Röstis Flüsterbeläge: Kurzlebig und teuer
Red. Bundesrat Albert Rösti will es den Gemeinden erschweren, Tempo 30 einzuführen. Nun wehren sich 600 Städte und Gemeinden dagegen. In einem gestern veröffentlichten Offenen Brief schreiben sie: «Gemeinden und Städte sind am besten in der Lage zu beurteilen, ob eine Abweichung von den geltenden Höchstgeschwindigkeiten notwendig und zweckmässig ist.» Die Bestrebungen «gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Hauptverkehrsachsen torpedieren die austarierte Aufgabenteilung», halten sie fest. Und: «Wir fordern Sie deshalb dringend auf, den aktuellen Ermessens- und Handlungsspielraum der Gemeinden und Städte bei verkehrlichen Massnahmen keinesfalls durch weitere Vorgaben einzuschränken.» Infosperber veröffentlicht aus diesem Anlass nochmals einen Artikel vom vergangenen September.
«Innerorts sollen auf stark befahrenen Strassen lärmarme Beläge eingebaut werden, um die Vorgaben der Lärmschutzverordnung einzuhalten. Temporeduktionen aus Lärmschutzgründen können vorübergehend angeordnet werden – bis der lärmarme Belag eingebaut ist und die Lärmbelastung dadurch behoben wird.» Das hat der Bundesrat diese Woche beschlossen und ist damit dem Willen von Albert Rösti (SVP) gefolgt.
Und hat damit den Unmut des Gemeinde- und des Städteverbands auf sich gezogen. In einer gemeinsamen Medienmitteilung schreiben die beiden Verbände, der Handlungsspielraum der Gemeinden «darf keinesfalls durch weitere Vorgaben auf Bundesebene eingeschränkt werden». Die Vorgaben des Bundesrats würden «zu Mehrkosten, Verzögerungen und zusätzlichem Aufwand führen», schreiben die Verbände.
Warum reagieren sie so heftig? Was haben sie gegen Flüsterbeläge?
Zuerst einmal zum Verkehrslärm: Bei einem Auto, das mit konstanter Geschwindigkeit fährt, dominieren schon ab etwa 20 Kilometern pro Stunde die Abrollgeräusche. Weil Autos in den letzten Jahren schwerer geworden sind und weil sie auf breiteren Pneus rollen, hat sich das Problem der Abrollgeräusche eher noch verschärft. Autos mit Elektromotor bringen da keine Linderung, weil sie noch schwerer sind als Autos mit Verbrennungsmotor.
Glatte Oberfläche, viele Poren
Linderung kann aber ein geeigneter Strassenbelag bringen. Entscheidend sind die Beschaffenheit der Oberfläche und die Hohlräume. Je glatter die Oberfläche ist und je mehr Poren der Belag hat, desto weniger Lärm verursachen die Fahrzeuge, die darüber rollen. Als Flüsterbeläge gelten Beläge dann, wenn sie anfangs eine Lärmreduktion von drei Dezibel bewirken – was einer Halbierung der Verkehrsmenge entspricht – und am Ende der Lebensdauer eine Reduktion von einem Dezibel.
Damit ist schon das erste Problem benannt: Die Wirkung der Flüsterbeläge nimmt mit der Zeit ab – und zwar schon ziemlich rasch. Denn sie sind empfindlich. Wenn kleine Asphaltstücke herausbrechen (in der Fachsprache: Kornausbrüche), dann büssen sie einen Teil ihrer Wirkung ein. Und zu diesen Kornausbrüchen kommt es ziemlich leicht. Zum Beispiel dann, wenn Wasser eindringt und gefriert. Mit Mikrofräsen kann ein Teil der Schäden wieder ausgeschliffen werden.
Nicht sehr robust
Die Flüsterbeläge verlieren einen Teil ihrer Wirkung aber auch, wenn sie stark belastet werden. Zum Beispiel in engen Kurven, bei Lichtsignalanlagen, wo Fahrzeuge bremsen und beschleunigen, sowie in Steigungen. Eine Studie der Bundesämter für Strassen (Astra) und Umwelt (Bafu) hat gezeigt, dass Flüsterbeläge bereits im ersten Jahr ein halbes bis drei Dezibel ihrer Wirkung verlieren.
