VietnamsFhrung

KP-Generalsekretär Nguyen Phu Trong (links) und Premierminister Nguyen Tan Dung © Wikimedia Commons/cc

Vietnam zwischen China und dem Westen

Peter G. Achten /  Am Parteikongress der KP Vietnams hat sich der konservative Flügel gegen die eher pro-westliche Fraktion durchgesetzt.

Vietnam war einst in den 1990er-Jahren der «kleine Drache» Südostasiens, wo die Wirtschaft brummte wie in den Drachenländern Südkorea, Taiwan, Hong Kong und Singapur. Nach der asiatischen Finanz- und Wirtschaftskrise 1997/98 wurde es still um das vermeintliche Boom-Land. Doch abseits medialer Aufmerksamkeit brillierte Vietnams Wirtschaft in den letzten Jahren mit verlässlich hohen Wachstumsraten zwischen fünf und acht Prozent.
Wie in China erfolgte auch in Vietnam die erstaunliche wirtschaftliche Aufholjagd unter Führung der allmächtigen Kommunistischen Partei. Premierminister Nguyen Tan Dung, der sich seit zehn Jahren erfolgreich als Wirtschaftsreformer profiliert, führte das Land in die Welthandels-Organisation WTO und in die Handelszone der Trans-Pazifische-Partnerschaft (TPP). Exporte und Investitionen nahmen rasant zu. Die KP führte das einst arme Land mit mittlerweile rund 95 Millionen Menschen zu bescheidenem Wohlstand. Allerdings ist auch in Vietnam die Ungleichheit zwischen Stadt und Land, arm und reich grösser geworden.
Wirtschaft soll stärker wachsen
Nach dreissig Reformjahren strebt Vietnam – ähnlich wie der grosse nördliche Nachbar China – ein neues Wirtschaftsmodell an. Vor rund 1500 Delegierten aus den 63 Provinzen versprach Parteichef Nguyen Phu Trong am kürzlich zu Ende gegangenen Parteitag, dass sich Vietnam noch weiter international integrieren werde und im Innern mit noch mehr Reformen vorankommen wolle. «Wir müssen unser Modell für das Wirtschaftswachstum erneuern, unsere Wirtschaft umstrukturieren, Industrialisierung und Modernisierung stärken und uns zu einer Wissensgesellschaft entwickeln», forderte der 71-Jährige Parteichef.
Die Zielvorgaben bis ins Jahr 2020: ein jährliches Wachstum von 6,5 bis 7 Prozent und eine Reduktion der Arbeitslosenquote von 10 auf 4 Prozent. Besonders viele Jugendliche sind ohne Job. Das bringt die Partei in Nöte. Denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist jünger als 30-jährig. Die junge Generation ist kaum noch an der KP interessiert, anders als noch die Eltern und Grosseltern, die den Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen und später den Vietnamkrieg – den die Vietnamesen den amerikanischen Krieg nennen – erlebt und erlitten hatten. Die Partei muss dem Rechnung tragen, denn die Macht und mithin die politische Stabilität ist in Gefahr.
Traditionalisten gegen Modernisierer
Der alle fünf Jahre stattfindende Parteitag in Hanoi wurde diesmal mit besonderer Spannung erwartet. Der amtierende 71-jährige Parteichef Nguyen Phu Trong hat die Alterslimite längst überschritten. Viele vermuteten deshalb, dass Premierminister Nguyen Tan Dung Ambitionen hat auf das höchste Amt des KP-Generalsekretärs. Parteichef Trong gilt eher als pro-chinesisch und konservativ, wird aber immer wieder als Garant der politischen Stabilität gelobt. Der eher pro-westliche Premier Dung hingegen hat den Ruf als zupackender Reformer, der zählbare Resultate vorweisen kann. Allerdings hat unter Dung auch Korruption und Vetternwirtschaft sowohl in der Verwaltung als auch in der immer wichtiger werdenden Privatwirtschaft markant zugenommen.
Beide Spitzenpolitiker sind – unter dem Strich – Reformer. Was sie unterscheidet ist das Verhältnis Vietnams zu China. Der Inselstreit im Südchinesischen Meer vergiftet die gegenseitigen Beziehungen seit langem. Ähnlich wie China reklamiert Vietnam «historische» Ansprüche auf die Felsbrocken entlang der strategisch wichtigen Seestrasse, über die 40 Prozent des Welthandels abgewickelt werden. Dung wird von Beobachtern ein etwas dezidierterer Standpunkt gegenüber China attestiert als Trong. Doch man sollte sich nicht täuschen. Auch Trong verteidigt in diesem Streit um Felsen und Inselchen mit vermuteten reichen Öl- und Gasvorkommen entschieden die Haltung Vietnams.
