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Osama Bin Ladin © cvrcak1/flickr

Wenn Usama Bin Ladin vor Gericht gekommen wäre

Red. /  Wo hätte man ihn inhaftiert? Was hätte man ihm vorwerfen können? Ein Szenario von Marcus Jauer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Wie die andern Häftlinge von Guantanamo wäre Bin Ladin nicht vor ein normales Gericht gekommen, sondern vor ein Militärgericht, das sich «military commission» nennt.
Warum kein ordentliches Gericht?
Bevor Barack Obama US-Präsident wurde, versprach er, das Gefangenenlager von Guantánamo innerhalb eines Jahres aufzulösen. Als er gewählt war, liess er die Haftgründe für jeden Gefangenen einzeln überprüfen und verlagerte die Zuständigkeit dafür vom Pentagon ins Justizministerium.
Den Prozess gegen die Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, Chalid Scheich Mohammed und vier Mitgefangene, wollte Obama vor ein Bundesgericht nach New York holen, wo das World Trade Center gestanden hatte.
Viele Risiken und ein einziger Vorteil
Ein solcher Prozess hätte für den amerikanischen Staat verschiedene Risiken gehabt. Er wäre in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit geraten, wie das auf Guantánamo nie möglich war, wo die Presse meistens ausgeschlossen wurde. Er hätte es der Anklage nicht erlaubt, Beweise einzuführen, die durch Druck erlangt wurden, ebenso wie Beweise, die sich aus solchen Beweisen ergeben, da sie als «fruit of the poisonous tree» gelten. Er hätte es den Angeklagten gestattet, sich besser zu verteidigen oder die Verteidigung für Hetzreden und Propaganda zu nutzen. Er hätte das Problem gezeigt, in diesem Fall eine unabhängige Jury zu finden, er hätte einen riesigen Aufwand an Sicherheitskräften und Verbarrikadierung erfordert und hätte bei alldem nur einen einzigen Vorteil gehabt: Er wäre rechtsstaatlich gewesen.
Wie hätte die Anklage überhaupt gelautet?
Zehn Jahre lang war Usama Bin Ladin als der mächtigste Terrorist der Welt verfolgt worden, doch erst ein Prozess brächte die Frage auf, was genau ihm vorzuwerfen ist. Die einzige Klage, die gegen ihn vorbereitet war, stammt vom Juni 1998, ausgestellt vom Bundesgericht in Manhattan. Sie hatte ursprünglich nur acht Seiten Länge, legt die damals noch eher kurze Geschichte von Al Qaida dar und beschreibt ihn als deren Führer, der sich 1993 der Mithilfe am Mord von achtzehn amerikanischen Soldaten in Mogadischu schuldig gemacht haben soll.
Später wurde die Schrift um die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam erweitert, bei denen 224 Menschen starben und einige tausend verletzt wurden, und den Anschlag auf den Flugzeugträger «USS Cole» im Hafen von Aden, bei dem siebzehn Soldaten starben. Die Anschläge auf die Botschaften finden sich auch im Steckbrief des FBI, das auf den Kopf von Usama Bin Ladin fünfundzwanzig Millionen Dollar ausgesetzt hat.
Von einer Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001, wegen denen die Amerikaner in Afghanistan einmarschiert waren, um Al Qaida zu zerschlagen, steht in diesem Steckbrief nichts. Der Mann, der dafür angeklagt worden ist, heisst Chalid Scheich Mohammed.
Wenig Rechte der Verteidigung – viel Spielraum für die Anklage
Bei einem Prozess vor einer «military commission» hat der Angeklagte weniger Rechte als vor jedem anderen amerikanischen Gericht. Das beginnt mit den Mitgliedern dieser Kommission, die keine unabhängige Jury sind, sondern im Dienst der amerikanischen Streitkräfte stehen und vom Verteidigungsministerium benannt werden. Ein ziviler Verteidiger ist erlaubt, muss aber auch zugelassen werden und hat keinen Anspruch auf volle Akteneinsicht. Wenn Informationen der Anklage als bedeutend für die nationale Sicherheit eingestuft werden, weil sie beispielsweise aus geheimdienstlichen Quellen stammen, kann dem Anwalt der Zugang zu diesen Dokumenten verwehrt werden. Gleichzeitig aber ist die Anklage berechtigt, Beweise einzuführen, die vor einem zivilen Gericht nicht erlaubt wären.
Das betrifft Informationen, die nur vom Hörensagen stammen; wie die durch Wikileaks veröffentlichten Geheimdokumente zeigen, beziehen sich die Anschuldigungen gegen die 225 Gefangenen allein auf die Aussagen von acht Mitgefangenen oder Informationen, die durch Druck erlangt wurden. Konnte es am Schluss sein, dass man Usama Bin Ladin das Verbrechen, das ihn in der Welt bekannt gemacht hatte, vor einem normalen Gericht gar nicht juristisch nachweisen könnte?
Echtheit der Videos beweisen
Noch bevor die Ungeheuerlichkeit dieser Frage in der Öffentlichkeit Raum greifen könnte, würde im Gerichtssaal die Anklage vorgetragen. Sie lautet auf Verschwörung gegen Amerika und beschreibt, dass Usama Bin Ladin von den Anschlägen gewusst, sie finanziert und geplant hat. Im Verlauf des Prozesses werden auch die Bekennervideos gezeigt, in denen sich Usama Bin Ladin zu den Anschlägen äußert und die von der amerikanischen Regierung bislang als stärkste Hinweise darauf gewertet wurden, dass er hinter dem Fall der Zwillingstürme steckt.
Es waren in den Jahren der Suche nach Usama Bin Ladin zwar immer wieder einmal Zweifel an der Echtheit der Videos aufgekommen, ebenso wie an der Richtigkeit der Übersetzung des zum größten Teil akustisch schwer verständlichen Inhalts, doch diese Zweifel würden im Prozess vor Militärgericht keine Rolle spielen.