Die Wirkung beeinträchtigen nicht nur Belagsschäden, sondern auch Schmutz. Deshalb müssen Flüsterbeläge bereits gereinigt werden, bevor der Schmutz sichtbar ist. Spezielle Reinigungslastwagen spritzen Wasser in die Poren und saugen es gleich wieder ab.

Gemindert wird die Wirkung von Flüsterbelägen auch von Schachtdeckeln, von Betonelementen an Bushaltestellen und in Kreiseln, von Fussgängerstreifen und von anderen Fahrbahnmarkierungen mit rauer Oberfläche (so genannte Strukturmarkierungen). Vor allem bei besonders lärmarmen Belägen sind die Geräusche solcher Elemente störend. Deshalb müssen Schachtdeckel und Betonelemente besonders passend eingebaut werden. Zudem eignen sich Farbmarkierungen besser als Strukturmarkierungen. Allerdings halten sie weniger lange.
Nachteile haben Flüsterbeläge gegenüber herkömmlichen Belägen auch bezüglich der Griffigkeit. Weil die Oberfläche sehr glatt ist, kann sich der Bremsweg der Fahrzeuge verlängern.

Das grösste Problem sind allerdings die Kosten. Viel teurer als ein herkömmlicher Belag ist ein Flüsterbelag zwar nicht. Aber der Unterhalt ist teuer. Und die Lebensdauer ist wesentlich kürzer. Ein herkömmlicher Belag muss nach 25 bis 30 Jahren ersetzt werden. Ein Flüsterbelag hingegen schon nach 10 bis 15 Jahren.
«Weniger Lärm, flüssigerer Verkehr, mehr Sicherheit»
Massnahmen wie Lärmschutzwände und Lärmschutzfenster sind unbefriedigend, weil sie nur Symptome bekämpfen. Besser ist es, den Lärm an der Quelle zu reduzieren. Dazu eignet sich – auch wenn der Bundesrat das anders sieht – neben den beschriebenen Flüsterbelägen besonders Tempo 30.
Die Bau- und Verkehrsdirektion des Kantons Bern hält auf ihrer Website schon länger fest: «Bei tieferer Geschwindigkeit entsteht weniger Lärm. Brems- und Beschleunigungsvorgänge nehmen ab. Zudem wird je nach Strassengestaltung der Verkehr flüssiger. Gleichzeitig wird die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer erhöht.»
Und der Städteverband hebt hervor, Tempo 30 sei «eine wirkungsvolle, kostengünstige und einfach umsetzbare Massnahme – namentlich im Vergleich zu baulichen Massnahmen». Also auch im Vergleich zu Flüsterbelägen, die der Bundesrat forcieren will.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.








Als Anwohner an einer vielbefahrenen Durchgangsstraße kann ich verstehen, warum viele Menschen Tempo 30 wollen. Es ist nicht nur der Lärm. Einmal geht meine dreijährige Tochter aus der Haustür, als gerade ein LkW mit hoher Geschwindigkeit auf den Gehweg fährt, weil er einem entgegenkommenden Auto ausweichen will. Für Automobilisten und Nichtautofahrer wird der Verkehrsraum bei Tempo 30 sicherer. Es fällt mir auch schwer zu verstehen, warum gerade in wenig befahrenen Außenbezirken Tempo 30 gilt, weil dies Wohngebiete sind. So als wären die alten Hauptstraßen in den Dörfern und Städten keine Wohnstraßen. Hier sollen alle diejenigen 50 fahren, dürfen, die vor ihrer Haustür Tempo 30 haben. Saarbrücken hat im Innenstadtbereich Tempo 30 eingeführt. Die Fahrt durch die Stadt ist jetzt weniger hektisch, der Verkehrsfluss gleichmäßiger, und tatsächlich dauert es nur Sekunden länger, bis man da ist wo man hin will. Steuergelder für Flüsterbeläge statt Tempo 30 sind ein Irrweg.
