Ablenkung durch Bordcomputer

Bordcomputer: «Man taucht für mehrere Sekunden völlig weg.» © Depositphotos

Autofahren ist nur noch Nebensache

Esther Diener-Morscher /  Im Schweizer Strassenverkehr droht eine neue Gefahr: Statt zu lenken, lassen sich Fahrer immer mehr ablenken.

Autofahrer müssten ihr Augenmerk auf der Strasse halten. Doch Lenkerinnen und Lenker wenden ihre Aufmerksamkeit immer öfter anderen Dingen zu. Nämlich ihrem Smartphone und ihrem Bordcomputer. Beim Bordcomputer sind es vor allem die Navigation und das Autoradio, welche viel Aufmerksamkeit beanspruchen und die Bediener von ihrer Hauptaufgabe, dem Fahren, ablenken.

Eine Studie des deutschen Allianz-Zentrums für Technik (AZT) geht davon aus, dass Autofahrer, die während des Fahrens ihre Aufmerksamkeit dem Smartphone oder dem Bordcomputer widmen, ein um rund 50 Prozent höheres Unfallrisiko haben.

3000 schwere Unfälle wegen Ablenkung

Laut der Strassenverkehrsunfall-Statistik des Bundesamts für Strassen (Astra) sind Ablenkung oder Unaufmerksamkeit nach der Verletzung von Vortrittsregeln die zweithäufigste Unfallursache in der Schweiz. Letztes Jahr waren bei jedem sechsten Unfall mit verletzten oder getöteten Personen die Fahrerin oder der Fahrer abgelenkt. Effektiv sind es wohl noch mehr als die registrierten 3000 Fälle, weil der Nachweis für die Polizei sehr schwierig ist.

Die Zahlen zeigen, dass Ablenkung als Unfallursache zunimmt. Für Fachleute ist der Zusammenhang mit der Nutzung von Smartphones und dem Bordcomputer eindeutig. Doch warum ist das Bedienen des Navigationsgeräts oder des Autoradios während des Fahrens ein Problem?

Entscheidend ist, dass man mit der Bedienung via Bildschirm nicht nur visuell und haptisch, sondern auch mental abgelenkt ist. Christoph Lauterwasser, Verkehrssicherheitsexperte des AZT, erklärte in einem Interview mit der Automobil-Revue : «Das einfachste Beispiel: das Einstellen eines neuen Radiosenders. Ich muss im Menü zwischen FM und DAB auswählen und danach in einer langen Liste nach dem Sender suchen. Wenn ich in die Schweiz fahre und SRF einstellen will, muss ich weit herunterscrollen. Hat man zu viel Alkohol getrunken, weiss man, dass man nicht mehr fahren darf. Bei Ablenkung weiss man es auch, aber man tut es dennoch und taucht für mehrere Sekunden völlig weg.»

Noch bis vor kurzem liessen sich viele wichtige Funktionen im Auto intuitiv mit dem Tastsinn bedienen: Für Blinker, Scheibenwischer oder Licht gab es Knöpfe, die sich sofort betätigen liessen. Solche intuitiven Bedienelemente aus früheren Zeiten würde sich Lauterwasser wieder zurückwünschen: «Alles, was sicherheits- oder zeitkritisch ist, muss ohne Zwischenschritt erreichbar sein, also entweder über Tasten und Schalter oder auf der obersten Menüebene im Display», sagt er. Denn: Je länger die kognitive Abwendung vom Strassenverkehr dauere, umso gefährlicher werde es. «Man ist zu 100 Prozent nicht mehr mit dem Verkehrsgeschehen beschäftigt», sagt Lauterwasser.

Wohl haben die Behörden erkannt, dass Autofahrer und Autofahrerinnen am Steuer zunehmend abgelenkt sind und dadurch das Risiko für Unfälle steigt. Dieses Risiko versuchen sie zu senken – paradoxerweise mit noch mehr Computer-Ausrüstung: Seit 2022 sind in neuen Fahrzeugen Assistenzsysteme vorgeschrieben, die Müdigkeit oder Fahrfehler erkennen sollen. Es ist allerdings noch nicht klar, ob solche Systeme das tatsächlich zuverlässig genug können. Ausserdem empfinden manche Autofahrer die Überwachung nicht als Hilfe, sondern als Bevormundung.