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Der juristische Hintergrund für dieses Szenario
Das beschriebene Szenario ergab sich aus Gesprächen mit Emily Silverman, Referatsleiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Claus Kress, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches Strafrecht, europäisches Strafrecht, Völkerstrafrecht sowie für Friedenssicherungs- und Konfliktvölkerrecht an der Universität zu Köln, sowie Bernhard Docke, Anwalt für Strafrecht in Bremen und Verteidiger des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 13.05.2011 um 16:29 Uhr
    Permalink

    Es ist sicher richtig, wie hier dargestellt, dass es nicht einfach gewesen wäre, Bin Laden vor ein Gericht zu stellen, was aber im Besonderen daran liegt, dass man nie das Ziel verfolgt hat, dies zu tun. Man hat nie versucht, Beweise gegen führende Mitglieder der Al Kaida rechtsgenügend zusammenzutragen. Genau dies müssten die Staaten der UNO aber tun, alles andere setzt sie letztlich dem Vorwurf aus, willkürlich zu handeln.
    Was in der Folge dann klar werden wird, ist, dass solches Handeln nicht nachhaltig ist. Nachhaltig wäre es hingegen international Regeln zu schaffen, um Verfahren vor dem ICC führen zu können, gegen Terroristen, oder auch andere Kriminielle, wie Ghadhafi. Allgemeinverbindliche, nachvollziehbare Regeln zu definieren, an die sich auch Staaten wie die USA oder die VR China zu halten hätten, werden nicht einfach zu vereinbaren sein, aber ohne dies wird es kaum möglich sein glaubhaft zu machen, dass das Vorgehen gegen die Al Kaida moralischer ist, als dasjenige der Al Kaida gegen den «Westen", der «Kollateralschaden» ist in beiden Fällen derart gross, dass die jeweilige Seite nicht wirklich erklären kann, auf gefestigter moralischer Basis zu handeln.

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