Rösti probiert an allen Ecken und Enden positive Entwicklungen zu verhindern.
Herr Rösti macht einen guten Job. Die Ausufernden Tempobeschränkungen, Verengungen der Fahrbahn, Hindernisparcours und und und, sind nicht mehr tolerierbar. Sie machen die Strasse unberechenbar und gefährlich. In Städten macht man besser gleich alles Verkehrsfrei sie können es sich ja leisten die Geschäfte eingehen zu lassen. Vor den Stadttoren einfach ein riesiges Parkhaus nicht vergessen für die Land- Bevölkerung.
Hoffentlich pasiert in Ihrem privaten Umfeld nie ein Unfall weil all Ihre aufgezählten verkehrsberuhigenen Massnahmen nicht vorhanden waren.
Flüsterbeläge finde ich aufwendigen, teuren Fehler. Der Strassenbelag Südumfahrung Chur wurde mit langem Höllenlärm durch schwere Spezialfahrzeuge «abgeraspelt», um neu zu asphaltieren. Nachher fand ich den Verkehr lauter als vorher. Dann, 2021, bezeichnete der SVP-Gemeinderat Urs Rettich in seinem «Auftrag an den Stadt» (den alle Gemeinderäte unterschrieben) den Lärm der Südumfahrung als UNERTRÄGLICH. Es gilt Tempo 80. Lärmspitzen (insbesondere im besonders gehörschädlichen Hochtonbereich) Schwerverkehr auch nachts. Herzrasen, ich erwache nachts trotz geschlossenen Fenstern, obwohl ich Frischluft medizinisch nötig hätte und als Menschenrecht betrachte.
Keine Lärmschutzwand. Keine Temporeduktion.
Wenn Lärmschutz in der Schweiz Gesetz ist, aber dagegen verstossen wird seit x-Jahren, warum sind die ursächlichen Politiker nicht im Gefängnis?
Falls ein Profi bei mir eine Lärmmessung durchführen möchte: Herzlich willkommen. Mein Balkon befindet sich praktisch auf Strassenasphalt-Höhe.
Wenn man einen Flüsterbelag vergleichend erlebt erscheint er tatsächlich sehr angenehm. Aber in einem klassischen Reboundeffekt führt er zu schnellerem Fahren, besonders wenn wie hier beschrieben dadurch Tempo 30 sabotiert wird. Und dann gibt er mehr und schlimmere Unfälle, mehr Beschleunigen und Bremsen, mehr Todesfälle durch Feinstaub, und mehr Lärm sobald der Belag nicht mehr flüstert aber aus Kostengründen noch nicht ersetzt wird.
Ich verstehe nicht, weshalb dem Bundesrat Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung an Hauptstrassen egal sind.
Vor langer Zeit gab es keine Tempolimiten und da sind ein paar Leute, wie die Verrückten durch die Dörfer geflitzt. Der Verkehr nahm zu und so wurde Innerorts auf 60km/h beschränkt. Es gab „Aufstand“. Der Verkehr nahm weithin zu und so wurde das Tempo auf 50km/h reduziert. Es gab wieder „Aufstand“. Der Verkehr nahm abermals zu. Nicht nur Autos, sondern auch Fahrräder, motorisierte Zweiräder, E-Scooter und Fussgänger nehmen am Verkehr teil. Logische Folge: Temporeduktion. Viele ausländische Städte machen uns das vor: Paris, Brüssel, Amsterdam usw. Warum Herr Rösti nun auf teure und langfristig auf ineffiziente Flüsterbeläge setzt und den Städten und Gemeinden die Einführung von Tempo 30 erschweren will, bleibt wohl ein Geheimnis unseres Magistraten. Aber wenn es so weiter geht, dann haben wir soviel Verkehr, dass wir uns wie in London mit unter 20km/h durch unsere vielbefahrenen Strassen bewegen. Vielleicht löst sich dann das Problem von selbst.