Bildschirmfoto20110806um09_25_34

Präsident Barack Obama - Washingtons wirkungsvollster Politiker? © us

Who’s Washington’s Most Effective Politician?

Robert Ruoff /  Statt Obama-Bashing erlaubt sich Andrew Sullivan, einer der bekanntesten amerikanischen Blogger, an Obamas Leistungen zu erinnern.

Andrew Sullivan ist einer meiner journalistischen Lieblingsautoren. Allein schon wegen seiner Eigenwilligkeit. Was selbstverständlich auch heisst, dass ich nicht alle seine Ansichten teile. Zum Beispiel nicht seine «libertären», sprich: rechtskonservative Auffassung von einem schwachen Staat. Aber seinen Einsatz für Menschenrechte und seine ungebrochene Lernfähigkeit – sprich: seine Bereitschaft, sich von der Wirklichkeit eines Besseren belehren zu lassen. Und folglich seinen Mut, ohne Rücksicht auf modische Trends an diese Wirklichkeit zu erinnern.

Sein regelmässiger Blog «The Dish» erscheint auch auf der Website «The Daily Beast», die mit «Newseek» verbunden ist. Gestern bin ich auf seine letzte Platte gestossen: «Who’s Washington’s Most Effective Politician?». Eine konzentrierte Darstellung von Barack Obamas aussergewöhnlichen Leistungen als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (ohne Obamas Fehlleistungen dabei zu vergessen).

Journalismus auf hohem Niveau

Der Text hat mich aus mehreren Gründen sehr persönlich gefreut. Zunächst aus Gründen der eigenen Eitelkeit: weil er mich an einen Beitrag erinnert hat, den ich selber vor den Midterm-Wahlen im November 2010 über Obamas beeindruckende Zwischenbilanz geschrieben habe, damals noch im weiterhin geschätzten «journal 21» (s. u.: «Vor der Niederlage»). Zum zweiten, weil ich bis heute überzeugt bin, dass Obama nicht nur als erster afro-amerikanischer Präsident sondern auch als aussergewöhnlicher Krisen- und Konfliktmanager (im besten Fall und wenn er politisches Glück hat: als Friedenspräsident) mit überdurchschnittlichen Leistungen in die Geschichte eingehen wird. Und – last not least – ganz besonders, weil Andrew Sullivan etwas vom Besten im Journalismus verkörpert: Eine Haltung, die sich an gesellschaftlichen Werten ausrichtet ohne dies mit parteipolitischer Mission zu verwechseln, die radikal kritisch und gleichzeitig von Respekt geprägt ist. Und immer der Wirklichkeit den Vorrang gibt.

«Who’s Washington’s Most Effective Politician?»

In seinem Blog zur Frage «Who’s Washington’s Most Effective Politician?» nimmt Sullivan zuerst Bezug auf eine Debatte zwischen führenden amerikanischen Kommentatoren: Dave Roberts («Grist»), Kevin Drum («Mother Jones»), Steve Benen («Washington Monthly») und Andrew Serwer («Fortune»).

Er schreibt: «Dave Roberts sagt, Mitch McConnell sei der wirkungsvollste Politiker in Washington, aber Kevin Drum denkt, der Chef der (republikanischen) Minderheitsfraktion im Senat habe nur den leichtesten Job gehabt.

Die Debatte

Kevin Drum sagt: «McConnels einziges Ziel in den letzten zwei Jahren war Obstruktion, was die Regeln des Senats einfach möglich machen. Und der Schuldendeal war nur ein Hundefrühstück, zusammengesetzt aus Ideen von unterschiedlichen Quellen. McConnell bekam Anerkennung für die abschliessende Formulierung, aber er konnte das nur, weil er es nicht wie John Boehner mit einem grossen Tea Party Kontingent zu tun hatte und deshalb Kompromisse schliessen konnte, ohne um seinen Job zu fürchten.»

Und Sullivan dazu: «Benen bekräftigt Drums Schlussfolgerung, Obama sei die richtige Wahl, indem er Obamas zahlreiche (wenig bemerkte) Errungenschaften aufzählt. Serwer ist nicht einverstanden. Ich selber denke, Obama ist locker der Sieger, zurzeit stupid unterbewertet – und überdeckt von all dem Lärm, den der konservative medien-industrielle Komplex veranstaltet.