Die einfache Lösung: Einfachere Bedienung

Viel einfacher wäre es, wenn die Hersteller die Bedienung ihrer Fahrzeuge vereinfachen würden. Doch das ist derzeit noch kaum der Fall. Zwar hat Volkswagen beim neuen Golf wieder mehr richtige Tasten eingebaut.

Der neue Golf von VW hat wieder mehr Tasten und Hebel.

Dass Knöpfe und Tasten viel schneller und einfacher zu bedienen sind, hat unter anderem ein Test des schwedischen Automagazins Vi Bilägare gezeigt. Mit Abstand Testsieger unter elf Autos wurde ein Volvo V70 aus dem Jahr 2005, der keinen Touchscreen hatte.

Eindeutig am schnellsten und einfachsten zu bedienen: Der Volvo V70 mit vielen Knöpfen und Tasten – aber ohne Touchscreen.

Doch die Hersteller setzen unbeirrt auf immer noch grössere Bildschirme, die mit immer noch mehr Funktionen ausgestattet werden. Besonders in Elektroautos lassen die sich die meisten Bedienfunktionen nur noch über einen Bildschirm steuern. So auch im neuen Volvo EX90.

Volvo EX90 hat die Knöpfe und Tasten wegdesignt
Schön designt – aber riskant zu bedienen: Ein Cockpit ohne Knöpfe

In diesem Modell wurden die Bedienknöpfe wegdesignt. Auch der Tesla 3 ist ein «Tablet auf Rädern». Er hat nicht einmal mehr separate Tasten für Licht und Scheibenwischer. Kein Problem? Doch! Ein Teslafahrer wurde von einem Gericht in Karlsruhe zu einem Monat Führerausweis-Entzug verurteilt, weil er von der Strasse abgekommen war. Er hatte versucht, das Intervall seiner Scheibenwischer zu regeln und war von der Bedienung des Touchscreens viel zu lange abgelenkt.

Autos ohne Tasten verlieren Punkte

Immerhin hat sich nun eine europäische Autosicherheits-Organisation des Problems angenommen und will dafür sorgen, dass Autofahrer weniger von ihrer eigentlichen Tätigkeit abgelenkt werden: Das Europäische Neuwagen-Bewertungs-Programm (Euro NCAP) will bei seiner Sicherheits-Bewertung ab 2026 Punkte abziehen, wenn bestimmte Funktionen nur über den Bordcomputer statt über eine Taste oder einen Schalter gesteuert werden können.

Mehrheit will Tasten und Knöpfe im Auto

98 Prozent der Leser und Leserinnen der Automobil-Revue wollen in ihrem Auto lieber Tasten und Knöpfe, weil deren Bedienung einfacher sei. Nur gerade 2 Prozent finden, dass ein Touchscreen und ein Sprachassistent genügen. So lautet das vorläufige Resultat der «Frage der Woche», welche die Schweizer Auto-Zeitschrift regelmässig stellt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 10.05.2024 um 11:38 Uhr
    Permalink

    Wieviele tote und schwerstbehinderte Kinder wird es brauchen, bis dieser Schwachsinn endlich als solcher anerkannt und abgestellt wird?

  • am 12.05.2024 um 15:18 Uhr
    Permalink

    Wie kann es sein, dass Touchscreens in Autos überhaupt zugelassen werden? Wieso werden superlaute Sportwagen mit Klappenauspuff zugelassen? Wieso fahren Transportunternehmen mit Riesentraktoren ohne seitlichen Unterfahrschutz herum. Haben hier Lobbyisten Einfluss auf die Zulassungsbehörden? Die Behörden lassen den Langsamverkehr (Velo, Fuss, Pferd) sträflich hängen, und machen Alibi-Sicherheitskampagnen die suggerieren, wer ohne Leuchtweste und Helm unterwegs ist, ist selbst schuld wenn etwas passiert. Mein Vorschlag damit der lebensgefährliche Irrsinn mal etwas eingegrenzt wird: auf sämtlichen Strassen ausserorts, die keinen klar abgegrenzten Fuss und Veloweg haben nur noch maximal Tempo 60. Ich vermute, das würde einen wahren Bauboom auslösen. Übrigens, auch Reklame und Wahlplakate lenken vom Strassengeschehen ab, unbegreiflich, die werden für teures Geld extra so gestaltet, damit sie möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und stehen dann zu tausenden am Strassenrand.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...