USA als Gegengewicht zu China willkommen
Das Verhältnis zu China war stets heikel, seit Jahrtausenden sozusagen. Noch heute beklagen sich viele Vietnamesinnen und Vietnamesen über die rund tausend Jahre «chinesischer Besetzung». Vom ersten Jahrhundert vor bis ins neunte Jahrhundert nach Beginn unserer Zeitrechnung wurde der Norden Vietnams von China regiert. Vietnams Kultur basiert auf der chinesischen.
Für viele Vietnamesen war der Tod der berühmteste Schildkröte Vietnams, Cu Rua, kurz vor dem Parteikongres ein schlechtes Omen. Cu Rua war weit über 120 Jahre alt und lebte im Hoan Kiem See im Zentrum Hanois. Cu Rua wurde von Vietnamesen mit einer mythischen Schildkröte in Zusammenhang gebracht, die den Herrscher Ly Tai To im 15. Jahrhundert unterstützt haben soll, die chinesischen Invasoren zu vertreiben.
Dass sich die Beziehungen zum alten Erzfeind Amerika in den letzten zwanzig Jahren stets verbessert haben, ist nicht nur ein vietnamesisches, sondern ein asiatisches Phänomen. Wenige Staaten sagen das offen: Amerika als pazifische Macht ist in Asien als Gegengewicht zu China hoch willkommen. Premier Dung gilt in Vietnam als eher amerikafreundlich, Parteichef Trong dagegen ist da etwas zurückhaltender. Immerhin hat Trong im vergangenen Jahr die USA besucht. Die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen zu den USA werden ständig ausgebaut.
Die Pflicht ruft
Am Ende des Parteitages in Hanoi blieb fast alles beim alten. Premier Dung fand keine Mehrheit, Parteichef Trong setzte sich durch. Der 71-jährige Funktionär liess sich noch einmal für eine fünfjährige Amtszeit bestätigen. Trong sagt warum: «Mein Alter ist hoch, meine Gesundheit limitiert, mein Wissen ebenfalls. Ich habe um Rücktritt gebeten. Aber wegen der von der Partei aufgebürdeten Verantwortung muss ich meine Pflicht erfüllen, und ich mache mir Sorgen, weil die auf mich zukommende Arbeit sehr schwer sein wird.»
Auch das oberste Organ der kollektiven Parteiführung, das 19 Mitglieder zählende Politbüro, ist um über die Hälfte erneuert worden. Der Gouverneur der Zentralbank, Nguyen Van Minh – international gepriesen wegen seiner Geldpolitik – hat es ebenso geschafft wie der in den USA ausgebildete Aussenminister und der Vize von Premierminister Dung. Interessant auch, dass Dungs 40 Jahre alter Sohn Nguyen Thanh Nghi ebenfalls im Politbüro sitzt. Alles in allem eine leicht verjüngte, ausgewogene, Stabilität versprechende kollektive Führung.
Bekenntnis zur marxistisch-leninistische Doktrin
Auch ein grosser Teil der 197-köpfigen Zentralkomitees ist mit jüngerem Personal ersetzt worden. Premier Dung – 66 Jahre alt – wird an der Nationalversammlung im März nach zehnjähriger Amtszeit aus Altersgründen zurücktreten. Als Nachfolger gilt das neue Politbüromitglied und Dungs bisheriger Stellvertreter Nguyen Xuan Phuc als gesetzt. Parteichef Trong gab am Ende des Kongresses nochmals den politisch korrekten Ton an: «Das Zentralkomitee wird zusammen mit der Partei, dem Volk und der Armee die marxistisch-leninistische Doktrin und die Ideologie Ho Chi Minhs weiterentwickeln.»
Politisch inkorrekt aber geduldet meldete sich Planungsminister Bui Quang Vinh zu Wort: «In den vergangenen siebzig Jahren haben sich die Strukturen und Methoden der Partei, des Staats und der staatlichen Organisationen praktisch kaum verändert.» Dann setzte Genosse Vinh noch eins drauf: «In den vergangenen fünf Jahren haben wir zwar Wirtschaftsreformen durchgeführt und beträchtliche Ergebnisse erreicht, aber politische Reformen gab es nicht.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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