen tatsächlich schützt.

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