Die Parteipolitik

«Hier nur einige seiner politischen Erfolge: Der Sieg über eine der während Jahrzehnten stärksten Parteimaschinen (die Clintons), bei dem er seine stärkste Rivalin sogar in die Regierung brachte, wo sie eine sehr gute Leistung zeigt; der Beitrag zum Image der Grand Old Party – der Republikaner – als kompromisslose Extremisten; die Festigung der Loyalität der Schwarzen und Hispanos zu seiner Partei; die Aufrechterhaltung solider Zustimmungsraten während der schlimmsten Rezession seit den dreissiger Jahre: 44 Prozent des Landes geben noch immer (und zu Recht) Bush die Schuld für dieses Chaos, nur 15 Prozent Obama.

Die Staatspolitik

«Und in der substantiellen Politik: Er hat das Folterregime der USA beendet; ein zweite Grosse Depression verhindert; eine allgemeine Krankenversicherung beschlossen; erste ernsthafte Schritte zur Reduktion der Gesundheitskosten unternommen; zwei neue weibliche Bundesrichterinnen etabliert; den Ausschluss der Schwulen aus der Armee beendet; den Irak-Krieg beendet; den verstärkten Afghanistan-Einsatz mit der Tötung Bin Ladens gerechtfertigt und nun den Rückzug unter Wahrung des Gesichts eingeleitet; die Bündnisse mit Indien, Indonesien und Japan als Gegengewicht zu China gestärkt; Banken und Autoindustrie ohne gewaltige Verluste aus dem Schlamassel geholt (und die Gewinne von GM gesteigert); den Schuldenabbau (langsam) begonnen ohne drastische Einschnitte während der Rezession; und schliesslich finanzielle Regulierungen beschlossen.

Die Fehlleistungen

«Ja, es gibt auch die Fehlleistungen: die Wahl des Republikaners Scott Brown als Senator von Massachusetts; die Niederlage bei den Midterm-Wahlen von 2010; das Nachgeben gegenüber Netanyahu und Amerikas pro-Israel Lobby AIPAC; den verpfuschten, schlecht konzipierten Krieg in Libyen; die fehlende Umsetzung der Empfehlungen der Bowles-Simpson-Kommission zum Schuldenabbau; das Scheitern des Emissionsrechte-Handels in der Umweltpolitik (was aber vielleicht gar nicht so schlecht war). Aber man muss auch an all das denken, was nicht passiert ist. Wo sind all die Skandale, die (die konservative Journalistin) Michelle Malkin vorausgesagt hat? Wo sind Obamas Katrinas (Wirbelstürme) und Monicas (Lewinsky)?

«Wenn ich Kommentare lese, die mir ausführlich darlegen, dieser Mann sei völlig überfordert, kann ich mich nur am Kopf kratzen. Bei dem Erbe, das er angetreten hat, ist das die substantiell stärkste Amtszeit seit Ronald Reagan. Und mit Blick auf Obamas langfristiges Denken kann ich nur sagen: das bereitet uns auf eine ganz heisse zweite Amtszeit vor – a hell of a second one.»

Nachtrag:

Wenn denn Amerikas Wähler Obama eine zweite Amtszeit geben – wovon Andrew Sullivan offenbar ausgeht. Anders als Charles Fried, US-Generalstaatsanwalt unter Ronald Reagan, und heute wieder Harvard-Professor, der einen Blog schreibt unter dem Titel: «Obama Is Too Good for Us».

Mit Blick auf das Kandidatenfeld seiner eigenen republikanischen Partei erinnert Fried an die Komödie des alten Griechen Aristophanes, in der zwei Bürger einen Führer suchen, der in ihre Zeit passt – die offenbar der Gegenwart sehr ähnelt. Sie fragen einen Wurstverkäufer, der ganz überrascht entgegnet, wie denn ein Wurstverkäufer wie er ein grosser demokratischer Leader werden könne?

«Das ist es ja gerade», sagen die Bürger. «Du bist ein schamloser trauriger Lump und ein Schlitzohr. Und dass Du kaum lesen und nicht schreiben kannst, qualifiziert Dich zusätzlich. Ein guter Demagoge darf weder gebildet noch ehrlich sein…. Politik ist heute nichts für einen gebildeten Mann, nichts für einen Mann von Charakter. Unwissenheit und totale Verschlagenheit sind besser – diese gottgegebenen Vorteile solltest Du nicht vergeuden.»

Und Charles Fried erinnert an die republikanischen Kandidaten: Sarah Palin, die «Patin der Tea Party», die sich intellektuell schon längst disqualifiziert hat, Mitt Romney, «der alles und jedes sagt», und Michele Bachman, «die uns weismachen wollte, die Zahlungsunfähigkeit der USA sei kein grosses Problem» – während ein vernünftiger Mann wie (der ehemalige Gouverneur von Utah) Jon Huntsmann in den Umfragen weit abgeschlagen landet.

Charles Fried: «Ich weiss, es ist nicht komisch. Aber man muss entweder lachen oder weinen.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.