Fast alle britischen Gewässer mit PFAS belastet
Neue Untersuchungen in Grossbritannien bestätigen, was man aus vorhergehenden Tests schon ahnen konnte: In nahezu allen britischen Flüssen und Seen finden sich PFAS, grösstenteils in bedenklichen Mengen.
Erst im Juni berichtete die BBC über eine Studie der Universität York im Auftrag der Umweltorganisation Fidra. Diese untersuchte 214 Wasserproben aus 32 britischen Flüssen in Wales, Nordirland, Schottland und England. In 98 Prozent davon fanden die Forschenden Trifluoracetat (TFA), eine PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanz) über die «Infosperber» schon mehrmals berichtete.
Nur ein einziger Fluss enthielt bei Tests kein TFA
Nur ein einziger Fluss – der Ness in Schottland – war unbelastet. Er fliesst von Loch Ness nach Inverness und ist Teil des Gewässersystems Great Glen, zu dem noch mehrere andere Seen gehören. Ganz anders im rund 270 Kilometer weiter südlich gelegenen Glasgow: Im dortigen Fluss Kelvin fand sich mit durchschnittlich 23’968 Nanogramm TFA pro Liter die mit Abstand höchste TFA-Konzentration.
Grössere Mengen Trifluoracetat wurden weltweit nur noch im deutschen Fluss Neckar nachgewiesen, führen die Forschenden anhand vergleichbarer Studien auf. Zum Vergleich: Das Bodenseewasser enthält derzeit etwa 400 Nanogramm TFA pro Liter (SWR).

TFA entsteht unter anderem beim Abbau von Pestiziden und Kältemitteln und ist inzwischen weltweit verbreitet – auch in der Schweiz. Die deutschen und schweizerischen Wasserwerke warnten vor kurzem vor der zunehmenden Verschmutzung mit der «ewigen» Chemikalie. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Konzentration von Trifluoracetat im Wasser überall auf der Welt erhöht.
«Es ist die langfristige, geringe Exposition, die uns grosse Sorgen bereitet», sagte Alistair Boxall, Professor für Umweltwissenschaften an der Universität York, der die britische Studie mit durchgeführt hat, gegenüber der BBC. «Wir werden unser ganzes Leben lang jeden Tag TFA-haltiges Wasser trinken. Dieses Molekül [TFA] ist überall.»
«Wir werden unser ganzes Leben lang jeden Tag TFA-haltiges Wasser trinken»
Alistair Boxall, Universität York
Ob und wie gefährlich TFA ist, wird derzeit von den EU-Behörden EFSA (European Food Safety Authority) und ECHA (European Chemicals Agency) untersucht. Deutschland hat nach bedenklichen Ergebnissen von Tierversuchen einen Antrag eingereicht, TFA als fortpflanzungsschädigend einzustufen.
Die EU-Klassifizierung sei wichtig, um Massnahmen ergreifen zu können. Bisher seien keine gesundheitlichen Auswirkungen bekannt, sagt Andreas Hensel vom Bundesamt für Risikoabschätzung (BfR) in Deutschland gegenüber der BBC. In Grossbritannien ist Trifluoracetat nicht reguliert, auch nicht im Trinkwasser. Die Trinkwasseraufsichtsbehörde, die die Trinkwasserqualität in England und Wales überwacht, habe eine eigene Untersuchung des Trinkwassers in Auftrag gegeben, berichtet die BBC.
Ein Sprecher von Water UK, das die britischen Wasserversorgungsunternehmen vertritt, erklärte gegenüber der BBC: «Wir wollen, dass PFAS, einschliesslich TFA, verboten werden und dass ein nationaler Plan entwickelt wird, um sie aus der Umwelt zu entfernen. Dieser sollte von den Herstellern bezahlt werden.»
«Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten PFAS nach wie vor für eine der grössten Bedrohungen unserer Zeit, doch das Vereinigte Königreich hinkt anderen Ländern bei der Beschränkung hinterher», sagte Hannah Evans von der Umweltschutzorganisation Fidra gegenüber dem «Guardian».
Auch verbotene PFAS in zu hohen Mengen
Evans’ Kommentar bezog sich genau genommen auf eine andere Studie aber dasselbe Thema: Am 11. Juli legte der «Guardian» mit einem anderen Bericht über die Qualität britischer Gewässer nach. Quasi alle Flüsse und Seen in Grossbritannien enthielten PFAS, grösstenteils in bedenklichen Mengen, berichtete die britische Zeitung.
Das sei das Ergebnis einer nicht näher bezeichneten Studie der Umweltbehörde. Diese habe 117 Gewässer in Grossbritannien auf eine Reihe von PFAS untersucht. 110 davon erfüllen laut dem «Guardian» die Sicherheitsstandards nicht, 85 Prozent überstiegen die Grenzwerte um mindestens das Fünffache. Sollte sich TFA doch nicht als bedenklich herausstellen, gäbe es also dennoch reichlich Grund zur Besorgnis.
Einmal Fisch pro Monat – und der Grenzwert wäre überschritten
Getestete Fische enthielten durchschnittlich 322-mal mehr der verbotenen Chemikalie PFOS (Perfluoroktansulfonsäure), als derzeit geplante Grenzwerte für Wildtiere erlauben würden. Der «Guardian» nennt keine konkreten Zahlen, die hohe Belastung der britischen Süsswasserfische ist jedoch seit Jahren bekannt.
Eine einzige Portion eines solchen Fisches jeden Monat würde die sichere Aufnahmemenge für das Jahr überschreiten, schreibt der «Guardian». Auch diese Rechnung wurde so ähnlich schon gemacht.
Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA legt die noch tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge der vier PFAS PFOA, PFOS, PFNA und PFHxS derzeit in Summe bei 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Woche fest. Bei einem 80 Kilogramm schweren Mann wären das 352 Nanogramm der «PFAS-4» pro Woche.
Umweltorganisationen fordern PFAS-Verbot
Mehrere Umweltgruppen, darunter die Marine Conservation Society, forderten laut dem «Guardian» in Folge ein Verbot aller PFAS in Konsumgütern und einen Zeitplan für die schrittweise Abschaffung der Chemikalien in allen anderen Anwendungen. Die EU bewertet derzeit nicht nur TFA, sie diskutiert auch über ein Komplettverbot der gesamten PFAS-Stoffklasse, das nur wenige unbedingt nötige (essenzielle) Ausnahmen zulassen würde.
«Länder wie Frankreich und Dänemark, die EU als Ganzes und viele US-Bundesstaaten haben entschiedene Massnahmen gegen die PFAS-Verschmutzung ergriffen», so Francesca Ginley von der Marine Conservation Society gegenüber dem «Guardian». Es sei an der Zeit, dass das Vereinigte Königreich Stellung beziehe und die Führungsrolle übernehme, die Grossbritannien bei der PFAS-Verschmutzung brauche – von der Quelle bis zum Meer.
Shubhi Sharma von Chem Trust wies darauf hin, dass die Welt bei gefährlichen Chemikalien «zu oft frühe Warnungen ignoriert und viel zu spät daraus gelernt» habe.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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